Anna North: Die Gesetzlose
Sonntag, 24. April 2022
Feministischer Western
Wann habe ich zum letzten Mal einen Western gelesen? Habe ich überhaupt schon mal einen gelesen? Irgendwie verbinde ich dieses Genre eher mit Filmen. „Spiel mir das Lied von Tod“ habe ich als Jugendliche zehnmal bestimmt gesehen.
Frauen spielen in den meisten Western eine eher dekorative oder tragische Rolle. Sie warten auf den Held: überlebt er das Duell oder nicht?
Doch hier ist alles anders. In „Die Gesetzlose“ geht es um Frauen im späten „wilden Westen“.
1894 erholt sich das Land von einer schweren Grippewelle. Es gab viele Tote. Männer geben den Ton an. Wenn sie eine Frau heiraten, dann nicht um mit einer Partnerin durch dick und dünn zu gehen. Die Frau hat vor allem eine Aufgabe: Kinder gebären. Wird sie nicht spätestens innerhalb des ersten Jahres schwanger, wird sie verstoßen. Sie hat danach keine Chance auf eine erneute Ehe. Und es ist total egal, aus welchen Gründen es nicht mit der Schwangerschaft klappt. Denn es ist allen klar: es liegt immer an der Frau. Über medizinische Ursachen für Unfruchtbarkeit ist dort nichts bekannt.
Auch Ada heiratet, wird nicht schwanger, wird aus dem Haus gejagt und zieht wieder bei ihrer Mutter, einer Hebamme, ein. Doch das reicht nicht: sie gilt jetzt für alles Übel im Ort als verantwortlich. Wie „Hexen“ im Mittelalter. Ihre ganze Familie gerät in Gefahr gelyncht zu werden.
Mittelalter
Ende des 19. Jahrhunderts herrschen hier mittelalterliche Zustände. Frauen werden als Hexen gelyncht. Auch Ada soll an allem möglichen schuld sein. Das geht hier allerdings nicht von der Kirche aus. Die Gesellschaft sucht einfach jemanden, dem sie die Schuld (für was auch immer) anhängen kann. Die Exekutive, durch einen Sheriff repräsentiert, gibt dem gerne nach. Denn nach der Tötung der vermeintlichen Hexe kehrt wieder Ruhe in der Gegend ein.
Wenn ein Mensch was glaubt, kann man es ihm nicht einfach nehmen. Du musst ihm etwas zum Tauschen anbieten.
So entschließt Ada sich zur Flucht. Das gilt als Schuldeingeständnis, ein Kopfgeld wird auf sie ausgesetzt.
Kloster
Zuerst findet Ada Zuflucht in einem Kloster. Das Beste dort ist für sie die Bibliothek. Ada hat ein großes Ziel: sie will herausfinden, warum manche Frauen unfruchtbar sind. Doch medizinische Abhandlungen sind schwer zu bekommen und oft nicht gerade wissenschaftlich. Da gerät sie an ein Buch einer Hebamme. Ada hat durch die Mutter schon viel Wissen über den weiblichen Körper und rudimentäre medizinische Kenntnisse erlangt. Sie fasst den Entschluss diese andere Hebamme ausfindig zu machen und bei ihr noch viel mehr zu lernen.
The Kid
Ada schließt sich einer Gangstercrew an. Alles Gesetzlose, die per Steckbrief gesucht werden. Allen voran der berüchtigte Anführer „The Kid“. Doch als Ada auf die Truppe trifft, ist alles ganz anders als erwartet.
Die „Hole in the Wall“-Gang und ihr Anführer The Kid lebt zurückgezogen in den Bergen. Ein hartes Leben. Ada ist durch ihre medizinischen Kenntnisse ein Gewinn für die Truppe. Doch wird sie sich auch bei einem Überfall beweisen?
Gewalt
Die Hole in the Wall-Gang ist kein harmloses Trüppchen Aussteiger. Um Geld für Vorräte und die Erfüllung ihrer Pläne zu besorgen zögern sie nicht vor Gewalt zurück. Alles tragen Schusswaffen und machen bei Bedarf auch Gebrauch davon. Sie sieht sich auch Ada gezwungen auf einen Mann zu schießen und tritt damit eine weitere Gewaltkette los.
Ein Menschenleben zählt hier nicht viel. Das Leben ist auch ohne Gewalt sehr schwer, die Natur unbarmherzig. Nur wenige Menschen werden alt.
