Ian McEwan: Maschinen wie ich
Sonntag, 19. Juli 2020
Wer ist überlegen, Mensch oder Maschine?
Wir befinden uns im Jahr 1982 in Großbritannien. Margaret Thatcher ist an der Macht, der Falklandkrieg bahnt sich an. Soweit, so bekannt. Doch im Roman „Maschinen wie ich“ von Ian McEwan ist vieles anders, als ich es aus meiner Teenagerzeit in Erinnerung habe. Das Buch ist eine Art rückwärtsgerichteter Si-Fi-Roman. Denn die Technologie, insbesondere alles rund um Computer, Soft- und Hardware ist sehr weit fortgeschritten. Das Setting des Romans hat uns schon einiges voraus. So gibt es jetzt die ersten Androiden zu kaufen, die vom Menschen kaum noch zu unterscheiden sind.
Story
Charlie ist so etwas dreißig Jahre alt und steckt sein ganzes restliches Geld in den Erwerb von Adam, einer der ersten Androiden, die wirklich technisch sehr ausgereift sind. Insgesamt gibt es weltweit nur 25 davon, 12 Adams und 13 Eves. Genaue Pläne hat er damit nicht. So im Hinterkopf hofft er aber durch Adam, ähnlich wie bei einem gemeinsamen Kind, seine geliebte Nachbarin Miranda zu beeindrucken und an ihn zu binden. Adam bietet viel Chancen, aber auch Risiken. So kann er alle Datenbaken der Welt sekundenschnell durchforsten, hält mit Informationen auch nicht hinter dem Berg. Auch nicht mit Dingen, die Charlie lieber nicht wissen möchte.
Maschinen wie ihr
So geht es also nicht um Technik, sondern um Beziehungen und Vergangenheitsaufarbeitung, denn Miranda hat da so ihre Geheimnisse.
Und es geht um Moral. Wie kann man eine Maschine, die Adam ja ist, von einem richtigen Menschen unterscheiden? Was macht den Unterschied wirklich aus? Und ist der Mensch nicht der Unterlegene? Adam ist schlauer, schneller, kräftiger. Auch sonst hat er erstaunliche Fähigkeiten und lernt, als künstliche Intelligenz (KI) immer mehr dazu. So denkt er lange über Literatur nach (er kann ja blitzschnell mal alles nachlesen) und kommt zu dem Schluss, dass die einzige Literaturform die das Zeug hat weiterhin Bestand zu haben, der Haiku ist. Fortan dichtet er fröhlich vor sich hin.
Ein Merkmal von künstlicher Intelligenz ist ja, dass sie sich selbstständig macht, indem sie immer mehr lernt und sich selbst dadurch verbessert. Daran arbeitet auch Adam.
Aber wie sieht es mit seiner Moral aus? Ist er da auch überlegen? Vielleicht das zentrale Thema des Buches. Doch dafür müsste ich vielmehr vom Inhalt erzählen als ich das jetzt möchte.
Und können die Maschinen Gefühle haben? Zumindest behauptet Adam, dass er sich verliebt hat.
Außerdem begehen einige der anderen ausgelieferten Androiden eine Art Selbstmord, weil sie ihre Existenz so nicht ertragen können.
Ich fühlte mich oft sehr an die Serie „Real Humans“ erinnert.
Irritiert hat mich allerdings, dass der Roman aus der Sicht von Charlie, nicht aus der Adams geschrieben ist. Diese Erwartung hat der Titel bei mir geweckt.
Vielleicht hatte ich deshalb Probleme mir diesen zu merken? Ich dachte statt „Maschinen wie ich, Menschen wie ihr“ immer an „Maschinen wie ihr, Menschen wie wir“.
Allerdings wäre ein Roman aus Adams Sicht für uns Menschen nicht lesbar, aufgrund seiner starken intellektuellen Überlegenheit.
Erfundene Vergangenheit
Ich habe bis zur Hälfte des Buches herumgerätselt, warum McEwan das Buch in einer veränderten Vergangenheit spielen lässt. Und mir dann doch noch einen Reim darauf gemacht, der für mich Sinn macht und die Konstruktion des Romans dadurch ganz wunderbar wird.
Denn es ist auch Roman über Alan Turing. Der Mathematiker hatte schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele, zum Teil noch sehr theoretische, Überlegungen im Bereich der Informatik veröffentlicht. In unserer Realität ist Turing nach einer chemischen Kastration (er war homosexuell, das war 1950 strafbar und galt als eine Art Geisteskrankheit) bereits 1952 gestorben. In der Welt dieses Romans hat er diese Medikamente abgelehnt, einige Zeit im Gefängnis verbracht und weiter geforscht. Allein druch sein Überleben und durch die Zusammenarbeit mit weiteren Genies hat sich die Informatik viel schneller entwickelt. So verlor zum Beispiel in diesem Roman Großbritannien den Falklandkrieg, weil die Gegner computergesteuerte Fernlenkraketen mit ungeheurer Treffgenauigkeit hatten. Und so hat sie die Technologie der KI viel schneller entwickelt.
