Imbolo Mbue: Wie schön wir waren
Sonntag, 31. Oktober 2021
Ungleicher Kampf
Kosawa ist ein kleiner Ort im Hinterland von Kamerun. Die Einwohner sind verzweifelt. Ihre Kinder sterben, das Trinkwasser und der Fluß sind vergiftet, die Äcker sind voller Öl. Schuld sind ein amerikanischer Ölkonzern, die Regierung und deren Oberhaupt, „Seine Exzellenz“.
Doch die Einwohner von Kosawa geben nicht auf.
Der Roman beginnt in den 1980iger Jahren. Hauptfigur ist Thula, die 1980 zehn Jahre alt wird. Ihr Vater wird ihren Geburtstag nicht mehr erleben. Denn er geht mit ein paar anderen Männern in die Hauptstadt, um dort gegen die Verschmutzung ihres Landes, ihrer Heimat, zu protestieren. Er wird nie mehr wiedergesehen.
Die Bürger von Kosawa versuchen alle Mögliche um auf sich aufmerksam zu machen und eine Verbesserung herbeizuführen.
Doch das Land ist so korrupt, den Männern aus der Regierung ist es vollkommen egal, was mit der Landbevölkerung passiert, Hauptsache, das Konto füllt sich.
Familie
Im Mittelpunkt steht Thula und ihre Familie. Ihr verschwundener Vater, ihre Mutter Sahel, die Großmutter, der kleine Bruder und der Onkel Bongo. Familie ist sehr wichtig in dieser Kultur. Man sorgt füreinander, man steht beieinander, kümmert sich um die Kinder und die Alten.
Das funktioniert seit Jahrhunderten so und ist gut. Diese engen Bindungen sind wunderschön beschrieben.
Als Thulas Vater nicht mehr aus der Hauptstadt zurückkehrt, übernimmt Bongo dessen Verantwortung und stellt auch sein eigenes Glück zurück. Sein Traum ist es, Kosawa zu retten
Ich stelle mir vor, ich wäre eine Mauer, die vom Himmel bis zum Kern der Erde reicht, keine Pipelines durchlässt und kein Gift, das in unsere Wasser fließt. Ich möchte den Kindern einfache Dinge schenken. Sauberes Wasser. Saubere Luft. Sauberes Essen.
Stolz
Die Menschen in Kosawa sind stolze Menschen. Nach ihren Mythen stammen Sie von Leoparden ab. Sie sind stolz auf ihre Geschichten, ihre Mythen und ihre Vergangenheit. Sie erklären ihre Welt durch Geschichten und durch Lieder. Eine Art Hymne von Kosawa ist dieses Lied:
Söhne der Leoparden, Töchter des Leoparden, gebt acht vor jedem, der uns Unrecht will, nie bringt man unser Gebrüll zum Schweigen.
Diese Zeilen werden im Buch mehrmals erwähnt und beschreiben den Stolz, die Schönheit, die Verbundenheit und auch den Kampfesgeist der Einwohner von Kosawa sehr gut.
Aufmerksamkeit
Die Menschen in Kosawa sind Jäger und betreiben Ackerbau. Ein wenig Handel mit ein paar befreundeten Dörfern bringen soviel Geld, das man sich dafür das kaufen kann, was man nicht selbst herstellt. Es ist ein einfaches Leben, ein traditionelles, aber alle sind glücklich und zufrieden gewesen. Bis der Ölkonzern kam und ihnen die Lebensgrundlage nahm. Fortschritt wurde ihnen versprochen. Der Untergang wurde ihnen gebracht. Und niemanden interessiert es.
Bis es ihnen gelingt einen Journalisten ins Dorf zu holen. Dessen Artikel löst in den USA eine Spendenwelle aus und eine Hilfsaktion wird gestartet.
Doch auch dabei gibt es viele Versprechungen und nur wenig passiert wirklich. Denn gegen die Regierung und den Konzern kommt man einfach nicht an.
Allerdings wird durch das Geld einigen Kindern eine höhere Schulbildung ermöglicht.
Thula bekommt sogar die Möglichkeit in den USA zu studieren.
Das ist schon unerhört, zumal sie ja auch noch ein Mädchen ist. Sie war auch das einzige Mädchen, dass in den Genuss einer besseren Bildung kommen durfte.
Patriarchat
Denn auch in Kosowa liegt alle Mach bei den Männern. Sie bilden den Ältestenrat, sie sitzen beisammen, wenn eine Entscheidung getroffen werden muss, sie geben den Ton an.
Stirbt ihre Frau, können sie eine andere heiraten. Stirbt ein Ehemann, soll die Frau Witwe bleiben und sich um seine Eltern kümmern.
Das ausgerechnet Thula, ein Mädchen, unbedingt zu höheren Schule gehen möchte ist ein Skandal im Dorf. Wozu? Schließlich soll sie doch möglichst schnell einen Mann heiraten und Kinder in die Welt setzen. Wozu dann noch länger in die Schule gehen? Doch sie setzt sich durch. Denn Thula ist nicht wie die anderen.
Trotzdem hat sie auch später, als Erwachsenen Probleme sich als Frau durchzusetzen. Zumal als unverheiratete, kinderlose Frau, die in dieser Kultur dann als nutzlos gilt. Egal wieviel sie in einem bezahlten Job verdient.