Viele der Western Filme werden aus Sicht der Gesetzeshüter gedreht. Hier bin ich aber natürlich aufgrund der gewählten Perspektive auf Seite der Gesetzlosen.
Träume
Es geht immer wieder um Träume. Den Traum von einer Familie, einem selbstbestimmten Leben, dem Traum zu Lernen und der von einem Ort, an dem Menschen friedlich miteinander Leben und niemanden zum Beispiel aufgrund des Geschlechts ausgrenzen.
Dadurch wirkt dieser versteckte Platz in den Bergen manchmal wie ein Paradies. Doch es verspricht kein sorgenfreies Leben wie das biblische Vorbild. Denn das Leben unter diesen Bedingungen ist einfach hart zu dieser Zeit. Selbst wenn es keine Gewaltkonflikte zu lösen gibt.
Adas großer Traum ist Wissen. Sie hat mich sehr beeindruckt, was sie alles auf sich nahm, um mehr über die biologischen Vorgänge im Körper zu erfahren und Menschen zu helfen. Denn diese Hilfe zu geben war sehr risikoreich. Rasch wurden Frauen, die als Hebamme arbeiteten oder Verletzungen heilten zur Verantwortung gezogen. Für alles, was nicht funktionierte. Da half nur eine schnelle Flucht.
Geschlechtsidentität
Einige Frauen in der Gang geben sich in der Öffentlichkeit als Männer aus. Sie üben den männlichen Gang, männlich wirkende Gesten und kommen damit auch durch. Nach Außen gelten sie als Männer und haben allein dadurch ganz andere Möglichkeiten. Sie können zum Beispiel in einem Saloon einfach was trinken gehen. Keiner schaut schräg, wenn sie offen Waffen tragen. Sie werden plötzlich ernst genommen und nicht mehr als Zuchtstuten angesehen.
Ada ist hetero. Bei anderen Frauen im Roman bleibt das offen. Jede darf hier sein was sie will. In dieser Gruppe gibt es keine Schubladen für hetero, homosexuell oder trans. Jeder ist einfach was er/sie ist. Für diese Zeit natürlich total ungewöhnlich, diese Freiheit über sich selbst zu bestimmen. An vielen Orten dieser Welt ist das immer noch so.
Hole-in-the-wall
Diesen Ort gibt es tatsächlich: er liegt in den Big Horn Mountains im Norden vom Wyoming.
Es gab auch eine Gang, die diesen Namen trug und dort Ende des 19 Jahrhunderts dort lebte. Berühmte Mitglieder waren unter anderem Butch Cassidy, Black Jack und Sundance Kid.
Über Frauen ist mir allerdings nichts bekannt. Aber wer weiß?
Fazit
Die Gesetzlose ist ein spannender Roman über die schwierigen Zustände im Wilden Westen, vor allem für Frauen. Gleichberechtigung und Feminismus sind das bestimmende Thema des ungewöhnlichen, kurzweiligen Buches. Anna North zeigt eindrücklich, dass wir Dingen auf den Grund gehen sollten und uns nicht vom äußeren Anschein blenden lassen sollten.
Weitere Buchtipps
Noch ein paar Tipps zu Büchern, die sich mit Frauen und deren oft eingeschränkte Möglichkeiten beschäftigen. Es sind aber auch Bücher über Frauen, die trotzdem ihren eigenen Weg gehen, wie Ada in Die Gesetzlose.
Revolutions! von Hannah Ross
Die Rebellion der Alfonsina Strada von Simona Baldelli
Americanah von Chimamanda Ngozi Adichie
Unsere anarchistischen Herzen von Lisa Krusche
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Die Wahrheit übers Kinderkriegen. Hier erzählt eine Hebamme über ihre Arbeit.
Klingt sehr besonders und ziemlich spannend! Danke für die Vorstellung. 🙂
Huhu!
Das ist ja mal eine spannende Mischung: Western, Geschlechterrollen, Gleichberechtigung etc. Mit Western habe ich es normal nicht so (obwohl meine Kusine und ich, als wir kleine Mädchen waren, total darauf standen), aber den hier finde ich interessant.
LG,
Mikka
Hallo Mikka,
das waren genau meine Gedanken, als ich die Beschreibung des Buches gelesen habe.
Und ich wurde nicht enttäuscht
Alles Gute
Silvia