Die Ballade vom Leben einer Schriftstellerin
Mittwoch, 14. September 2016
Ich muss mich hier jetzt mal zu meinen Wissenslücken bekennen:
Irrtum 1: ich dachte immer Carson McCullers wäre ein Mann.
Irrtum 2: ich habe „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ noch nicht gelesen. Ich dachte das zwar, habe das aber mit einem anderen Buch (das ich blöd fand und deshalb hier nicht erwähnen möchte) verwechselt.
Doch jetzt weiss ich Bescheid, denn ich habe ein Buch über diese Autorin gelesen:
Die Ballade vom Wunderkind Carson McCullers
Die weltberühmte Autorin starb 1967. Das Buch spielt in der Nacht vor ihrer Beerdigung. Ein fiktiver Freund, Ben Jackson, der sie in den letzten Monaten vor ihrem Tod intensiv begleitet hat und bei ihrer unvollendet gebliebenen Autobiographie unterstützte, soll am nächsten Morgen am Grab eine Rede halten.
Grabrede
„Warum ich?“ denkt er. Wäre nicht jemand anderes besser geeignet? Was soll ich sagen? Worüber soll ich sprechen? Kenne ich sie gut genug?
Während dieses Ringens um Worte, um einen guten, treffenden Ansatz für die Trauerrede, wird Carsons Leben aufgeblättert. Von ihrer Kindheit an. Eine Kindheit, in der die Mutter immer davon ausgegangen ist, dass ihre Tochter einmal Großes leisten würde. Sie nannte sie immer mein „Wunderkind“. Sie malte sich eine großartige Musikerkarriere für ihre Tochter aus, da sie in der Schwangerschaft einmal Caruso live erleben konnte. Und tatsächlich schafft es Carson zu einer konzertreifen Klavierspielerin. Doch mit der Zerstörung der ersten Liebe zerfiel auch dieser Traum. Sie wird zwar nach New York geschickt um an der berühmten Juillard zu studieren, doch flüchtet sie in der großen Stadt vor den Ansprüchen, die an sie gestellt werden und sucht sich ihren eigenen Weg. Und der führt in die Literatur.
Ich fühlte mich ein wenig an Sylvia Plath erinnert, die in jungen Jahren auch Wettbewerbe gewann und ebenfalls in New York lebensverändernde Erfahrungen machte.
Krankheit
Carson McCullers Leben war von Krankheit bestimmt. Schon als Kind musste sie lange das Bett hüten, da sie starke Fieberanfälle bekam. Vielleicht auch eine Reaktion auf Stress? Sie litt schon in jungen Jahren an schwerem Gelenkrheumatismus. Später hatte sie Herzprobleme, Schlaganfälle, Lähmungen, war auf den Rollstuhl angewiesen. Kurz vor ihrem Tod wurde auch noch ein Bein amputiert. Doch jeder gesundheitliche Schicksalsschlag hinderte sie nicht am Schreiben. Sie rappelte sich immer wieder dazu auf, war fleißig und wollte sich nicht unterkriegen lassen. Eine starke Frau! Ich glaube die Tatsache, dass sie ihre Autobiographie beenden wollte, hielt sie in den letzten Monaten überhaupt noch am Leben. Meine Neugier auf ihr Werk wurde durch diesen biographischen Roman stark geweckt. Ich möchte mit dem ersten Roman „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ beginnen. Auch auf andere Werke von ihr wird im Buch dauernd Bezug genommen. Es macht unheimlich viel Lust auf ihre Bücher und Geschichten.
Liebe
Auch Romantik kommt im Buch nicht zu kurz. McCullers war zweimal mit dem gleichen Mann verheiratet. Auch hier eine Parallele zu Sylvia Plath. Wie diese mit Ted Hughes, hat McCullers mit ihrem Mann vereinbart, dass sie abwechselnd für den Lebensunterhalt aufkommen werden, während der andere schreibt. Allerdings bekam Reeves keine Gelegenheit selbst zu schreiben, da das erste Buch von Carson ein voller Erfolg wurde. Sie entfernten sie dabei stark voneinander. Außerdem hat sich Carson immer wieder in Frauen verliebt, was die Beziehung zu ihrem Mann auch nicht einfacher machte.
In der zweiten Ehe wollte sie Reeves die Chance für das eigene Buch geben, was fast in einer Katastrophe endete.
Berühmte Bekannte
Der Literaturzirkus war auch schon damals ein enger Kreis von Bekannten. Jeder kannte jeden. In diesem Buch kommen Klaus und Erika Mann, W.H. Auden, Benjamin Britten, Paul Bowles, Tennessee Williams und viele weitere bekannte Namen vor.
Der Titel
Der Titel dieses Buches von Barbara Landes ist eine Anspielung auf zwei Werke von McCullers: „Das Wunderkind“ , eine Geschichte, in der sie die hohen Anforderungen ihrer Mutter an sie selbst verarbeitet und „Die Ballade vom traurigen Café“, eine tragische Dreiecksgeschichte, deren Entstehung auch beschrieben wird.
