Jessica Lind: Mama
Mittwoch, 12. Januar 2022
Rezension Debütroman
Ein Paar, Amira und ihr Mann Joseph, suchen Erholung in einem kleinen Haus im Wald. In diesem Haus hat Joseph früher mit der Familie Urlaub gemacht, bis sein Vater in der Nähe umkam.
Das Paar besucht die Hütte in drei Jahren dreimal. Es zieht sie immer wieder dorthin, obwohl sie sich dort nicht unbedingt wohl und geborgen fühlen. Das gesamte Buch ist aus der Sicht von Amira geschrieben.
Kindeswunsch
Der erste Besuch in der Hütte wird vom Wunsch nach einem Kind bestimmt. Amira geht das wissenschaftlich an. An diesem Wochenende wird sie ihren Eisprung haben, sie will unbedingt jetzt schwanger werden.
Joseph möchte sich eher mit seiner Vergangenheit aussöhnen. Der Verlust des Vaters hat ein Trauma in ihm hinterlassen.
Eine große Rolle spielt über den gesamten Roman hinweg eine verwunschen anmutende Lichtung im Wald. Sie lässt sich nicht immer finden, dort passieren sehr wichtige Ereignisse im leben von Amira. So wird zum Beispiel ihre Tochter hier gezeugt.
Dieser erste Aufenthalt in der Hütte verläuft noch relativ „normal“. Surreal wird es später.
Schwangerschaft
Beim zweiten Besuch in der Hütte ist Amira hochschwanger.
In diesem Teil des Buches beginnen die Zeiten spürbar ineinander zu verschwimmen. Amira ist sehr irritiert.
Mutterschaft
Nichts bleibt wie es wahr, wenn man ein Kind bekommt.
Für mich ist Mutterschaft und die Instinkte, die Frau als Mutter entwickeln kann, zentrales Thema des Buches. Und dieser Satz war für mich sehr zentral. Weil ich mich dadurch auch sehr mitgenommen fühlte. Ich habe zwei Töchter. Und ja, nichts blieb wie es war. Mein leben änderte sich, ich veränderte mich, die Beziehung zu meinem Mann veränderte sich. Beim zweiten Kind kamen weitere Veränderungen auf uns zu. Bei jedem größeren Entwicklungsschritt des Kindes veränderte sich das Gefüge auch wieder. Jetzt ist eine meiner Töchter schon über zwei Jahre aus dem Haus, die Zweite auf dem Absprung. Und wieder ändert sich viel.
Weißt du denn nicht, dass eine Mutter nichts ist ohne ihr Kind?
Ich glaube nicht, dass ich mich nur über die Mutterschaft identifiziere. Aber sie eist nie mehr herauslösbarer Teil von mir. Egal wie alt meine Kinder sind. Dasselbe beobachte ich auch bei meiner Mutter (allerdings habe ich das auch bei meinem Vater gesehen).
Instinkte
Auch Amira ist stark Instinktgesteuert. Ich hätte vor der Mutterschaft nicht erwartet, dass ich diese Instinkte (Schutz der Kinder, Sorge um die Kinder, Befriedigung der elementaren Bedürfnisse der Kinder) so stark spüren würde. Amira geht es ähnlich. Eine Mutter würde sich für ihr Kind opfern. Vor allem, wenn sie weiß, dass es danach gut aufgehoben sein wird. Auch ich würde mich für meine Töchter töten lassen. Auch das ist Instinkt. Die Brut muss beschützt werden.
In diesem Roman wird vieles durch die surrealen Vorkommnisse noch verstärkt. Auch weil die Instinkte auch verschiedenen Ebenen versinnbildlicht werden. Ich möchte nicht zu viel über den Inhalt verraten, versuche dennoch meine Interpretation zu beschreiben.
Symbole
Der Roman wimmelt vor Symbolen. Das fängt schon beim Cover an. Was aussieht wie eine verzweigte Wurzel ist das eingefärbte Bild einer Plazenta. Der Mutterkuchen, der das Kind 40 Wochen im Mutterleib ernährt. Für mich war es ein Wunder, dass ich einen Menschen „erschaffen“ konnte. Auch wenn ich nicht viel aktiv machen musste.
Die Hütte als Schutzraum mitten im Wald. Fernab der Zivilisation.
Dann die Namen: Maria und Josef. Verzeihung: Amira und Josef. Vielleicht eine Anspielung darauf, dass der Wald eine Art „Gott“ ist und der wahre Vater des Kindes? Oder sind wir alle Kinder der Natur?
Das stärkste Symbol, die stärkste Kraft (neben der Mutterinstinkte) ist der Wald.
Der Wald
Der Wald mit seinen Geheimnissen, Lichtungen, PFlanzen. Auch dies ist wie eine Zuflucht einerseits, wie ein Gefängnis andererseits. Manchmal findet man den Weg nicht hinaus. Der Wald hält bestimmte Personen fest, andere gibt er frei. Trotzdem wirkt er nicht wirklich bedrohlich
Der Wald will Louise nichts Böses. Das hat Amira endlich verstanden.
Der Wald ist hier ein Wesen, dass lange existiert und auch schon mal problemlos mehrere Zeitebenen auf einmal beinhaltet.
Josefs Vater hat ein Märchenbuch geschrieben. Dieses enthält Zeichnungen, vom Wald, von der geheimnisvollen Lichtung. Der Wald war also auch schon für andere Generationen ein wichtiges Element. Ein Symbol für die Ewigkeit? Für das immer gleiche, das sich trotzdem laufend verändert?
Für mich persönlich ist ein Wald positiv besetzt. Ich verbinde damit Stille, Ewigkeit, Ruhe, Kühle, Schutz.
Märchenhaftes
Da einige Zeiten im Roman miteinander verschmelzen, wirkt er surreal. Er hat auch viele märchenhafte Aspekte. So gibt es das von Josefs Vater verfasste Märchenbuch. Eine Geschichte daraus wird mehrmals erwähnt. Dort gibt es eine Hexe, die sich verwandeln kann.
Amira begegnet mehrmals einem Hund. Für mich eigentlich auch positiv besetzt, entwickelt sie diese Hündin im Laufe der Geschichte zum personifizierten Bösen. Ein Sinnbild für Gefahr. Vielleicht eine Hexe, die sich verwandelt hat, so wie in dem Märchen, das Josefs Vater geschrieben hat?
Dann gibt es den geheimnisvollen Mann. Ist er auf ihrer Seite? Oder eher eine Bedrohung? Will er sie beschützen? Manche der Symbole ändern im Laufe der Geschichte auch ihre Bedeutung. Wie im wirklichen Leben kann man dem ersten Eindruck nicht immer trauen.
Fazit
Mama von Jessica Lind ist ein Roman der viel in mir aufgewühlt hat. Der mich an meine Schwangerschaften und das Leben mit meinen Kindern erinnert hat. Ich fand dieses Buch sehr vielschichtig, spannend, trotzdem rätselhaft. Definitiv ein Buch das ich weiterempfehlen werde.
Bloggerpreis
Das Blog Das Debüt lobt alljährlich den Bloggerpreis für das beste Romandebüt aus.
Die Jury bilden dieses Jahr 16 Literaturblogger*innen.
Weitere Rezensionen von Jurymitgliedern:
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Letteratura
Sabine Gelsing
Alpenlandkunst
Auf ein Buch
Mikka liest
Neben Jessica Lind stehen folgende Autor*innen mit ihren Debütromanen auf der Shortlist für 2021:
Ariane Koch – Die Aufdrängung
Sharon Dodua Otoo – Adas Raum
Thomas Arzt – Die Gegenstimme
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