Thomas Arzt: Die Gegenstimme
Freitag, 14. Januar 2022
Österreichischer Debütroman
1938 gab es in Österreich eine merkwürdige, pseudodemokratische Wahl. Eine Volksabstimmung zum Anschluss Österreichs an das deutsche Reich. Nachträglich.
Ein Ort in Oberösterreich nimmt es sportlich und fordert von allen Wahlberechtigten ein einstimmiges Ergebnis. Natürlich für die Wiedervereinigung.
Doch da gibt es Karl, den Studenten, der für das Wochenende nach Hause gekommen ist. Er ist einer der wenigen, die die Wahlkabine benutzen. Das ist schon sehr verdächtig.
Einstimmigkeit
Es wird Druck ausgeübt auf die wahlberechtigten Einwohner. Nicht-wählen gilt auch nicht. Diese Personen werden durch öffentliche Markierung an der Haustür bloßgestellt. Gegenstimmen kommen gar nicht in Frage.Schon der Wahlzettel macht klar, was hier gefordert ist: der Kreis mit dem „Nein“ ist viel kleiner, als der für das „Ja“.
Gruselig. Nicht nur „Wahlrecht“, sondern auch Wahlpflicht und auch noch genaues Beobachten, was angekreuzt wird.
Dabei gibt es einige, die dagegen sind. Die die braune Gefahr wittern.
Den nahenden Krieg spüren auch viele, die aus Überzeugung mit „Ja stimmen. Sie begrüßen ihn und sehen sich nach Heldentum.
Und das in einer Zeit, in der die Verletzungen des vorherigen Weltkrieges bei den Veteranen noch überall sichtbar sind.
Stil
Für mich sehr gewöhnungsbedürftig. Die Leseprobe habe ich nach einer Seite abgebrochen. Zu anstrengend erschien mir der mundartliche Touch. Die leicht verdrehten Sätze.
Doch nach ca. 20 Seiten hatte ich mich daran gewöhnt und das Buch wird super spannend.
Karl
Er steht im Verdacht dagegen gestimmt zu haben. Doch wissen tut das außer ihm niemand. Doch wer sollte es sonst gewesen sein?
Karl lässt ein wenig in sich, sein Studenten- und Liebesleben blicken. Er ist in der Stadt anderen Einflüssen ausgesetzt und das hat schon Exzesse der „Braunen“ miterlebt.
Er streitet sich an dem Tag mit seiner Familie und flüchtet in den Wald. Dort versteckt er sich vor der Welt.
Parallel rottet sich eine Gruppe junger Menschen, mehr oder weniger enthusiastisch, zusammen und sucht ihn. Sie haben Waffen dabei und sind bereit bis zum Äußersten zu gehen. Vielleicht nicht alle, aber die Zauderer werden unter Druck gesetzt.
Seppl
Meine Lieblingsfigur. Ein Mann, der für eine Art Dorfdepp gehalten wird und sehr viel Mut beweist! Ein gutes Beispiel, dass viele Menschen kolossal unterschätzt werden.
Seppl ist eine Art Dorf-Faktotum. Wird von einigen für dumm und willfährig gehalten. Er baut bei der Wahl mit auf. Hilft bei der Auszählung. Aber Seppl ist irgendwie klar, dass Hitler für Menschen wie ihn nicht Gutes bedeutet. Er begehrt auf. Aber heimlich. Doch niemand traut ihm zu, dass er etwas anderes als mit Ja gestimmt haben könnte.
Er bekommt unheimliche Angst, dass es rauskommt. Das sein Stimmzettel ihm zugeordnet werden könnte.
Spannend
Häufig laufen mehrere Handlungsstränge parallel. Dadurch nimmt das Buch eine ungeheure Spannung und ein ziemliches Tempo auf. Das stand für mich im krassen Gegensatz zu meinem inneren Bild von einem kleinen. Beschaulichen Ort in den Bergen.
Das Buch beinhaltet auch sehr viel Personal und verändert ständig die Perspektive. Sehr rasant. Der Autor Thomas Arzt hat sich bereits einen Namen als Dramatiker gemacht. Vielleicht sollte er auch Drehbücher schreiben. Die packende Handlung eignet sich sicher auch gut als Film.
In einem Interview mit dem BR erzählt Arzt, die er die Personen in seinem Roman recherchiert hat.
Fazit
Die Gegenstimme von Thomas Arzt hat mich Anfangs durch den ungewöhnlichen Stil irritiert. Doch später passt er einfach perfekt zu den beschriebenen Ereignissen. Das Buch ist ungeheuer spannend und lässt viel Freiraum für die (bei mir immer wiederkehrenden) Fragen „Wie hätte ich gehandelt“ und „Wie konnte es soweit kommen“.
Der Bloggerpreis
Das Blog Das Debüt lobt alljährlich den Bloggerpreis für das beste Romandebüt aus.
Die Jury bilden dieses Jahr 16 Literaturblogger*innen.
Neben Thomas Arzt stehen folgende Autor*innen mit ihren Debütromanen auf der Shortlist für 2021:
Ariane Koch – Die Aufdrängung
Sharon Dodua Otoo – Adas Raum
Stefanie vor Schulte – Junge mit schwarzem Hahn
Jessica Lind – Mama
Weitere Rezensionen von Jurymitgliedern zu „Die Gegenstimme“
Ausprobieren kann man es ja mal. Kommt auf die Liste, da ich dieses Genre spannend finde.
Hallo Frank,
diese österreichische Sicht auf die Zeit ist mir auch kaum untergekommen. Vielleicht ein wenig in „Der Trafikant“ von Seethaler. Ich kann mich aber nicht erinnern, ob dieses Pseudoreferendum auch Inhalt war.
Viele Grüße
Silvia
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