Michel Houellebecq: Serotinin
Mittwoch, 13. Februar 2019
Rezension des Romans Serotonin
Florent-Claude Labrouste, Mittvierziger und Agrarfachmann, bekommt Depressionen. Er gibt seine Freundin, den Job, die Wohnung auf und zieht in ein Hotel. Zur Bekämpfung der Depression erhält er ein Medikament, das künstliche den Serotoninspiegel hebt und so der Erkrankung her werden soll. Nebenwirkungen: Übelkeit, Libidoverlust, Impotenz. Florent: „Unter Übelkeit habe ich nie gelitten.“
Warum ich das Buchcover mit Kühen kombiniert habe, erfahrt ihr weiter unten.
Sex
Wer schon mal ein Buch von Houellebecq gelesen hat weiß, dass Sex einer der Hauptthemen ist. Und hier erstmalig ein Protagonist, der dazu gar nicht fähig ist? Noch nicht mal Lust darauf hat? Aber keine Angst, Florent spricht viel über seine Verflossenen, es gibt genügend explizite Beschreibungen. Trotzdem eher ungewöhnlich für diesen Autor. Ob es ihm wohl gut geht?
Depression
Florent geht es zumindest nicht gut. Warum? Keine Ahnung! Vielleicht durch eine dem Alter entsprechende Midlifecrisis bedingt? Hat er sein Leben in den Sand gesetzt? Oder ist sein Hormonspiegel einfach durcheinander? Auch egal. Er geht sein Leben, seine Freunde (nur einer), seine Partnerinnen (schon ein paar mehr) in Gedanken durch und trifft auch einige wieder. Er ist von seinem absehbaren Tod überzeugt und will vorher noch mit ein paar losen Enden abschließen. Ganz ehrlich: Florents Nöte haben mich NICHT interessiert. Doch die Depressionen sind echt. Und er ist einsam, allein und hat niemanden, der ihm da vielleicht heraushelfen könnte. Typisch Singlegesellschaft.
Liebe
Nicht nur dass der Protagonist keinen Sex hat, Houellebecq schreibt sogar von Liebe. Nachdem er in einem der vorigen Kapitel die Unterschiede zwischen Mann und Frau erklärt und als Begründung dafür hernimmt, warum es keine Liebe auf den ersten Blick im Leben eines Mannes geben kann wird einige Seiten weiter genau dies beschrieben. Florent sieht Camille, sie sieht ihn, die Zeit bleibt stehen. Mehrere Seiten schreibt er über diese Frau und die Beziehung der beiden, OHNE dass der Sex zwischen ihnen explizit beschrieben wird. Glaubt Houellebecq doch an Liebe? Ich kann mich nicht erinnern, dass in seinen bisherigen Büchern schon mal um wirkliche Liebe ging. Langsam mache ich mir Sorgen um den Autor.
Landwirtschaft
Sehr gut dagegen fand ich die Darstellung der Not der französischen Landwirte. Florents bester Freund hat einen großen Hof mit Milchkühen. Er besucht ihn gerade, als die Milchpreise nochmals drastisch reduziert wurden. Die Landwirte rotten sich zusammen und planen aufsehenerregende Protestaktionen, in denen das Waffenarsenal des einen eine große Rolle spielt. Diese Szenen sind spannend, das Bauernsterben ist traurig. An dieser Stelle springt er wieder in Richtung Zukunftsroman und treibt die vergangenen Bauernproteste auf eine tragische Spitze.
Ekel
Doch nach über 200 Seiten passiert das, was ich erwartet habe: der Roman widert mich an.
Florent entdeckt bei einem Nachbarn selbstgedrehtes Kinderpornografisches Material. Florent leidet unter den Aufnahmen. Aber nicht, weil ein ca. 10 jähriges Mädchen zu sexuellen Handlungen aufgefordert wird, sondern weil die Aufnahmen so amateurhaft schlecht sind. Und nicht nur das. Das Mädchen wird auch als Nutte hingestellt. Sie kommt freiwillig in das Haus und wurde sicher gut dafür bezahlt.
Lieber Michel: das geht gar nicht!
