Noemi Somalvico: Ist hier das Jenseits, fragt Schwein
Sonntag, 29. Januar 2023

Ich glaub mein Schwein pfeift
Im Ernst: Schwein ist in diesem ungewöhnlichen Debütroman von Noemi Somalvico eines der Hauptprotagonisten, aber ich kann mich nicht daran erinnern, ob Schwein wirklich pfeift. Aber es fährt in den Urlaub, hat eine Wohnung, legt Makeup auf. Und Schwein wurde von Biber verlassen, ist jetzt Single und etwas depressiv und außerdem sehr gut mit Reh befreundet.
Inhalt
Schwein und Reh sind gut befreundet, aber auch einsam. Sie hätten gerne wieder einen Partner. Schwein lernt Dachs kennen. Dachs erfindet Dinge, zum Beispiel einen Apparat, mit dem man Gott besuchen kann. Da Reh keinen Urlaub nehmen kann, machen sich Schwein und Dachs zu zweit auf den Weg zu Gott. Dieser möchte auch mal raus und deshalb nehmen sie Kurs aufs Jenseits.
Hört sich alles skurril an? Ist es auch.
Gendergerecht
Über die Tiere wird ohne Artikel geschrieben. Es heißt als nicht das Schwein, oder das Reh. Sondern nur Schwein, Dachs, Hirsch oder Reh. Ihnen werden auch nicht explizit Geschlechter zugewiesen. Deshalb war ich doch sehr über mich selbst erstaunt, das ich das unbewusst trotzdem tat. Schwein und Reh waren in meiner Vorstellung weiblich, Hirsch und Dachs männlich. Was viel über mein Geschlechterbild aussagt. Hirsch als Aufreißer, der sich nach der ersten Nacht aus dem Staub macht, Dachs als schlauer Erfinder. Schwein und Reh eher so die schwachen Opfer.
Ich denke, das wurde bewusst so gemacht und beschämt mich ein wenig, dass ich da direkt in diese „Falle“ getappt bin. Da kann ich noch einiges an mir arbeiten.

Gott
Gott ist übrigens männlich, allerdings werden auch Göttinnen erwähnt. Diese sind aber wohl für andere Welten zuständig. Von seiner Erde sind sie nicht sehr überzeugt.
Er ist zwar allmächtig, aber sehr sensibel und seinen eigenen Launen ausgeliefert. Er hat eine Schwester, die ihn immer wieder zusammenstaucht.
Gott kann krank werden, sich langweilen und wohnt in einem kleinen Haus. Diese Vermenschlichung von Gott fand ich witzig und erinnert mich an das, was ich mir als Kind so vorstellte. Womit ich nicht sagen möchte, dass es sich hier um ein verkapptes Kinderbuch handelt. Keinesfalls.
Auf alle Fälle hat Gott keinen Bock mehr auf seinen Job:
Ich war bis heute euer Gott und nun wandere ich aus. Ein anderer Gott übernimmt an meiner Stelle.
Tiere
Dadurch, dass hier keine Menschen, sondern verschiedene Tiere im Mittelpunkt stehen, bekommt der Roman etwas fabelartiges.
Direkt zu Beginn des Buches musste ich an Animal Farm von George Orwell denken. Auch dort gibt es keine Menschen, sondern Tiere, die wie Menschen handeln.
Doch inhaltlich haben diese beiden Bücher nichts gemein. Zeichnet Orwell doch das Bild einer gewaltsamen Diktatur einer Herrenrasse, geht es bei dem Roman von Somalvico viel betulicher und poetischer zu.
Kann man dann sagen, dass es sich um eine Fabel handelt? Meiner Meinung nach nicht. Zwar sind auch hier die handelnden Figuren Tiere mit sehr menschlichen Eigenschaften, doch werden keine allgemeinen Weisheiten veranschaulicht. Eher wird alles in Frage gestellt. Doch man sollte diesen Roman nicht aufgrund der Tiere versuchen in eine Schublade zu stecken. Im Gegenteil solltest du beim Lesen einfach offen für alles sein. Alles einfach mal auf sich zukommen lassen und dann darüber nachdenken. Denn diese Welt mit Tieren ist natürlich ein Spiegel auf uns, unsere Gesellschaft.
Parallelwelt?
Ich denke die in diesem Buch beschriebene Erde ist gar nicht unsere, sondern nur eine Art Paralleluniversum, in dem zufällig vieles so läuft wie bei uns. Auch vieles so schlecht läuft wie hier. Die Vereinsamung in unserer Gesellschaft zum Beispiel.
Vielleicht ist unser Gott eine Göttin, oder jemand, der sich gar nicht mehr kümmert oder mal durchgreift. Auch in der Welt von Schwein und Reh gibt es massive Umweltschäden.
Und eigentlich wissen wir ja, dass wir selbst verantwortlich sind für unser Leben, unsere Gesellschaft und auch unsere Vergehen an der Umwelt. Da kann uns kein Gott helfen. Das müssen wir schon selbst machen.
Doch ich möchte hier keine Moralkeule schwingen. Was dieser Roman im Übrigen auch nicht macht. Nein, im Gegenteil, er macht viel Spaß.

Fazit
Ist hier das Jenseits, fragt das Schwein von Noemi Somalvico ist ein sehr origineller Roman, der die großen Fragen nach Gott und dem Sinn des Lebens stellt. Es ist auch ein Roman über Freundschaft. Das entstehende Kopfkino ist skurril, aber eigentlich sind wir das von Animationsfilmen längst gewohnt, nur Literatur ist das eher selten. Der Stil ist oft knapp, punktgenau und hat eine ganz eigene Poesie.
Ein kurzes Interview mit Noemi Somalvico findet ihr auch auf dem Blog.
Debütpreis 2022
Seit 2016 lobt der Blog Das Debuet einen Bloggerpreis für das beste Debüt des Jahres aus.
Die Bloggerinnen von Das Debüt lesen sich durch eine lange Liste mit dazu eingereichten Büchern und erstellen daraus eine Shortlist von fünf Titeln.
Diese werden dann von einer Jury aus anderen Literaturbloggern gelesen und beurteilt. An dieser Jury darf ich seit ein paar Jahren teilhaben. Seit der Pandemie haben wir dabei noch mehr Spaß, weil wir uns jetzt regelmäßig online treffen und über Literatur, insbesondere Debütromane reden. Ich hoffe sehr auf ein persönliches Treffen in Leipzig anlässlich der Buchmesse.
Ist hier das Jenseits, fragt das Schwein von Noemi Somalvico gehört zu der Shortlist für das beste Debüt von 2022.
Alle Bücher der Shortlist
153 Formen des Nichtseins von Slata Roschal
Liebe ist gewaltig von Claudia Schumacher
Ist hier das Jenseits, fragt Schwein von Noemi Somalvico
Lektionen in dunkler Materie von Ursula Knoll
Nordstadt von Annika Büsing