Protest
Die Menschen von Kosawa versuchen alle mögliche um ihre Heimat zu retten. Sie schicken Delegationen in die Hauptstadt und auch zu verschiedenen Gremien des Ölkonzerns.Später versuchen sie es mit landesweiten Demonstrationen, friedlichen Protesten.
Irgendwann greifen auch einige zu Gewalt. Entführung, Sachbeschädigung, irgendwann Mord. Doch das sind nur kleine Nadelstiche gegen die Mächtigen. Diese schlagen immer um so härter zurück.
So hoffnungslos. Und trotzdem geben viele nicht auf.
Nun, da wir fast zu Männern herangewachsen waren, hätten wir auf eigene Faust fortgehen können, hätten wir in ein giftfreies Leben entfliehen können, aber wir waren entschlossen, unser Land niemals aufzugeben, weder jetzt, noch sonst irgendwann, und die Aktion Neuanfang und Sonni erinnerten uns daran, dass es unser Land war, und komme Regen oder Dürre, es würde immer unseres bleiben.
Heimat, der Ort, der Zusammenhalt: das ist ihnen so wahnsinnig viel wert. Solche festen Wurzeln habe ich nicht.
Perspektiven
Mbue lässt verschiedenen Personen zu Wort kommen. Da ist Thula als Kind, die das Leben im Dorf um die Zeit herum beschreibt, als ihr Vater verschwindet. Ihre Mutter Sahel, die erzählt, wie schwer es für sie ist, ihr Kind ziehen zu lassen und sich fragt, ob sie das Recht auf ein eigenes neues Leben hat. Die Großmutter, die von den Traditionen und der Last des Alters erzählt, auch der Onkel kommt zu Wort. Später auch der jüngere Bruder Juba. Er ist dann schon erwachsen, ist jetzt Teil der korrupten Regierung und versucht das zu erklären und sich zu rechtfertigen.
Dann gibt es noch „Die Kinder“ von Kosava. Sie sind Jungs in Thulas Alter. Sie kommen mehrmals zu Wort, in verschiedenen Altersstufen. Am Ende sind sie erwachsen und haben schon lange eigene Kinder.
Durch diese Vielzahl von Blickwinkeln auf das Leben in diesem Ort wird der Roman sehr vielschichtig. Ich habe so mehrere Seiten der dortigen Gesellschaft kennengelernt. So habe ich auch besser verstanden, wie dieses Zusammenleben funktioniert und sich im Laufe der Zeit entwickelt und verändert.
Es war sehr interessant, wie zum Beispiel das Leben der Mutter Sahel so aus verschiedenen Sichten im Laufe der Zeiten beschreiben wurde. Das gibt dem Buch ein zusätzliches Spannungsfeld.
Hoffnung
Unglaublich, wieviel Geduld die Menschen in Kosawa über die Jahrzehnte haben. Die meisten von ihnen geben die Hoffnung nicht auf. David gegen Goliath. Doch leider kann in diesem ungleichen Kampf David diesmal nicht gewinnen.
Doch Thula lehrt mich, die Hoffnung nie aufzugeben. Große Veränderungen brauchen ihre Zeit. Wenn es nicht in dieser Generation klappt, dann vielleicht in der nächsten.
Solche visionären Menschen schauen nicht nur auf das eigene Leben, sondern bereiten den Weg für eine hoffentlich bessere Zeit. Sie streuen Samen aus, aus dem irgendwann ein starker, großer, dichter Wald wird. Bewundernswert.
Unsere Schuld
Dieser kleine Ort in Kamerun ist nur ein Sinnbild der vielen Orte, Landschaften und Menschen die leiden und sterben, damit wir in den Industriestaaten ein gutes Leben führen. In vielen Ländern werden Bodenschätze unter menschenunwürdigen Bedingungen gefördert, gibt es Kinderarbeit in der Bekleidungsindustrie, Brandrodung zur Fleischherstellung, tote Landschaften wegen der Verschmutzung, z.B. wie hier durch Erdölgewinnung.
Wir alle sind gefragt, dass nicht mehr einfach so hinzunehmen, uns zu informieren und uns darüber klar zu werden, dass unser Reichtum auf Kosten anderer entsteht. Diese Erkenntnis allein ändert zwar noch nichts, ist aber ein sehr wichtiger erster Schritt. Zum Glück wurden in dieser Richtung schon viel Missstände in der ganzen Welt publik. Doch leider verschwindet das alles auch sehr schnell wieder aus den Medien. So wie es hier auch im Falle von Kosawa beschrieben wurde.
Wohlstand ist eine Seite der Medaille, Ausbeutung die andere. In unserer Welt anscheinend untrennbar.
Fazit
Wie schön wir waren von Imbolo Mbue ist ein beeindruckendes aber auch bedrückendes Buch. Der Roman gibt aber trotz allem Hoffnung. Der Debütroman von Mbue, „Das geträumte Land“ hatte mich schon beeindruckt, aber in ihrem zweiten Roman empfinde ich ihre Ausdrucksfähigkeit noch gereifter. Die oftmals langen Sätze bleiben durch die Wortwahl immer verständlich.
Ein aktuelles Buch, mit lautem, langem Nachhall. Eine unbedingte Leseempfehlung.
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