Rezension: Hologrammatica
Mittwoch, 21. Februar 2018
Tom Hillenbrand zeigt uns eine mögliche Zukunft
Ein Detektiv, der auf vermisste Personen spezialisiert ist, soll eine Frau aufspüren. Der Detektiv spielt Saxophon, die Auftraggeberin sieht toll aus. Soweit, so klassisch. Doch wir befinden uns im Jahr 2088. Die Klimakatastrophe hat stattgefunden, konnte aber durch Technik-Bäume und eine drastische Reduzierung der Weltbevölkerung auf einem Level gehalten werden. Einige Inseln und Landstriche sind im Meer versunken, dafür hat Sibirien jetzt ideale Temperaturen um dort zu leben.
Die EU hat sich mit Russland verbunden, Künstliche Intelligenz wurde verboten, Reisen geht sehr schnell und Kolonien im All haben wir natürlich auch.
Story
Die gesuchte Juliette Perrotte ist eine Top-Programmiererin und auf Verschlüsselungssoftware für Cogits (siehe weiter unten) spezialisiert. Ist sie verschwunden, weil sie ihre Codes an die Konkurrenz verkauft hat? Wurde sie entführt? Oder hat sie zu häufig mit dem Tode gespielt, als „Deather“ (Menschen, die ihre Gefäße sich umbringen lassen um die Todesmomente erleben zu können ohne zu sterben)? Galahad erkennt plötzlich eine Verbindung zu einem anderen Fall, den er parallel bearbeitet und auch eine Spur zu seinem schon lange verschwundenen Bruder. Mehr kann ich echt nicht verraten…
Der Buchtrailer nimmt das Deather-Thema auf:
Nur eines noch: der Epilog lässt Raum für eine Fortsetzung. Ich bin gespannt! Es gibt schon einen Ausblick. Im Mai erscheint eine Kurzgeschichte aus der Hologrammatica-Welt als eBook.
Schein und Sein
Nichts ist was es scheint, alles ist mit Hologrammen überzogen. So muss eine Fassade nicht mehr gestrichen werden, man wirft einfach ein Holonetz darüber und alles sieht wieder gut aus. Der Eiffelturm ist zerstört, doch für die Touristen wird er als Hologramm dargestellt. Natürlich größer, wenn schon, denn schon. Die Wohnung ist schmutzig und unaufgeräumt? Macht nichts: einfach eine holografische Oberfläche wie eine Tischdecke darüber werfen, sofort sieht alles aus wie in einem Wohn-Magazin.
Vermutlich ist die Realität ein zu großes Wort. Ist letzlich alles eine Frage der Perspektive.
Diese virtuelle Scheinrealität macht auch vor den Menschen nicht halt. Das Hirn kann als Download gespeichert werden, im sogenannten Cogit, und in einem anderen Körper, einem Gefäß, wieder hochgeladen werden. Das macht bei gefährlichen Berufen, wie Weltraummechaniker, Taucher, Feuerwehrmann durchaus Sinn. Doch auch für die modebewusste High-Society ergibt das ein schönes Spiel. Heute gehe ich mal als Mann, morgen als Frau, mal als Eurasier, mal als Asiat. Klamotten kann ich anziehen und darüber Details holografieren. Alles geht. Oder doch nicht? Das Cogit kann nicht beliebig lange im Gefäß bleiben, kommt es nicht rechtzeitig in den Original-Körper zurück, erfolgt ein Braincrash. Es gibt außerdem Brillen, mit denen man die Holografien ausblenden kann. Aber geht das wirklich komplett?
Innere Werte
Galahad ist schwul. Kein Problem in dieser fernen Zeit. Doch ist Fran, in den er sich Hals über Kopf verliebt ein Francesco oder eine Francesca? Liebt er den Menschen oder das Gefäß? Die tatsächliche Identität des Angebeteten bleibt ein Geheimnis. Diese Idee finde ich klasse. Es ist vollkommen egal, welchem Geschlecht, Ethnie, Nationalität ein Mensch angehört. In dieser technisierten Welt verliebt man sich in die inneren Werte. Das ist doch schön!
KI
Künstliche Intelligenz, ihre Möglichkeiten und Gefahren ist ein weiteres Thema in diesem Buch. Die Menschheit versucht in ihrer Verzweiflung wegen des zerstörten Planeten eine KI aufzubauen, die einen Weg findet die Menschheit zu retten. Doch kann man einem Supercomputer trauen? Wenn er viel schlauer ist als jeder Mensch: kann man seine Schritte nachvollziehen, kann Mensch überhaupt erfassen was passiert? Ist es besser die Geschicke von einem Computer steuern zu lassen, der wirklich objektive Entscheidungen treffen kann? Kann ein Gehirn nachgebildet werden?
