Frank Schätzing: Helden
Sonntag, 3. November 2024
Reise ins Mittelalter
Dieser historische Roman knüpft direkt an „Tod und Teufel“ desselben Autors an, kann aber durchaus ohne Vorkenntnisse gelesen werden. Er beschreibt die nächsten drei Jahre im Leben von Jacop, genannt der Fuchs. 1260-1263 ist die Zeit, in die Schätzing seine LeserInnen entführt.
Jacop der Fuchs
Er liebt immer noch Richmodis, die Färbertochter. Doch jetzt hat er eine Zukunft: Jaspar Rodenkirchen wird zu seinem Mentor. Er sorgt dafür, dass Jacop eine Lehrstelle in einem Kaufmannshaus bekommt. Ausgerechnet bei den in „Tod und Teufel“ so verhassten Overstolzens. Daneben studiert Jacop noch bei Jaspar und weiteren Mönchen die Lehren der „sieben Künste“. Hört sich nach Zauberkram an, ist aber nach damaligen Gesichtspunkten eine sehr breite Basis der Allgemeinbildung und einiger brauchbarer Fähigkeiten, zum Beispiel Logik und Rhetorik. Das ist so eine Art Pygmalion-Story. Der vollkommen ungebildete junge Mann saugt das Wissen nur so in sich auf. Alle, auch er selbst, sind überrascht, wie gelehrig und wissbegierig er ist.
Durch den Kaufmannsjob kommt er auch weit herum. So führt uns der Roman nach Frankreich, Flandern und England, wo ein großer Teil der Handlung angesiedelt ist.
Jacop versucht seiner Herkunft auf den Grund zu gehen, was ihn ein Stück weiterbringt, aber die Mörder seiner Familie kennt er noch nicht. Dafür wird er von Dämonen (Baal) und Geistern heimgesucht. Dabei ist ihm der Besuch der Mutter im Traum ganz lieb, während er auf die Besuche des Antagonisten aus „Tod und Teufel“, Urquhart, gerne verzichten könnte.
Richmodis
Eine sehr selbstbewusste junge Frau. Sie liebt Jacop. Eigentlich würde sie gerne eine Familie mit ihm gründen, doch er möchte ihr etwas bieten können und deshalb vorher seine Ausbildung abschließen und Geld verdienen. Einerseits hat sie Verständnis, andererseits auch Sehnsucht nach einem Leben mit ihm. Sie leidet unter seinen Abwesenheiten, schickt ihn aber auch fort, weil sonst er nicht glücklich ist. Eine vertrackte Beziehung. Doch Richmodis ist eine tolle Figur. Schlau, gebildet (Justus, ihr Onkel, hat auch sie einiges gelehrt) und natürlich hübsch. Sehr selbstbewusst, was in der damaligen Zeit nicht selbstverständlich ist. Da waren Frauen zum Gebären, Arbeiten und zur Zierde da. Nach Möglichkeit hatten sie den Mund zu halten.
Muirgheal
Noch eine starke weibliche Persönlichkeit. Sie ist das Gegenteil von einem schwachen Weib, wie die Männer damals gerne die Frauen sahen. Sie scheint der Serie „Vikings“ entstiegen und eine gefürchtete Heerführerin der sogenannten Galloglass. Eine Horde Söldner, die „von den Inseln“, ich nehme an Irland, kamen. Sie ist eine starke Kämpferin, hat ihre Männer im Griff und wird von ihnen geachtet. Außerdem hat sie einige Seeadler zum Kampf abgerichtet.
Muirgheal ziert übrigens den Buchumschlag. Ich bin mir sicher, dass diese Bilder (auch die der Karten, die meiner Ausgabe beigelegt waren) alle durch KI generiert sind. Nur Richmodis sieht überaus natürlich aus, als ob es ein richtiges Foto wäre. Trotzdem geben diese Bilder eine spannende Illustration ab.