Houellebecq und ich
Bleibt nur noch zu klären, warum ich immer wieder zu den Büchern des französischen Autors greife. Mein erster Kontakt mit seinem Werk fand 2006 statt. Ich sah den Film Elementarteilchen im Kino, ich fand ihn nicht schlecht und las danach das Buch. Hatte ich im Film noch humoristische Teile entdeckt, hat mich das Buch eher schockiert. Was nach meiner Ansicht durchaus in der Absicht des Autors lag. Vielleicht bin ich auch nur etwas prüde? Auch das mag ich nicht ausschließen.
Als preisgünstige Sonderausgabe erstand ich seinen Roman „Plattform“. Thema: Sextourismus in Asien. Das Buch hat mich echt fertig gemacht. Ja, ich bin zu prüde für seine Bücher, ja er hat es hier auf die Spitze getrieben, aber das konnte ich kaum noch lesen. Ich sagte mir: das ist kein Autor für mich.
Doch dann sollte im Lesekreis Karte und Gebiet besprochen werden. Diesen Roman fand ich gar nicht so schlecht. Schließlich wurde darin Michel Houellebecq selbst ermordet… Im Ernst, dieses Buch empfand ich als sehr interessant konstruiert.
Trotzdem regen mich seine Bücher immer wieder auf. Wegen dem darin beschriebenen Frauenbild. Warum habe ich also wieder ein Buch von ihm gelesen? Ich kann das nicht beantworten. Es ist so ähnlich, wie wenn man als Kind mit einem Stöckchen in etwas Ekligem herumstochert. Es ist widerwärtig, trotzdem macht man es.
Ich bin wohl auch nicht die Einzige, die seine Bücher kritisch bewertet. Der Stern nannte ihn einen „klassischen Vertreter der Ältere-intellektuelle-Männer-Sexliteratur“.
Sein Auftritt bei einer Lesung in Köln Anfang 2015 bestätigte mein Bild von ihm nur noch. Immerhin habe ich mir dieses neue Buch nicht gekauft, sondern in der Bücherei ausgeliehen.
Unterwerfung
Houellebecqs nächster Coup war Unterwerfung. In diesem Zukunftsroman wird Frankreichs Macht von einer muslimischen, frei gewählten Partei übernommen. Auch ein sehr interessanter Blickwinkel, doch auch dieses Buch empfand ich als frauenfeindlich, was nun auch am Thema liegen mag.
Unterwerfung hat auch einen sehr tragischen Hintergrund. Am Erscheinungstag im Januar 2015 wurde der Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo verübt. Ich konnte den Autor am 19.1.2015 in Köln noch auf einer Lesung erleben. Danach brach er die Lesereise für sein Buch ab. In der letzten Ausgabe des Satiremagazins wurde am Tag des Anschlags sein Buch Soumission abgebildet.
Fazit
Wer die Bücher von Michel Houellebecq mag, kommt bei Serotonin voll auf seine Kosten. Es provoziert, ist gesellschaftskritisch und hat wirklich sehr spannende Szenen. Das ewige Gejammer des Protagonisten hätte aber verkürzt werden können.
Houellebecqs Bücher werden zu Recht viel diskutiert. Dieses sicher nicht so sehr wie der Vorgänger.
Würde er einen Roman über die Nöte der französischen Landwirte schreiben, ohne auf diesen depressiven Protagonisten und dessen Libido einzugehen, könnte ein richtig tolles Buch daraus werden. Denn schreiben, das kann er.
Hallo Silvia,
ich scheue mich schon immer seine Bücher zu lesen und ich danke dir für diese Rezension und deine Worte zu all den anderen Büchern! Du hast zu Papier (oder auf den Bildschirm) gebracht, warum ich ihn nicht lesen möchte und wohl auch nie werde. Ich möchte unterhalten werden, auch von Romanen, die schwierige Themen haben. Ich lese viel #GegenDasVergessen. Aber dieser eingearbeitete Ekel und Sex…., nur um das Buch irgendwie aufzupeppen (so mein Gefühl), ist so gar nicht mein Ding. Also werde ich weiterhin eure Rezis lesen und mich freuen, mich diese Bücher nicht anzutun. hihi
GlG, monerl
Hallo Monerl,
Dann bleibe dabei.
Wie gesagt, ich kann mir nicht recht erklären, warum ich seine Bücher lese.
Vielleicht brauche ich die Reibung mit seinem Stil.
Viele Grüße
Silvia