Toxin – Blogtour
Mittwoch, 19. Juli 2023
Interview mit Susanne Thiele und Kathrin Lange
Ende Juli erscheint der neue Wissenschaftsthriller Toxin von den beiden Autorinnen Kathrin Lange und Susanne Thiele. Ich habe mich schon oft gefragt, wie es wohl ist, gemeinsam ein Buch zu schreiben. Wie spricht man sich ab? Trifft man sich persönlich? Gibt es da nicht auch mal Unstimmigkeiten?
Kathrin Lange hat schon einige Romane veröffentlicht. Susanne Thiele ist von Haus aus Wissenschaftlerin und schrieb auch schon mehrere Sachbücher, in denen wissenschaftliche Zusammenhänge verständlich erklärt werden, das macht sie auch in kleineren Häppchen auf ihrem Blog Mikrobenzirkus. So habe ich sie auch kennengelernt, denn sie hat schon mehrmals bei unseren Blogtouren mitgemacht.
Susanne und Kathrin haben jetzt schon zwei Bücher gemeinsam geschrieben und veröffentlicht. Sie waren so nett und gaben mir ein Interview per Mail, in dem es sich um das Thema Zusammenarbeit dreht.
Wer sind die Autorinnen?
Silvia: Könnt ihr euch bitte kurz vorstellen? Wer seid ihr?
Kathrin Lange: Mein Name ist Kathrin Lange, und ich schreibe schon, so lange ich denken kann. 2005 erschien mein Debüt, und seitdem habe ich mehr als 25 Romane in verschiedenen Genres veröffentlicht. 2014 habe ich mich auf Thriller verlegt, die einen aktuellen Bezug haben – politische und wissenschaftliche Themen und ihre Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, das interessiert mich. Ganz im Gegensatz dazu verhalten sich meine Jugendromane, die zwar auch immer viel Wert auf Spannung legen, bei denen aber die Romantik und die Literatur eine größere Rolle spielen.
Susanne Thiele: Die Zweite im Autorinnenduo bin ich – Susanne Thiele – Biologin und Wissenschaftsjournalistin. Ich schreibe seit 2013 nebenberuflich Bücher. In meinem Hauptberuf bin ich seit vielen Jahren in der Wissenschaftskommunikation als Pressesprecherin tätig für verschiedene Forschungsinstitutionen, aktuell am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. Ich bin über meinen Blog „Mikrobenzirkus“ zum Bücherschreiben gekommen und habe zuerst populärwissenschaftliche Sachbücher veröffentlicht. Über Erzählungen und Kurzgeschichten kamen später auch belletristische Formate dazu und die Idee von einem eigenen spannenden Science-Thriller entstand.
Die Bücher
Silvia: Was habt ihr vor eurer Zusammenarbeit veröffentlicht oder woran arbeitet ihr?
Kathrin Lange: Meine Reihe um den muslimischstämmigen Berliner Sonderermittler Faris Iskander, die von 2014 bis 2016 erschienen ist, liegen mir da am Meisten am Herzen. Bei Faris bin ich zum ersten Mal mit meinem Erzählen politisch geworden, habe aktuelle – manchmal sogar tagesaktuelle – gesellschaftliche Entwicklungen in die Stories einfließen lassen. Was 2015, zum Zeitpunkt der großen Flüchtlingsbewegungen, durchaus eine Herausforderung war, wie du dir vorstellen kannst. Genau aus dem Grund war es mir aber auch extrem wichtig.
Silvia: Das hört sich spannend an, ich gebe zu, bisher habe ich noch nichts von dir gelesen, doch das werde ich nachholen.
Susanne, worum geht es in deinen Büchern?
Susanne Thiele: Meine erzählenden Sachbücher drehen sich um biologische Themen rund um Evolution und Partnerwahl, Mikroben, Mikrobiom und Gesundheit – Wissensvermittlung mit viel Alltagsbezug, Aha-Effekt und Augenzwinkern.
Zu den Titeln gehören beispielsweise „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Türklinke – Wie Mikroben unseren Alltag bestimmen“ (2019 bei HEYNE) zum Trendthema Mikrobiom und Mikroorganismen in unserem Alltag.
Im Moment schreibe und recherchiere ich auch noch zu einem neuen erzählenden Sachbuch zur Faszination Natur und dazu, wieviel wir uns abschauen können von ihren innovativen Lösungen in mehr als drei Milliarden Jahren Evolution. Stichwort: Bionische Erfindungen vom Klettverschluss bis zur Haihaut an Flugzeugen.