Deshalb spielt der Roman in den 1980iger Jahren, weil Turing da noch leben könnte und es im Buch auch so ist. Es gibt sogar zwei Begegnungen zwischen Charlie und ihm.
Besonders die letzte, ganz am Ende des Buches, stellt die Moralfrage nochmal ganz auf den Kopf.
Alter Bekannter
Ian McEwan ist ein sehr bekannter Autor, und auch ich habe schon einiges von ihm gelesen. Allerdings stehe ich seinem Werk sehr ambivalent gegenüber. Sein vielleicht erfolgreichstes Werk ist Abbitte. Die Mitglieder meines Lesekreises waren hingerissen von Abbitte. Ich nicht. Diesen Roman habe ich drei Mal begonnen und drei Mal abgebrochen.
Dagegen fand ich Saturday einfach großartig. Ebenso Am Strand (On Chesil Beach), dass ich sogar im Original gelesen habe. Kindeswohl und Honig habe ich gerne gelesen, mich aber nicht vom Hocker gerissen. Nussschale habe ich erst begonnen zu lesen, abgebrochen und als Hörbuch neu begonnen, das war vorgelesen in meinen Ohren dann wieder großartig.
Deshalb habe ich auch bei „Maschinen wie ich etwas“ gezögert bis ich es begonnen habe. Astrid hat es abgebrochen, sie fand diese erfundene Historie zu seltsam. Den Eindruck hatte ich Anfangs auch, bis ich es mir halt durch meine Turing-Theorie erklären konnte.
Fazit
Maschinen wie ich ist für mich ein großartiger Roman, der mit Realität, Vergangenheit und Gegenwart spielt. Er wirft große Fragen auf, wie nach der Moral und der Überlegenheit der Menschheit. Werden wir uns selbst durch unsere Technologie überflüssig machen? Ich hatte viel Stoff zum Nachdenken, so wie ich es liebe an einem guten Buch.
Weitere Bücher über KI
Besprochen habe ich zu diesem Thema:
Tyrannei des Schmetterlings von Frank Schätzing. Hier gibt es ein mehrteiliges Hörtagebuch auf dem Blog.
Hologrammatica von Tom Hillenbrand. Vielleicht eher ein Buch über eine Zeit nach künstlicher Intelligenz. Supercomputer sind hier nämlich verboten, nachdem einer Menschheit durch einen von ihm freigesetzten Virus halbiert hat. Also gibt es einen tollen Bezug zu unserer jetzigen Realität.
Liebe Silvia,
Deine Erklärung, warum McEwan den Roman in den 1980er Jahren angesiedelt hat, weil dann nämlich Alan Turing noch leben könnte, sodass sich auch die Computertechnologie schneller hätte weiterentwickeln können, finde ich sehr überzeugend. Das erklärt dann auch, warum Turing mehrmals im Roman auftritt und auch am Ende noch einmal eine bedeutende Szene bestreitet.
Im Grundsatz bin ich ja höchst skeptisch, was solche Androiden wie Adam betrifft. In Niklas Maaks „Technophoria“ treten nun aber so ähnliche, äußerst human wirkenden Roboter auf, die in manchen Bereichen bereits Menschen in ihrem Arbeitsumfeld ersetzen. Und Maaks Roman ist eher in unserer Zeit angesiedelt, zeigt Technologien, die es heute schon gibt.
Diese Entwicklungen finde ich ja ein wenig gruselig. Und so machen die Romane dann immer wieder deutlich, welche Probleme sich daraus im konkreten Zusammenleben Mensch und Maschine ergeben können.
Viele Grüße, Claudia
Hallo Claudia,
Mir macht das auch Angst, ich befürchte, dass wir eine ausgereifte KI nicht mehr beherrschen können.
Danke für den Buchtipp! Dieses Thema fasziniert mich sehr.
Viele Grüße
Silvia
Liebe Silvia,
Ich habe den Roman auch gelesen und kann dir in allem nur zustimmen. Mir haben sowohl das Thema als auch die Umsetzung in Romanform wirklich gut gefallen. Auch mich hat das Buch zum Nachdenken gebracht und ich fand es sehr spannend, in diesen alternativen Verlauf der Geschichte einzutauschen und mehr über Turing und KIs zu erfahren.
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag.
Julia
Hallo Julia,
das ist es, was für mich gute Literatur ausmacht: es ist gut zu lesen und ich kann darüber nachdenken. Es bewegt etwas in mir. Und in dir anscheinend auch.
Viele liebe Grüße
Silvia
Genau so sehe ich das auch. 🙂