Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn
Freitag, 7. Januar 2022
Rezension eines Debütromans
Martin ist ein Kind. Er besitzt buchstäblich nichts, bis auf das Hemdchen, dass er anhat und einen schwarzen Hahn. Seine Familie ist tot, die Bewohner des Bergdorfes stehen ihm auch nicht bei.
Das mag daran liegen, dass er anders ist also sie selbst. Martin ist recht klug und aufgeweckt, hat als Kleinkind alleine überlebt. Außerdem hat er etwas, was vielen anderen fehlt: ein gutes, großes Herz.
Dieses Buch findet ihr auf der Shortlist des Bloggerpreises von Das Debüt, ich darf in der Jury mitwirken. Ein Interview mit der Autorin habe ich ebenfalls veröffentlicht.
Setting
Tiefstes Mittelalter scheint die Zeit zu sein, in der dieser Debütroman von Stefanie von Schulte spielt. Doch das wird nicht näher benannt, auch nicht, in welchem Land das Dorf liegt, in dem Martin lebt.
Ein kleiner Ort, voll mit bigotten, dummen, egoistischen Menschen. Unfassbar, dass sie den kleinen Jungen, der auf sehr schlimme Art seine ganze Familie verloren hat, einfach ignorieren und seinem Schicksal überlassen.
Unfassbar auch, wie dieser Junge, Martin zu einem intelligenten Menschen heranwächst, der so viel Empathie und Güte besitzt.
Intellektuell allen im Dorf überlegen, muss er dies oft verbergen, sonst wird ihm das auch wieder angekreidet. Denn die Männer im Ort halten sich für oberschlau, lassen sich aber leicht verschaukeln. Eine Zeit ohne Wissenschaft, Angst vor bösen Mächten, dabei angeblich tief gläubig. Die Kirche hat Macht, ist im Dorf aber nur zeitweise vertreten.
Martin möchte gerne aus dieser Enge entfliehen und die Welt entdecken:
Martin fragte sich, ob andere Menschen anderswo auch so sind und ob er eines Tages sehen wird, wo Leben ist, denn hier im Dorf, scheint ihm, ist alles nur Tod.
Ich fühlte mich während der Lektüre häufig an Der Halbbart von Charles Lewinsky erinnert. Dort wird ein historischer Hintergrundbeschrieben. Die Zeit, in der es spielt könnte dieselbe sein.
Abenteuer
Als Martin Zeuge einer Kindesentführung wird, hat er nur noch einen Wunsch: dieses Verbrechen möchte er aufklären. Schließlich ist es nicht das erste Kind, das von einem dunklen Reiter entführt wird.
Das hört sich schon alles sehr nach Märchen an. Wie in einem typischen Märchen hat Martin auch einen Gefährten, einen schwarzen Hahn. Eigentlich ein Symbol für Wachsamkeit und Treue (wie er es auch für Martin auslebt), wird der Vogel von den Dorfbewohnern für den Teufel gehalten. Da die zwei unzertrennlich sind, wird dadurch Martins Stellung im Dorf nicht einfacher.
Ein Freund
Dann kommt ein Maler ins Dorf. Dieser soll in der Kirche einen Auftrag erledigen. Ein Mensch, der Martins Potenzial endlich erkennt. Sie verlassen das Dorf gemeinsam.
Sie wandern durch Städte, Landschaften, Kriege, Hungersnöte.
Der zweite Teil des Buches spielt auf einer Burg. Hier spürt Martin, dass er dem Rätsel der verschwundenen Kinder näherkommt.
Die Geschichte, die hinter diesem Rätsel steckt, ist wie ein Märchen im Märchen. Mit einer sehr bösen Frau, die seltsame Spiele spielt, ihr Wort bricht und so tut, als ob sie nicht altert. Zum Preis des Lebens vieler Kinder. Schaurig.
Märchen
Viele Symbole und Personen, die ich aus anderen Märchen kenne, sind hier auch vertreten. Eine böse Fürstin, sprechende Tiere, Wanderschaft, ein Hofnarr, viele schlechte Menschen und auch ein paar Gute.
Auch der Stil erinnert an die Märchen meiner Kindheit. Die Sprache, die manchmal recht altertümlich daherkommt, lässt auch immer wieder Platz für Humor. Ab und zu musste ich an die Geschichten der Schildbürger denken.
Und wie in einem richtig guten Märchen, hoffte ich auch hier noch auf ein gutes Ende. Denn wenn sie nicht gestorben sind…
Fazit
Junge mit schwarzem Hahn von Stefanie vor Schulte ist eines meiner Lesehighlights von 2021. Ein schnell gelesenes Buch, dass man gerne mehrmals lesen kann. Immer wieder kann ich noch einen neuen Aspekt finden. Ein Roman, der mich wieder an das Gute in der Welt glauben lässt.
Ein schöner, sehr ungewöhnlicher Debütroman.
Der Bloggerpreis
Das Blog Das Debüt lobt alljährlich den Bloggerpreis für das beste Romandebüt aus.
Die Jury bilden dieses Jahr 16 Literaturblogger*innen.
Weitere Rezensionen von Jurymitgliedern zu diesem Buch:
Schiefgelesen
Letteratura
Auf ein Buch!
Literaturgefluester
Neben Stefanie vor Schulte stehen folgende Autor*innen mit ihren Debütromanen auf der Shortlist für 2021:
Ariane Koch – Die Aufdrängung
Sharon Dodua Otoo – Adas Raum
Thomas Arzt – Die Gegenstimme
Jessica Lind – Mama
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