Silvia: Haihaut? Ich glaube, das Buch muss ich lesen. Bionic ist für mich irgendwie noch Science-Fiction. Es wäre interessant, über dieses Thema verständlich informiert zu werden.
Kennenlernen
Silvia: Wie habt ihr euch kennengelernt?
Kathrin Lange: Wir haben uns das erste Mal auf Workshops und einer Tagung einer regionalen Kulturinitiative getroffen. Es ging dort um das Thema „Vernetzung“, und das haben wir beide dann auch gleich wörtlich genommen.
Susanne Thiele: Wir haben zufällig beim Kaffee zusammengestanden, waren uns sehr sympathisch und haben noch auf dieser Veranstaltung die ersten Ideen für PROBE 12 entwickelt.
Silvia: Das ist ja lustig und war nun wirklich ein Zufall, dass ihr am gleichen Tisch gestanden habt.
Dieses Projekt
Silvia: Und so kam es dann zu diesem Buchprojekt?
Susanne Thiele: Ich wusste, dass Kathrin Thrillerautorin ist, und hatte die Grundidee für den Roman bereits im Kopf. So kamen wir auf der Autorentagung miteinander ins Gespräch und dachten uns schnell, dass wir uns perfekt ergänzen können.
Kathrin Lange: Ich hatte zu der Zeit eine Anfrage eines Verlages nach einem Science-Thriller und war kurz davor, sie abzulehnen, weil ich mir die Recherche – vor allem zeitlich – nicht zutraute. Als Susanne mir dann von ihrer Idee erzählte und ich ihr von dieser Verlagsanfrage, war relativ schnell klar, dass wir etwas Gemeinsames machen wollten.
Silvia: Eine typische „nicht gesucht und doch gefunden“ Geschichte. Der Beginn einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Manchmal passt einfach alles.
Zwei Autorinnen – ein Buch
Silvia: Wie schreibt man denn nun zusammen ein Buch? Wie teilt ihr euch die Arbeit auf?
Susann Thiele: Einem neuen Buch geht immer eine ganz intensive Lese- und Recherchephase voraus, um einen wissenschaftlich interessanten Aufhänger für unsere Story zu finden, die sich immer um gesellschaftlich oder gesundheitspolitisch relevante Themen dreht. Das ist meist mehr mein Part.
Dann versuchen wir aus dem ganzen Input einen tragenden Plot mit vielen Twists zu stricken, das ist die Stärke von Kathrin als langjährige Thriller-Autorin.
Kathrin Lange: Für „Probe 12“ haben wir ganz zu Anfang unsere beiden Protagonist:innen Nina Falkenberg und Tom Morell erfunden, haben ihnen eine Backstory gegeben und uns auf die wesentlichen Punkte ihrer Biografie geeinigt. Danach ging es, wie Susanne eben schon gesagt hat, darum, aus ihrem Fachwissen Thrillerszenen zu entwickeln. Das muss man sich durchaus als intensive Diskussionen zwischen uns vorstellen. Ich habe eine Idee, die ich klasse finde, Susanne findet sie unrealistisch und dann diskutieren wir aus, wo wir uns treffen können.
Susanne Thiele: Da sind wir durchaus nicht immer einer Meinung, raufen uns aber letztendlich immer zusammen. Dass wir im Laufe unseres Schreibens zu guten Freundinnen geworden sind und ein schönes Vertrauensverhältnis haben, hilft natürlich.
Kommunikation
Silvia: Das hört sich nach vielen Gesprächen und intensiver Absprache an. Wie habt ihr kommuniziert?
Susanne Thiele: Wir befinden uns in einem ständigen, fast täglichen Austausch miteinander, besprechen unsere Rechercheergebnisse, diskutieren, entwickeln Ideen und verwerfen sie wieder.
Kathrin Lange: Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, fange ich an, die ersten Szenen zu skizzieren. Ich denke oft schon bei unseren Diskussionen szenisch, frage mich ständig, wie man Susannes Recherchen in einzelne Handlungsstränge verpacken kann. Da wir unsere beiden Protagonist:innen Tom und Nina untereinander aufgeteilt haben – Susanne ist für Nina zuständig, ich für Tom –, schreiben wir den Roman dann sozusagen gemeinsam. In der Überarbeitung sorge ich dafür, dass unsere beiden Stile angeglichen werden, sodass ein einheitliches Bild entsteht.
Silvia: Das hört sich ganz ähnlich wie die Projektarbeit in meinem Job an. Da gibt es auch schon mal Konfliktpotenzial. Wie ist das bei Euch?
Konflikte?
