Rezension Carson McCullers – Das Herz ist ein einsamer Jäger
Mittwoch, 22. Februar 2017
Kultbuch
Das Herz ist ein einsamer Jäger
Carson McCullers wäre am 19.01.2017 100 Jahre alt geworden. Sie starb allerding schon mit 50 Jahren, so dass sich auch ihr Todestag dieses Jahr zum 50. mal jährt.
„Das Herz ist ein einsamer Jäger“ von Carson McCullers gilt als Klassiker den „man“ gelesen haben sollte.
Das Buch haben wir auch schon im Lesekreis besprochen, doch da ich wusste, dass ich an dem Tag nicht konnte, habe ich es damals nicht gelesen. Doch immer wieder wurde es bei späteren Treffen sehr lobend und begeistert erwähnt.
Letztes Jahr las ich eine Romanbiographie über diese legendäre Autorin. Dann war es endlich Zeit auch selbst dieses Buch zu lesen, ich konnte es sogar in einem anderen Lesekreis platzieren.
Fazit
Ich nehme mein Fazit vorweg: ich war enttäuscht. Ich erwartete Erleuchtung. Ein Kultbuch muss mich doch irgendwie weiterbringen? Hat es aber nicht. Ich finde es nicht so zeitlos wie viele andere Klassiker, z.B. von Capote. Es ist vielschichtig und greift viele Themen auf. Vielleicht waren es für mich zu viele? Ich wusste nicht worauf ich mich fokussieren sollte. Auch der Stil hat mich nicht so hinweggerissen, wie ich es von einer Fast-Pianistin erwartet habe. Vielleicht hätte mir das Buch besser gefallen, wenn meine Erwartungen daran nicht so meterhoch gewesen wären? Oder habe ich es einfach nicht verstanden?
Allerdings passt das Bild im Cover ziemlich gut. Alle Gestalten im Buch wirken wie die Menschen in Edward Hoppers Bildern.
Im Nachwort von Richard Wrigth steht der Satz
Ich weiss nicht, was das Buch bedeuten soll.
Dem kann ich mich anschliessen.
Das Buch
Auf dem Klappentext steht, dass es die Geschichte eines Mädchens, Mick Kelly sei. Doch im Zentrum des Buches stand für mich immer John Singer, der taubstumme Goldschmied. Für mich und auch für die Protagonisten das Zentrum der Handlung. Wird er doch von den anderen besucht und als Vertrauensperson angesehen. Der einige, der ihnen richtig zuhört. Singer kann zwar ganz gut von den Lippen lesen, doch macht er sich irgendwann diese Mühe nicht mehr. So ist er nie allein und doch unheimlich einsam.
Die Gerüchte über ihn wurden immer abenteuerlicher. Eine alte Negerin erzählte… er könne die Geister der Toten herbeirufen. Ein Fabrikarbeiter behauptete, er habe … irgendwo anders… mit dem Taubstummen zusammen gearbeitet… Die Reichen meinten er sei reich, und die Armen hielten ihn für ihresgleichen… Jeder schilderte den Taubstummen so, wie er ihn sich wünschte.
Singer dient für alle als Projektionsfläche der eigenen Wünsche.
Einsame Gestalten
Einsamkeit ist vielleicht auch das Motiv, das die verschiedenen Personen im Buch verbindet. Das Buch enthält eine Coming-Of-Age-Geschichte, zerplatzte Träume, Kommunismus, Rassenprobleme, soziale Ungerechtigkeiten, Prügeleien, Trauer, Freude und viel Einsamkeit. Aus verschiedenen Perspektiven erzählt, bleiben die Protagonisten ohnmächtig gegenüber der harten Welt. Es wird kaum miteinander geredet, nur dem tauben Mann schütten alle ihr Herz aus.
Carson McCullers war auch ein sehr begabtes Mädchen, sie hätte zum Beispiel auch das Zeug zur Pianistin gehabt. Mick ist kreativ und intelligent, kann das aber nicht wirklich ausleben:
Sie würde winzig kleine Radioapparate, nicht größer als eine Erbse erfinden; die könnte man mit sich herumtragen und ins Ohr stecken. Dann Flugmaschinen, die man wie Rucksäcke auf den Rücken schnallte und mit denen man über die ganze weite Welt surren könnte.
Bitte beachtet, dass das Buch 1940 erschien!
Musik
Wieviel steckt von Carson McCullers in Mick? Auch Mick hat eine starke Beziehung zur Musik. Sie träumt von einem eigenen Instrument und geht nachts in Gärten um dort dem Radio und der daraus kommenden klassischen Musik zu lauschen. Mr. Singer kauft auch ein Radio für seine Gäste, doch seine Einsamkeit lässt sich durch den Redeschwall der anderen nicht vertreiben. Jeder scheint nur an sich und seine eigenen Sorgen zu denken.