Künstlerbiographien
„Die Ballade vom Wunderkind Carson McCullers“ ist der dritte biographische Roman über einen Autor, den ich dieses Jahr lese. Vorher waren das „Westlich des Sunset“ über die letzten Lebensjahre von F.Scott Fitzgerald und „Du sagst es“ über die Ehe von Sylvia Plath. Diese Bücher mit den Werken der beschriebenen Schriftsteller in Bezug zu setzen finde ich sehr spannend.
Interessant sind die Parallelen, die man zwischen den verschiedenen Lebensgeschichten ziehen kann. Obwohl jeder Autor natürlich sein eigenes Schicksal trägt und das auch ganz individuell in seinen Werken umsetzt.
Bei McCullers ist es der erste Versuch erst über und dann von der Schriftstellerin zu lesen. Diese „Ballade“ hat mir sehr gut gefallen und ich kann jetzt gar nicht anders als mir Bücher von Carson McCullers zu kaufen.
Fazit
Ein einfühlsamer Künstlerroman, der die Entstehung der Werke ebenso berücksichtigt wie auch das Leben der komplexen Persönlichkeit, die hinter dieser außergewöhnlichen Autorin steckt. Eine Schriftstellerin, die ihre Zeit und viele Kollegen beeinflusst hat. Ich werde die Lektüre ihrer Werke nachholen!
Da ich auch Klaviermusik liebe gefiel mir die Verbindung dieser beiden Talente sehr gut, weshalb ich mit einem Zitat enden möchte:
Der Erfinder dieser [Schreib-] Maschine musste Klavierspieler gewesen sein. Ein Klavierspieler, der dem Raum zwischen den Wörtern die gleiche Bedeutung beimaß wie dem Raum zwischen den Tönen.
Das Buch
Barbara Landes: Die Ballade vom Wunderkind Carson McCullers,
Verlag: ebersbach & simon, ISBN 978-3-86915-131-1, 224 Seiten,
Preis: 19,95 € [D] (gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag)
Leseproben
Randnotizen
Der Verlag wird hier in einem gelungenen Interview von der Klappentexterin vorgestellt.
Kekse zum Buch sind Macarons, da McCullers einige Zeit in Frankreich lebte.
Wow – was für eine starke Rezension. Man merkt sofort wie dieses Buch dich begeistert hat. Selbst kenne ich es nicht aber Du hast mich neugierig gemacht. Besonders das letzte Zitat fand ich wunderschön.
Schmunzeln musste ich las Du schriebst dass Du nicht wusstest das der Autor eine Autorin ist. So ging es mir lange Zeit mit Fred Vargas 🙂
Liebe Grüße und weiterhin viel Lesespaß
Kasin
Danke, ja, dieses Buch habe ich sehr gerne gelesen.
Auf Fred Vargas bin ich auch reingefallen…
Wow – was für eine starke Rezension. Man merkt sofort wie dieses Buch dich begeistert hat. Selbst kenne ich es nicht aber Du hast mich neugierig gemacht. Besonders das letzte Zitat fand ich wunderschön.
Schmunzeln musste als Du schriebst dass Du nicht wusstest das der Autor eine Autorin ist. So ging es mir lange Zeit mit Fred Vargas 🙂
Liebe Grüße und weiterhin viel Lesespaß
Kasin
Danke. Fred Vargas hat wohl die meisten damit erst mal in die Irre geführt.
Ich kenne zwar Carson McCullers nicht aber nach deiner Rezension, möchte ich zu mindestens dieses Buch hier lesen 🙂 Und dann vielleicht, das eine oder andere direkt von Carson McCullers.
Du hast übrigens einen neuen Leser 🙂
Liebe Grüße,
Lena
Super, dann können wir ja voneiander lesen, wie uns die Bücher gefielen. 2017 ist übigens 100. Geburtstag und 50. Todestag von Carson McCullers. Bis dahin möchte ich einiges von ihr gelesen haben, damit ich darüber schreiben kann.
Wir hatten Carson McCullers mal als Lesekreis-Thema. Jeder konnte sich ein Buch aussuchen, das er von ihr lesen wollte. Ich muss zugeben, ich habe mich mit „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ etwas schwer getan und es dann aufgrund von Zeitnot auch nicht beendet. Ich erinnere mich, dass ich es beeindruckend fand und habe auch noch Bilder im Kopf. Aber es war wohl einfach nicht der richtige Zeitpunkt, wie das bei Lesekreislektüre manchmal so ist.
Ja, der richtige Zeitpunkt ist bei einem Buch oft sehr entscheidend. Leider weiß man vor dem Lesen nicht, ob es passt. Lesekreisbücher versuche ich immer ganz zu lesen, denn oft gibt mir die Diskussion neue Anhaltspunkte und einen neuen Blick auf das Buch. Mein Lesekreis hat „Das Herz…“ schon gelesen, da ich aber wusste, das ich am Besprechungstermin nicht dabei sein kann, habe ich es ausgelassen. Ich bin gespannt, ob es mich auf dem richtigen Fuß erwischt.