Sofi Oksanen: Baby Jane
Samstag, 21. Januar 2023
Rezension
Oksanen hat den Roman Baby Jane bereits 2005 veröffentlicht. Dieses Jahr erschien dieses Buch endlich auch auf Deutsch. Baby Jane ist der zweite Roman von Sofi Oksanen. Manchmal ist es ja bei bisher nicht veröffentlichten früheren Werken so, dass ich nach dem Lesen verstehe, warum es noch nicht auf den Markt kam, häufig sind sie einfach noch nicht so gut wie die Nachfolger. So war ich vor der Lektüre sehr gespannt, wie ich das bei Baby Jane sehen würde.
Verliebt
Der Roman Baby Jane wird von einer namenlosen Ich-Erzählerin geschildert. Sie lebt in Helsinki, lernt Piki kennen und verliebt sich Hals über Kopf in die schöne, charismatische Frau.
So handelt der erste Teil des Buches von dem Beginn dieser Liebe. Das ist temporeich geschrieben, die zwei feiern die Nächte in Clubs durch, sind total ineinander verknallt und träumen schon von der Möglichkeit ihre gleichgeschlechtliche Beziehung zu legalisieren. Sie ergänzen sich und geben sich Gegenseitig Halt und Sicherheit
Noch nie hatte jemand mich so im Arm gehalten, Haut an Haut, so gänzlich verborgen vor der Welt, so sicher. So zuverlässig sicher.
Als das Geld ausgeht, überlegen sie gemeinsam, wie sie etwas verdienen können.
Denn einen regelmäßigen Job aufzunehmen: das schaffen beide nicht.
Hoch
Denn beide Frauen sind psychisch krank. Sie leiden unter Depressionen. Genaue Diagnosen werden nicht angegeben. Die Symptome sind auch recht unterschiedlich. Bei beiden sind die Krankheiten auch amtlich anerkannt, so dass sie eine kleine Unterstützung bekommen. Doch das reicht natürlich nicht aus um ständig Party zu machen, viel Alkohol und gelegentlich auch Drogen zu konsumieren.
Die stürmische Phase der Liebe erzeugt vielleicht eine Art manische Phase, in der einige der weiteren Symptome wohl nicht so stark auftreten. Doch das ist keine medizinische Interpretation, das kann ich mir nicht anmaßen.
Und ich glaubte, das alles wäre möglich, ich hatte keinen Grund daran zu zweifeln. Wir träumten von nichts, was ich für unmöglich hielt, nur von kleinen großen entzückenden Dingen, für die man nichts braucht als die Geliebte und genügend Liebe, und davon hatten wir mehr als reichlich.
Tief
Im zweiten Teil ist „Ich“ auf einem ziemlichen Tiefpunkt. Ohne Erklärung lebt sie plötzlich mit einem Mann zusammen und verbringt ihre Tage größtenteils in der Badewanne.
Wenn ich in der Wanne lag, konnte ich ungehindert die Wand anstarren und brauchte weder etwas zu tun noch zu sagen.
Aus dem lebensfrohen Partygirl ist eine lethargische Frau geworden, die verzweifelt versucht ihrem Freund zu gefallen und ihre Schönheit zu erhalten. Es scheint das einzige Kapital zu sein auf das sie noch bauen möchte. Sie gibt viel Geld für Kosmetik aus und pflegt ihren Körper.
So überbordend der erste Teil des Buches war, so zähflüssig wirkte auf mich der zweite. Ich spürte geradezu wie lang so ein Tag ohne Aufgabe, ohne Ansprache, ohne Liebe ist. Ich hatte das Gefühl, das Oksanen den Stil auf diese Situation anpasste.
Es gibt erstmal keine Erklärung was passiert ist, wie es zur Trennung von Piki kam, der Frau, nach der sie sich vor Sehnsucht regelrecht verzehrt.
Dreierbeziehung
Nach und nach kommt heraus, was passiert ist. Allerdings empfand ich die zweite Hälfte des Buches als nicht so einfach zu lesen. Denn die Autorin springt etwas in den Zeiten hin und her. Es wird berichtet, wie die Beziehung zwischen „Ich“ und Piki zerbrach und auch wie sie sich neu annähern. Da musste ich mich schon konzentrieren um eine Chronologie im Kopf aufzubauen.
Auf jeden Fall kommt heraus, das Bossa, eine alte Freundin von Piki, einen Keil zwischen die zwei Liebenden getrieben hat.
Bossa war geschmacklos, farblos, konturlos und dennoch allgegenwärtig. Wie Sauerstoff. Unbesiegbar. Man konnte sie nicht loswerden.
Bossa ist eine Ex-Partnerin von Piki. Doch der Kontakt ist weiter recht eng. So übernimmt Bossa viele alltägliche Aufgaben für Piki. Letztere glaubt diese aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht selbst zu schaffen. Doch Bossa nutzt das aus. Sie setzt Piki unter Druck, indem sie zum Beispiel einfach mal eine Woche nicht einkaufen geht. Durch diese Machtspielchen wird Pikis Zustand immer schlimmer.
Diese toxische Dreierbeziehung gipfelt am Ende in eine Tragödie.
Titel des Buches
Oksanen lehnt sich mit diesem Roman lose an den Film von Robert Aldrich „Was geschah wirklich mit Baby Jane“ an. Auch dort geht es um eine toxische Abhängigkeitsbeziehung, allerdings zwischen zwei Schwestern. Die sexuelle Komponente fehlt hier also. Doch wie das Buch, endet auch der Film dramatisch-tragisch und lässt ein paar Punkte offen. Der Film von 1962 ist übrigens mit Bette Davis und Joan Crawford sehr hochkaratig besetzt.
Fazit
Baby Jane von Sofi Oksanen ist ein stimmiger Roman über eine toxische Dreiecksbeziehung. Er gibt einen Einblick in verschiedene psychische Erkrankungen und ihre Folgen. Rein sprachlich habe ich nicht bemerkt, dass es sich um ein Frühwerk handelt. Oksanen hat mich auch mit diesem Buch zu einem sogartigen Lesen verleitet. Das Thema psychische Erkrankungen empfinde ich als sehr aktuell. Ich merkte dem Buch sein Alter nicht an.