Happy Birthday Carson McCullers
McCullers wäre diesen Monat 100 Jahre alt geworden. Anlässlich dieses Geburtstages gab es im Literaturhaus in Köln eine Veranstaltung.
Manuela Reichart, Literaturkritikerin, Moderatorin und selbst Autorin, stellte die Autorin Carson McCullers vor. Unter anderem gab es Tonaufnahmen von ihr. Die Kölner Schauspielerin Heidrun Grote las Passagen aus den Büchern der Autorin.
So wurde in einem spannenden Dialog das Leben und die Werke der Autorin aufgearbeitet. Besonders gut gefielen mir die Tonaufnahmen, in denen die Autorin eigene Gedichte rezitierte. Sie wurden nicht in einer deutschen Übersetzung veröffentlicht, Manuela Reichart hat einige für diese Veranstaltung ins Deutsche übertragen.
Obwohl ich von McCullers Debütroman enttäuscht war, brenne ich jetzt darauf auch die anderen Werke McCullers kennen zu lernen. Ich werde bei den Romanen chronologisch vorgehen und als nächstes „Spiegelbild im goldenen Auge“ lesen.
Bibliographie
Carson McCullers
Das Herz ist ein einsamer Jäger
Übersetzung: Susanna Rademacher
Diogenes Verlag
Taschenbuchausgabe 13,00 € [D]
592 Seiten
Liebe Silvia,
danke für die detaillierte und aufschlussreiche Besprechung! In Buchhandlungen hatte ich das Buch hin und wieder in der Hand, aber der Klappentext hat mich nie zu mehr verführen können, weil ich eine austauschbare Coming-Of-Age-Story erwartete.
Du hast in mir nun Neugierde auf den Roman geweckt – trotz deiner Enttäuschung (oder vielleicht auch deswegen, da es den Klassiker für mich vom „unantastbaren Podeat“ herabholt). Der taubstumme Mann als Zentrum, als derjenige, dem alle ihre Sorgen anvertrauen und der doch selbst „ungehört“ bleibt. Ein spannendes Thema, das ich nun gern erkunden möchte. 🙂
Viele Grüße
Kathrin
Nein, austauschbar ist an dem Buch nichts. es ist schon einzigartig. Als ich die Rezension schrieb merkte ich, dass es doch viel in mir bewegt hat. Ich freue mich schon auf dein Fazit.
Viele Grüße
Silvia
Ich hab es auch im Lesekreis gelesen und ehrlich gesagt abgebrochen. Erst kam ich nicht rein und irgendwann lief mir die Zeit davon.
Ich hatte auch Probleme. Vielleicht lag das auch an der Vielzahl der Protagonisten?
Ich bin beruhigt, dass ich mit meinen Problemen nicht allein dastehe.
Liebe Grüsse
Silvia
Liebe Silvia,
ich finde das Buch sehr gut, kenne aber auch sehr viele, die es nicht mögen. Für mich ist es in der Tat ein Klassiker – ich mag den Schreibstil der Autorin und ihre oftmals gewöhnungsbedürftigen Protagonisten.
Du hast in deiner sehr guten Rezension ja ausführlich dargelegt, warum es dich nicht überzeugen konnte.
Mein Lieblingswerk von Carson McCullers ist allerdings „Spiegelbild im goldnen Auge“ – das war auch der erste Roman, den ich von ihr gelesen habe. Die Verfilmung mit Elizabeth Taylor und Marlon Brando ist brillant.
Liebe Grüße
Rosa
Hallo Rosa,
da habe ich mir ja hoffentlich das richtige Buch der Autorinn ausgesucht. Den Film möchte ich danach auch mal sehen.
Liebe Grüße
Silvia
Hallo,
Noch nie davon gehört, weder von dem Buch noch von der Autorin. Hört sich auch nicht an als ob ich es lesen möchte, obwohl man es gelesen haben muss 🙂 Danke dir für die Rezension.
LG Sonja
Hallo Sonja,
man muss gar nichts gelesen haben. Ist das nicht schön?
Ich finde es gut, dass du dich bei deiner Buchauswahl nicht von solchen „Zwängen“ leiten lässt.
Alles Gute
Silvia
Hallo Silvia,
wir haben das Buch vor einiger Zeit auch in einer Leserunde (bei lovelybooks) gelesen. MIr hat es eigenltich auch ganz gut gefallen, die Charaktere waren so gut beschrieben, dass ich noch länger an sie zurückdenken musste. Den Kultcharakter des Buches konnte ich aber auch nicht so ganz nachvollziehen.
Liebe Grüße
Thomas
Pingback: [Die Sonntagsleserin] Februar 2017 | Phantásienreisen