Muirgheal ist sehr intelligent und kann strategisch denken. Ihre Loyalität gehört dem Geld (Söldnerin halt) und sich selbst. Ein einigen Momenten spürt man, dass sie einen weicheren Kern hat und einige dunkle Momente erlebt hat, doch darüber erfuhr ich kaum etwas.
Doch mir scheint, sie wird im Nachfolgeband, an dem Schätzing wohl schon arbeitet, eine größere Rolle spielen.
Weiteres Personal
Es gibt unheimlich viele handelnde Personen in diesem Buch. Immer wieder wird die Perspektive gewechselt. Am Anfang war ich ein wenig verwirrt. Eine gute Hilfestellung ist daher das Personenverzeichnis am Anfang des Buches, das auf viereinhalb Seiten die wichtigsten Protagonisten einordnet. Schätzing versucht durch die ständigen Perspektivwechsel die Handlungen von Königen über Reformer, Bischöfen bis hin zu kleinen Nebenfiguren (z.B. einen Postreiter), die verschiedenen Sichten, Leben und Beweggründe zu verdeutlichen. Das macht das Buch sehr vielschichtig.
Schauplätze
Köln und England stehen diesmal im Mittelpunkt der Handlung. Überaus dramatische Ereignisse. So gibt es in Köln einen Volksaufstand gegen den Erzbischof, in dem vielleicht der Ruf „Kölle Alaaf“ geprägt wurde. Diesen Aufstand gab es wirklich, der Autor nimmt sich die Freiheit Jacop eine wichtige Rolle dabei zu geben.
Dazu kommt eine Zeit der Unruhe in Europa und insbesondere in England. Henry der III, einem Plantagenet, hat ziemliche Probleme an der Macht zu bleiben. Die Passagen die aus seiner Sicht geschrieben sind, sind einfach köstlich. Was für ein verdrehtes Selbstbild. Ohne seine Frau Eleanor, eine Meisterin der Intrigen, wäre er schon lange verloren gewesen. Sein Gegenspieler ist übrigens Simon de Montford, der Urheber der „Provisions of Oxford“.
Sehr gut gefielen mir auch die Ausflüge nach Frankreich, die mir einen Einblick in die damalige Transportlogistik und die Funktionsweise des Handels brachten. In dieser Zeit wurden die Grundlagen für die heutigen Marktmechanismen gelegt.
Ein großer Teil der Handlung spielt in England. Dover, London, Schloss Windsor um nur einige Orte zu nennen.
Zeitebenen
Durch die Perspektivwechsel wird das Buch sehr abwechslungsreich. Ein weiterer Spannungsbogen wird durch zwei Zeitebenen erreicht.
Das Buch setzt im Juli 1263 in England an, parallel wird Jacops Werdegang von 1260 bis dahin erzählt. Die einzelnen Teile greifen ganz gut ineinander.
Solche Kniffe um die Spannung hochzuhalten sind auch wichtig, hat das Buch doch ca. 1000 Seiten. Und wie immer bei Schätzing, auch einige Längen. Doch ohne diese Teile, in denen die historischen Hintergründe erklärt werden, würde einfach der Zusammenhang fehlen. Diese Zeiten waren sehr wechselhaft, die Reformen, die die Rebellen in England einsetzen möchten, sind die Grundlagen für den jetzigen Staatsaufbau dort.
Auch dem Handel wird viel Raum gegeben. Der Tauschhandel wird endgültig abgeschafft, bargeldlose Zahlungen, Beteiligungsgesellschaften und Versicherungen werden erfunden. Auch fand ich es faszinierend, wie der internationale Handel funktionierte. Das Köln da auch groß mitmischte war mir nicht klar. Kölschen Klüngel gab es damals natürlich auch schon.
Fazit
Helden von Frank Schätzing ist eine gelungene Fortsetzung von Tod und Teufel. Durchaus spannend, lehrreich und durch die vielen Perspektiven sehr abwechslungsreich. Das Ende fordert eine Fortsetzung geradezu heraus. Im nächsten Band möchte ich mehr über Muirgheal, Richmodis und natürlich Jacop erfahren.