[Rezension] Kristine Bilkau: Eine Liebe, in Gedanken
Sonntag, 8. April 2018
Eine Liebe in Briefen
Könnt ihr Euch noch an die Zeit erinnern ohne Handy, Internet, stundenlange Telefonate? Als ein einziges Telefonat wahnsinnig teuer war? Viele von Euch wahrscheinlich nicht! Beim Lesen dieses Buches kamen viele Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit hoch.
Es war am Ende meines Studiums als mein Freund ein Praxissemester in Singapur verbrachte. 6 lange Monate. Er vermietete sein Zimmer unter und flog davon. Es folgten viele Luftpostbriefe, einmal in der Woche telefonierten wir. Er durfte auf Firmenkosten telefonieren. Doch wenn die Sehnsucht zu groß war – häufig durfte das aus finanziellen Gründen nicht sein – rief ich auch schon mal außer der Reihe an. Ich wohnte in einer WG, es gab ein Telefon, das Einheiten zählte, die jeder WG-Bewohner akribisch aufschreiben musste. Bei jeder Einheit klickte der Zähler. Ein Anruf nach Singapur verursachte quasi ein Dauerklicken. Ein paar Minuten schlugen direkt mit 60 Mark zu Buche!
Diese schwierigen Kommunikationsmöglichkeiten spielen in dem Buch „Ein Liebe, in Gedanken“ eine große Rolle.
Eine Liebe, in Gedanken
Die Mutter der Ich-Erzählerin stirbt. Allein in ihrem Bett. An Herzschwäche. Die Tochter räumt die Wohnung aus. Sie hatte ein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter. Sie weiß vieles von ihr. Die Mutter – Antonia, genannt Toni – erzählte viele Geschichten aus ihrem Leben und die Tochter hörte immer gut zu. Die Geschichte, die sie am häufigsten erzählte, war wohl die von ihrer großen Liebe Edgar.
Als Toni Edgar 1964 kennenlernt, wohnt Toni in Hamburg und kann von ihrem Job leben. Sie sind beide Anfang 20. Die beiden verbringen eine unbeschwerte Zeit miteinander und glauben an eine gemeinsame Zukunft. Und das obwohl beide sehr verschieden sind. Edgar ist sehr zurückhaltend und eher ängstlich, Toni forsch und anpackend. Toni will ihr Leben meistern, will die Pille nehmen, die man ihr aber verweigert, weil sie nicht verheiratet ist und noch keine Kinder hat, sie drängt Edgar Herausforderungen anzunehmen.
Edgar, immer unzufriedener mit seinem Job, geht nach Hongkong, um dort eine Dependance seiner Firma aufzubauen. Er verspricht, Toni nachzuholen. Als nach ein paar Monaten das langersehnte Telegramm kommt, gibt Toni alles auf. Den Job, die Wohnung. In Wartestellung verbringt sie die nächsten Monate, aber das langersehnte Flugticket schickt ihr Edgar nicht.
Unerfüllte Erwartungen
Es wird ein anderes Leben, als Toni sich erwartet und gewünscht hat. Wechselnde Beziehungen, zwei Ehen, eine Tochter. Die Erfahrung aus jungen Jahren lässt sie nicht los. Wird sie irgendwann erfahren, was zum Scheitern der Beziehung geführt hat?
Auch die Tochter läßt diese Frage nicht los und sie versucht nach dem Tod der Mutter Antworten zu finden.
Mutter-Tochter-Geschichte
Eine schöne Mutter-Tochter-Geschichte. Die Leben der Beiden werden im Buch eng verwoben. Mal erzählt die Mutter, mal die Tochter. Daraus ergibt sich ein Bild für den Leser. Die Mutter, die mit ihrer eigenen Mutter viele Probleme hatte, wünscht sich Freiheit, die Tochter eher Beständigkeit. Und Hanna, die Enkelin von Toni, gerade 18 Jahre alt, möchte nach der Schule die Welt sehen.
Bilkau erzählt ihre Geschichte in den 1960er Jahren. Eine Zeit, in der noch täglich Briefe geschrieben werden. Auch Edgar ist ein leidenschaftlicher Briefeschreiber. Die Zeit des Briefeschreibens wird immer als sehr positiv bewertet. Aber wie ist es denn wirklich, wenn man auf Informationen angewiesen ist? Edgar schreibt aus Hongkong massenhaft Briefe, die nach ca. 3 Wochen bei Toni ankommen. Nach weiteren 3 Wochen kann er auf eine Antwort hoffen. Was ist da mit den Emotionen, die er beim Schreiben hatte? Vermutlich passt die Antwort gar nicht mehr zur aktuellen Stimmung.
Tonis Tochter hat nach dem Tode der Mutter gleich an zwei Fronten zu kämpfen. Auf der einen Seite ist der Tod der Mutter zu verarbeiten und auf der anderen Seite kämpft sie mit dem Erwachsenwerden der Tochter Hanna.
Das Alter
Als sie ihrer Mutter einmal anvertraut, dass sie Angst vorm Alter hat, vor dem Alleinsein tröstet Toni sie mit folgenden Worten:
„Du musst dir keine Sorgen machen,“ hatte sie zu mir gesagt, mit ihrer jungen, zuversichtlichen Stimme. „Du wirst den Reichtum deiner Gedanken haben.“
Kristine Bilkau hat nach „Die Glücklichen“ mit „Eine Liebe, in Gedanken“ einen weiteren sehr lesenswerten Roman geschrieben.
Happy End
Unsere Fernbeziehung dauerte „nur“ 6 Monate. Wir haben es überstanden und sind inzwischen lange verheiratet. Aber ob es auch ein Jahr oder länger gut gegangen wäre?
Kristine BilkauEine Liebe, in GedankenRoman Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 256 Seiten ISBN: 978-3-630-87518-7
Verlag: Luchterhand Literaturverlag Erschienen: 12.03.2018 |
Hallo Astrid, das Buch hört sich nach einer wunderschönen Geschichte an. Erfährt der Leser denn auch warum sich Edgar nicht mehr gemeldet hat? Das Buch kommt auf alle Fälle auf meine Wunschliste. Liebe Grüße und einen schönen Sonntag Marion
Hallo Marion,
ein wenig Interpretation vom Leser ist schon gefragt, was die Beantwortung einiger Fragen angeht. Aber ein wenig Mitdenken macht ein Buch doch umso reizvoller.
Viel Spaß beim Lesen. Heute hoffentlich gemütlich in der Sonne 🙂
LG Astrid
Hallo Astrid,
das lange Warten auf Post war bestimmt nicht einfach, denn wie du schon erwähntest, die Emotionen haben sich nach 6 Wochen mitunter verändert.
Ich kenne noch die Zeiten der intensiven Brieffreundschaften und freute mich immer riesig, wenn ich einen Brief vorfand.
Das Buch hört sich für mich sehr gut an und kommt deshalb auf meine Liste.
Vielen Dank.
Liebe Grüße von Heike
Liebe Heike,
die 6 Wochen bezogen sich aufs Buch. Bei mir waren die Zeiten zwischen Brief und Antwort schon gar nicht mehr so lange. Aber trotz allem ist es doch mit den heutigen Kommunikationsmitteln nicht vergleichbar. Ich hatte auch viele Brieffreundschaften in vielen Ländern. Da wurde der Briefträger noch mit Freude erwartet.
Viel Freude beim Lesen. Bin gespannt, ob du es auch magst.
Viele Grüße
Astrid
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