Kathrin Lange: Ein typischer Diskussionspunkt zwischen Susanne und mir ist es, wenn ich etwas mehr Drama im Thriller brauche und die Spannung hochdrehen möchte – manchmal bis an oder über die Grenze der noch realistischen Forschungsszenarien. Dann gibt es, wie gesagt, schon ausführliche Diskussionen. Da Susanne aber auch als Autorin am Thriller-Plot mitarbeitet, finden wir immer eine praktikable Lösung. Da habe ich das große Glück, dass sie eben auch als Romanautorin mitdenkt.
Susanne Thiele: Dass wir hart an den wissenschaftlichen Fakten entlang schreiben, birgt natürlich die Gefahr, dass wir auch manchmal von der Entwicklung fast überholt werden. dann müssen wir schnell reagieren, Plot-Ideen komplett umstricken, wenn z.B. wie bei „Probe 12“ in der Realität ein neuartiger Impfstoff entdeckt wird, der unsere ganze rasante Jagd nach einem Heilmittel über den Haufen wirft. Hier war die Lösung einfach ein ganz neuer resistenter Erreger und ein anderes Krankheitsbild. Die Figuren konnten wir komplett übernehmen. Bei TOXIN mussten wir das ganze Permafrost-Szenario aus Sibirien nach Alaska verlegen – um Probleme, die sich aus den Unvorhersehbarkeiten des noch andauernden Ukraine-Krieges ergeben könnten, von vornherein abzufedern.
Silvia: Das hört sich ziemlich spannend an und spricht Probleme bei der Plotentwicklung, die ich gar nicht bedacht habe.
Lektorat
Silvia: So ein Buch entsteht ja nicht nur durch die Autorinnen. Da sind auch noch andere Menschen beschäftigt. Zum Beispiel das Lektorat. War die Betreuung zweier Autorinnen für euren Lektor auch eine Herausforderung?
Susanne Thiele: Ich denke keine extreme Herausforderung. Unser Lektor René Stein bekommt von uns ein gemeinsames Manuskript, über das wir uns schon vorher die Köpfe heiß diskutiert haben. Aber ich muss manchmal ein paar wissenschaftliche Fakten wieder richtig rücken, wenn sie rauslektoriert oder zu stark vereinfacht wurden.
Kathrin Lange: Das musst du unseren Lektor fragen. 😉 Nein, Scherz beiseite. René und ich haben uns gern mal in der Wolle, vor allem, wenn es um gender- oder Mann/Frau-Themen geht. Aber wir kabbeln uns stets mit Blick auf das beste Ergebnis im Text, und, zumindest was mich angeht, ist die Diskussion mit ihm immer sehr horizonterweiternd.
Silvia: Ja, ich kann mir vorstellen, dass ein Lektor ein wichtiger Diskussionspartner ist.
Reihenfolge
Silvia: Wie habt ihr entscheiden, welcher Name auf dem Cover zuerst genannt wird?Susanne Thiele:Das ergibt sich ganz einfach und fair alphabetisch. L kommt vor T. J
Silvia: Das ist ein sehr pragmatischer Ansatz, gefällt mir.
Veränderungen
Silvia: Toxin ist nach Probe 12 schon euer zweiter gemeinsamer Thriller um die Wissenschaftsjournalistin Nina Falkenberg und Tom Morell. Hat sich eure Arbeitsweise verändert?
Kathrin Lange: Die Figuren Tom und Nina und auch ein paar wichtige Nebenfiguren wie Toms Tochter Sylvie standen schon, das machte es einfacher bei TOXIN. Jeder Thriller hat aber neue und ganz eigene Probleme. Zum Beispiel hat die Zeitverschiebung zwischen Deutschland und Alaska uns vor echte Herausforderungen beim Konstruieren der Timeline gestellt. Ich habe manchmal geseufzt: Der nächste Roman spielt komplett in Berlin, das schwöre ich euch! Mal sehen, ob das klappt.
Silvia: Aber klasse, dass ihr euch diese Gedanken gemacht habt, da habe ich schon Bücher gelesen, in denen das überhaupt nicht beachtet wurde. Susanne, welche Änderungen ergaben sich für dich beim zweiten Buch?
Susanne Thiele: Anders als bei „Probe 12“, wo ein befreundeter Berliner Autor für uns teilweise die Strecken abgelaufen ist und gefilmt hat, konnten wir aber diesmal auch vor Ort in Berlin recherchieren. Das war natürlich von Vorteil.
Silvia: Ich bin auch froh, dass die Pandemie beendet ist und Reisen wieder möglich sind. Sicher nicht einfach über Orte zu schreiben, die man gar nicht kennt.
