Im Reich der Pubertiere
Dienstag, 9. Februar 2016
Jan Weiler hat jetzt nicht nur ein, sondern zwei Pubertiere unter seinem Dach vereint. Die Varianz ist groß, denn eines dieser häufig anzutreffenden Wesen ist weiblich, das andere männlich. Das eine steht am Anfang dieser Phase, das andere befindet sich eher am Ende (hoffentlich).
Ich fühle mich sehr mit dem Autor verwandt, habe ich doch auch zwei dieser Wesen bei mir wohnen. Sie sind beide weiblich, eines 13, eines 14 Jahre alt. Und wie bei Weilers wohne ich mit meinen Kindern nicht mehr zusammen sondern eher zufällig unter einem Dach. Zumindest sie sind davon überzeugt und behandeln mich abwechselnd wie ein Möbelstück, eine Magd oder Gelddruckmaschine. Doch in dem Buch geht es nicht um meine Kinder, sondern um die der Weilers.
Ich muss zugeben, beim Lesen des ersten Bandes habe ich mehr gelacht. In diesem Band geht es auch mehr um die Gefühle des Vaters. Und das ist nicht immer lustig…
So stellt er fest, dass er „mit den Jahren meines Vaterseins nicht nur entrechtet, sondern auch enteignet wurde“. So ist neben vielen wichtigen Dingen auch der Rasierschaum regelmäßig verschwunden. Und zwar nicht durch den Sohn.
Die Versuche im Weilerschen Labor sind abwechslungsreicher als bei uns, denn zwischen männlichen und weiblichen Vertretern dieser Spezies gibt es große Unterschiede, die so zusammengefasst werden. Mädchen haben diese drei Hauptverrichtungen: „Schimpfen, Feiern und schlafen“. Jungs folgende: „Schweigen, Eitern und Stinken.“
Bevor ich es vergesse: das Buch ist wunderschön illustriert von Til Hafenbrak. Und das Bild, in dem der Sohn und sein ganzes Zimmer wortwörtlich zum Himmel stinkt ist einfach nur toll!!!
Viele Punkte laufen bei Weilers wie bei uns. Es gibt aber auch große Unterschiede. So wird der „Versuchsleiter“ mehrmals täglich von seiner Tochter angerufen. Das passiert mir nie. Ich bekomme höchstens mal eine Nachricht über WhatsApp. Habe ich sie innerhalb von zehn Sekunden nicht beantwortet bekomme ich eine zweite Nachricht.
Nur wenn meine Tochter wegfährt, wie z.B. zwei Wochen nach Indien. Da bekomme ich keine Nachricht. Erst auf mehrmaliges Nachfragen erreicht mich die Meldung „Das Essen ist scharf“. Heimweh scheint nicht zu ihren schlimmsten Problemen zu gehören.
Wo wir allerdings wieder im Gleichklang leben ist bei dieser Szene „das Allerschlimmstpeinlichste, was es für unsere Kinder zu geben scheint, ist schließlich der Anblick der tanzenden Eltern. „ Da würden meine Kinder sicher zustimmen. Ich könnte mir aber fast vorstellen, dass das noch durch die Veröffentlichung eines solchen Buches getoppt werden kann.
Sehr gut gefiel mir das Kapitel „Moderne Sklaverei“, in dem die Arbeit als freiwilliger Helfer bei Schulveranstaltungen beschreibt. Zum Schreien komisch!
In einem anderen Kapitel kommt Weiler zum Schluss „Ich bin alt“. Das geht mir genauso, wenn ich nachdenke, wie alt meine Kinder schon sind. Allerdings trinken sie noch kein Bier. Das ist der Vorteil, wenn man weibliche Pubertiere hält. Doch auch ich gehe in meiner Erinnerung oft in die „Große Halle der vergangenen Leidenschaften“.
Mit dem Spruch „Teilen ist das neue Haben“ wird die Informationsflut auf den Social-Media-Kanälen gekonnt auf die Schippe genommen.
Die Wandlungsfähigkeit der Kinder wird näher untersucht. So konnte beobachtet werden, dass es sich in blitzschnell in ein „Diskutier, in ein Debattier, in ein Lamentier oder in ein Kommentier“ verwandeln kann. Die Krönung ist allerdings das „Boykottier“ (so eines habe ich auch …).
Es gibt Seminare wie das „Speckseminar“ und das „Proseminar Schummeln heute“. Frei nach dem Motto (das auch mal meines wahr): wenn man einen perfekten Spickzettel hat, dann kann man es meistens schon auswendig. Hier sind die Schüler aber sehr einfallsreich. Wenn meine Töchter plötzlich Punica auf den Einkaufszettel setzen weiß ich, sie haben heimlich dieses Buch gelesen. (Ja meine Lieben: Lesen bildet, unsere Bücher sind übrigens alphabetisch nach Autorennachnamen sortiert, falls ihr nachschauen möchtet).
Weiler fühlt sich von seinen Kindern gemobbt. Zum Beispiel, weil er seine Frau nicht küssen darf wenn sie dabei sind. Meine Töchter schreien schon laut igitt, wenn mein Mann und ich uns nur in den Arm nehmen.
Ich habe im Buch gelernt warum Krawatten blind machen, allerdings wusste ich schon, dass ein leeres Nutellaglas eine größere Katastrophe ist, die ganz in meiner Verantwortung liegt, obwohl ich gar keine Nutella esse.
Bemerkenswert finde ich das Nachwort, das durchaus ernst erklärt, dass nicht alles so lustig ist. Die harten und traurigen Momente nimmt er aus seinen Erzählungen ganz raus. Außerdem finden Jugendliche hier ein Plädoyer für ihre Situation und ihre Verhaltensweisen.
Ich habe mich wieder sehr gut unterhalten mit den neuen Geschichten über die Versuchs-Pubertiere. Diese Zeit ist hoffentlich irgendwann zu Ende, das Buch werde ich sicher wieder lesen.
♌
Jan Weiler,
Im Reich der Pubertiere,
Verlag: Kindler,
illustriert von: Till Hafenbrak,
176 Seiten,
ISBN: 978-3-463-40661-9,
[D] 12,00 €