Das Geräusch des Lichts
Freitag, 4. November 2016
Im Wartezimmer
Wer kennt das nicht: im Wartezimmer eines Arztes herumsitzen und sich langweilen. Da schaue ich mir die anderen wartenden Patienten an und überlege mir warum sie wohl da sind, was sie so machen, wer sie sind. Der namelosen Ich-Erzählerin in Katherina Hagenas Buch „Das Geräusch des Lichts“ geht es genauso. Vier andere Personen sind vor ihr dran. Sie erzählt über jeden der ihr unbekannten Personen eine erfundene Geschichte.
Geschichten
Sehr unterschiedliche Geschichten, die aber auch immer wieder gemeinsame Bilder und Themen beinhalten. So führen alle Geschichten nach Yellowknife, einer Stadt in den Nordwest-Territorien in Kanada.
Lässt sich die Erzählerin dabei von den Bildern im Wartezimmer, die sich ebenfalls auf Kanada beziehen, inspirieren? Oder steckt da mehr dahinter?
Nach der ersten Geschichte (die mir von den Teilen am besten gefiel) erfahren wir Leser folgendes:
Das ist noch nicht die wahre Geschichte. Es ist erst die äußerste Schicht. Wie bei einem Planeten: Der Kern ist noch so heiß, dass alles zischend verdampft, was ihn berühren will. Und doch muss ich immerfort weitererzählen, Geschichte um Geschichte. Wer aufhört zu erzählen, ist tot.
So wird Geschichte um Geschichte erzählt, und wir Leser nähern uns immer mehr dem Kern. Der Kern hat etwas mit Kanada und erweitertem Suizid zu tun.
Die letzte Geschichte die erzählt wird, ist ihre eigene. Oder auch nicht? Man muss vielleicht auch wissen, dass das beschriebene Wartezimmer das eines „Nervenarztes“ ist.
Polarlicht
Die Grenzen zwischen Phantasie und Realität sind fließend. Wie die grünen Schlieren von Polarlicht, das in mehreren Geschichten und Szenen beobachtet wird.
Der Titel bezieht sich auch darauf. Es gibt die Theorie, dass man dieses Licht auch hörbar machen kann. Auch in der Realität konnten diese Geräusche inzwischen nachgewiesen werden, wie z.B. dieser Artikel zeigt:
Ein elfjähriger Junge versucht im Buch zu erklären, wie es zu den Nordlicht-Geräuschen kommt. Das verbindet er mit einer erstaunlich treffenden Art „ich weiß dass ich nichts weiß“ Bemerkung.
Wenn ein starkes Nordlicht scheint, kann man überall viel Infraschall messen. Die Infraschallwellen treffen auf unsere Trommelfelle. Die schwingen. Dass wir trotzdem nichts hören ist einfach Pech. Doch nur weil unsere Gehirne nicht in der Lage sind, die Geräusche richtig zu empfangen, heißt das nicht, dass keine da sind.
Wenn ich darüber nachdachte, galt das für die meisten Sachen, über die ich in letzter Zeit nachdachte.
Was steckt dahinter?
Wer erzählt hier wirklich? Die Ich-Erzählerin? Oder erzählt doch jeder Patient seine eigene Geschichte die durch den gemeinsamen Arzt in Zusammenhang stehen? Oder doch die Autorin selbst? Denn ich namenlose Ich-Erzählerin scheint auch eine Autorin zu sein, wie in einigen Bemerkungen angedeutet wird. So wird auch folgende Romanidee genannt, die doch sehr an den Roman erinnert, in dem sie steht:
Noch eine Romanidee: Kommt ein Irrer zum Arzt und denkt sich beim Warten Geschichten aus, um die eine Geschichte nicht erzählen zu müssen, die er für unsäglich hält, wobei er sie natürlich trotzdem erzählt, nur eben auf alle anderen Geschichten verteilt.
Fazit
Wer sich an einem offenen Ende nicht stört, lernt interessante Menschen in diesen schön geschriebenen Geschichten im Roman kennen. Es machte mir Spaß nach Zusammenhängen Ausschau zu halten.
Lesung
Angaben zum Buch
Das Geräusch des Lichts
Autorin: Katherina Hagena
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
ISBN: 978-3-462-04932-9
272 Seiten
[D] 20,00 €, gebundene Ausgabe