Vorbilder
Silvia: Jetzt mal ein anderes Thema: habt ihr literarische Vorbilder?
Susanne Thiele: Für mich prägend als Teenager waren auf alle Fälle die fantastischen Geschichten von Jules Verne oder beim Studium „Jurassic Park“ von Michael Crichton als Mediziner mit seinerkreativen Verarbeitung und Vermittlung von naturwissenschaftlich-technischem Wissen. Ich muss aber auch sagen, dass mir nicht alle späteren Bücher von ihm gefallen haben. Aber er hat sehr gute knackige Nachworte geschrieben, die zum Nachdenken anregen. Bei Kurzgeschichten lese ich gern Ernest Hemingway oder Alice Munro, um auch mal eine Frau zu nennen. Da ich mich auch mit autobiografischen Schreiben beschäftige – natürlich Annie Ernaux oder die amerikanische Pflanzenökologin Robin Val Kimmerer, die wunderbar Memoir und Nature Writing zusammenbringt.
Silvia: Da haben wir ein paar Gemeinsamkeiten. Wie sieht es bei dir aus, Kathrin?
Kathrin Lange: Ich bin geprägt durch die SF und Thriller der Achtziger, Ursula K. LeGuin vor allem, aber auch Leute wie Robert B. Parker. Margaret Atwood würde ich noch nennen, sie und LeGuin haben ihre Bücher zwar nicht naturwissenschaftlich ausgerichtet, aber sie haben sich mit gesellschaftlichen Themen befasst, was mir genau wie ihnen wichtig ist. Ganz aktuell lese ich alles, was es an Romanen von Kim Stanley Robinson gibt. Er verpackt schwierige Themen wie den Klimawandel in Plots, die ich bewundere und die hinten raus vor allem immer ein optimistisches Element haben. Das ist uns bei unseren Büchern ja auch wichtig.
Silvia: Ja, bei aller Schrecklichkeit der Welt brauche auch ich immer etwas Hoffnung um nicht zu verzweifeln. Danke für diene Buchtipps, LeGuin kenne ich noch nicht.
Zukunft
Silvia: Zwei Bücher habt ihr jetzt schon gemeinsam entwickelt. Wird eure Zusammenarbeit weitergehen?
Kathrin Lange: Ja. Aktuell sitzen wir also an den Recherchen für einen dritten gemeinsamen Thriller. Nach Probe 12 und Toxin folgt ein drittes Element in der globalen Triple-Krise – das Artensterben. Eine Storyidee haben wir bereits, gerade entstehen in meinem Kopf die ersten Szenenideen. Also ja: Es wird einen weiteren Thriller von uns beiden geben.
Susanne Thiele: Die Welt erlebt derzeit das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Jeden Tag gehen 150 Arten verloren. Als Biologin und leidenschaftliche Gärtnerin ist das natürlich ein Thema, was mich auch persönlich sehr bewegt. Aktuell habe ich noch die Zeit, mich ohne viel Druck in die Thematik Artenvielfalt im Regenwald und indigenes Heilpflanzen-Wissen einzulesen. Immer auf der Suche nach den passenden Mosaiksteinchen für unseren nächsten Thriller-Plot. Das ist eine der schönsten Phasen im Buchentstehungsprozess.
Silvia: Das ist ein spannendes Thema für ein Buch, ich freue mich darauf!
Vielen lieben Dank für dieses Interview und die interessanten Antworten, die mir einen guten Einblick in eure gemeinsame Arbeit gegeben haben.
Blogtour
Dieser Artikel ist Teil einer Blogtour, die von Susanne und Kathrin anlässlich der Veröffentlichung ihres zweiten Wissenschaftsthrillers Toxin veranstaltet wird. Das Buch wird am 28.07.2023 erscheinen, bis dahin gibt es noch viele spannende Beiträge zu lesen, die bis dahin nach und nach veröffentlicht werden. Hier der Zeitplan mit den Themen:
20.07.2023: Seitenseglerin, Starke Frauen in TOXIN
21.07.2023: Briganti’s Kosmos, Spannung und Wissenschaft
22.07.2023: Enni liest, Figuren und Klischees
23.07.2023: BelleNovel, Dystopie oder Low Menace?
24.07.2023: Jojohannathiele, Was können Klimathriller
25.07.2023: Elchi’s World of Books & Crafts, Thriller & Naturwissenschaft
26.07.2023: Petrasamani, Orte: Alaska & Berlin
27.07.2023: VeraLitera, Recherche
28.07.2023: Svanvithe, Anthrax – Heilmittel oder Biowaffe
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