Wenn die Funktionsweise des menschlichen Gehirns so simpel wäre, dass wir sie verstehen könnten, wären wir so simpel, dass wir sie nicht verstehen könnten.
Meine Tochter möchte Informatik studieren, ich bin auch im IT-Bereich tätig. Wir sind also durchaus technik-affin. Doch frage ich mich oft: schaufeln wir uns damit das eigene Grab, oder kann es die Lösung sein? Hologrammatica gibt sehr viele Denkanstöße! Für mich geht es im Buch auch nicht (nur) um die Technik, sondern eher um ethische und soziologische Fragen. Denn wir wissen, wie wir den Klimawandel stoppen könnten: durch umweltbewusstes Verhalten, Konsumverzicht und ähnliches. Doch die Menschheit wäre nicht die Menschheit, wenn sie dazu bereit wäre.
Ritter
Galahad trägt den Namen eines Ritters der Artussage. Sein Namensgeber wird auch der „Makellose Ritter“ genannt, dies erlaubt ihm den heiligen Gral zu finden. Galahad ist auch hier die moralstarke Leitfigur. Ob er den Gral hier findet? Ansichtssache. Das Ritterthema wird im Buch häufiger aufgegriffen. Schwerter sind wieder in Mode, die bösesten Widersacher im Buch haben ganz gefährliche Varianten davon in ihrer Kleidung versteckt. So kann man das Buch auch als Ritterstory begreifen. Doch das Detektivthema à la Humphrey Bogart im maltesischen Falken überwiegt für mich.
Fazit
Spannender Roman, der sehr geschickt eine klassische Detektivgeschichte mit Science-Fiction verbindet. Manchmal war mir die Technik etwas zu viel, denn sie lenkt von der eigentlichen Handlung ablenkt. Doch bietet Hologrammatica sehr gute Denkanstöße für die eigene Einstellung und das eigene Verhalten. Gut gefällt mir auch der ironisch, humorige Unterton den der Ich-Erzähler Galahad benutzt. Ich fühlte mich gut unterhalten und setze Drohnenland vom gleichen Autor auf meine zu-lesen-Liste.
Infos zum Buch
Hologrammatica
Tom Hillenbrand KiWi Verlag |
„… Es ist vollkommen egal, welchem Geschlecht, Ethnie, Nationalität ein Mensch angehört. In dieser technisierten Welt verliebt man sich in die inneren Werte. Das ist doch schön!“ – Na, das stelle ich mir ja schon lange als sehr erstrebenswert vor.
Danke für die schöne Besprechung. Nachdem mich „Drohnenland“ schon begeistert hat, werde ich um das neue Buch von Hillenbrand nicht herumkommen.
Hallo Erika,
Ein interessanter Autor mit Visionen.
Drohnenland muss ich mir jetzt unbedingt zulegen.
Alles Gute
Silvia
Ui, das klingt nach einem doch sehr spannenden Buch mit ganz aktuellen Fragen. Bisher habe ich noch nichts von dem Buch gehört. Ich liebe Sci-Fi und bin in diesem Bereich immer auf der Suche nach was Neuem. Das scheint hier so zu sein. Habe mir das Buch gleich mal gemerkt. Ich habe gesehen, dass es das Buch auch als ungekürztes Hörbuch gibt. Das werde ich dann bevorzugen, da ich aktuelle Hörbücher besser in meine Leseplanung integrieren kann. Danke für die schöne Buchvorstellung
GlG, monerl
Hallo Monerl,
Das Buch ist auch erst diesen Monat erschienen, es gab also noch nicht viel Gelegenheiten es zu entdecken.
Als Hörbuch kann ich es mir auch sehr gut vorstellen.
Viele Grüße
Silvia
Das Buch fiel schon in mein Visier, nun kommt es doch direkt auf meine Wunschliste! Bin zwar kein technik-Fan im Großen, interessiere mich aber in buchigen Geschichten immer mehr dafür – wenn es solche Romane/Thriller sind, bloß kein Sachbuch bitte 😀
Sachbücher lese ich auch nur sehr selten. Der erinnert mich zu sehr an Arbeit.
Doch dieses Buch empfand ich als recht spannend.
Alles Gute
Silvia
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