Rezension: Orchis
Sonntag, 30. Dezember 2018
Debütroman von Verena Stauffer
Orchideen gelten als Königinnen der Blumen. Sie sind schon lange in der ganzen Welt beliebt und werden von vielen Menschen gezüchtet. In China nachweislich schon in der Zeit um 500 v. Chr. Neben den einheimischen Arten, die auch im gemäßigten Europa wachsen, suchten Orchideenforscher schon Mitte des 19. Jahrhunderts auf der ganzen Welt nach neuen, unbekannten Arten. Orchis ist ein Roman, der von einem dieser Orchideenforscher handelt.
Orchideenforscher
Anselm ist Botaniker mit dem Spezialfeld Orchideen. Um neue Sorten zu entdecken unternimmt er Mitte des 19. Jahrhunderts gefährliche Reisen. So auch nach Madagaskar. Dort beginnt der Roman. Es folgt eine wundersame, traumatische Reise auf dieser Insel. Die dort herrschenden Gesellschaftsstrukturen werden durch subtile Beschreibungen und Andeutungen auch thematisiert.
Die Insel war voller Sklaven und Blüten. Während er sich hier um die Vollendung seiner Leidenschaft bemühte, nämlich die Orchidee seiner Träume zu finden, waren jene, die ihm dabei behilflich waren, zwischen zwei Möglichkeiten eingespannt: zu arbeiten und sich zu fügen oder in Gefangenschaft zu geraten und ermordet zu werden.
Dieser Abschnitt kommt mir vor wie eine Traumbeschreibung. Anselm erzählt uns Lesern auch oft seine Träume. Der ganze Roman hat für mich einen surrealen Touch, welcher durch die Phasen von Geisteskrankheit des Hauptprotagonisten noch verstärkt wird.
Auch Landschaft und Klima werden mir anschaulich nahegebracht. Ist das nicht eine wunderschöne Beschreibung von Regen?
Regen. Gleichmäßig und flächendeckend rieselten Millionen gläserner Fallschirme vom Himmel zur Erde, Wolkentröpfchen, welche den Taupunkt erreicht hatten und in hoher Fallgeschwindigkeit hervorbrachten, um das Land zu tränken.
Wahnsinn
Nachder Reise nach Madagaskar wird Anselm Opfer einer Wahnvorstellung. Dieser Abschnitt erinnerte mich sehr an Die Vegetarierin von Han Kang.
Anselm ist so besorgt um die mitgebrachten Orchideen, die leider bis auf eine während der stürmischen Rückreise verloren gingen, dass er glaubt, er würde die verbliebene mit seinem Körper nähren:
Er setzte die … Orchideen auf seine rechte Schulter. Die Wurzeln schmiegten sich an ihn, sie hielten sich an seiner Haut fest. Halten musste er sie schon bald nicht mehr, sie wuchsen in ihn …Die Orchidee schlug Wurzeln.
Bei den beschriebenen Behandlungen und Zuständen in der Anstalt, in die Anselm verbracht wird musste ich an den Roman „Von allen guten Geistern“ von Andreas Kollender denken.
China
Anselm unternimmt später auch noch eine überstürzte Reise nach China, wird dort in die Politik verstrickt, lernt ein verwunschenes Dorf kennen und findet etwas. Sich selbst? Das Glück? Auch dieser Teil wird leicht surreal dargestellt, was natürlich auch sehr gut zum Geisteszustand von Anselm passt. Folgenden Satz aus diesem Teil des Buches möchte ich noch zitieren
Ankommen bedeutete, etwas zu beginnen. Ankommen hieß sehen, entdecken, sich einlassen. Ankommen war, einen neuen Lebensraum zu betreten, einen alten wiederzuerkennen, oder sich einer Angelegenheit zu öffnen, welcher man bisher noch verschlossen gegenübergestanden war.
Ich hoffe sehr, dass Anselm wirklich ankam und seinen Frieden fand. Ob die Autorin einen tatsächlichen Orchideenforscher als Vorbild für diese Geschichte nahm?
Fazit
Fast schon poetischer Debütroman, der den historischen Plot mit surrealen Bildern des Wahnsinns verbindet. Eine gelungene Mischung, die ich gerne gelesen habe.
Bloggerpreis
Der Blog Das Debüt lobt alljährlich einen Preis für das beste deutschsprachige Debüt aus. Die Jury besteht aus Bloggern.
Es gibt eine Liste mit eingereichten Titeln, auf der sich viele interessante Titel finden lassen. Davon haben es fünf Romane auf die Shortlist geschafft. Orchis aus dem Verlag Kremayr & Scheriau ist einer davon.
Ausserdem stehen auf der Liste Nichts, was uns passiert, Alles was glänzt, Bevor wir verschwinden und Der letzte Huelsenbeck.
Alle teilnehmenden Blogs sind hier zu sehen.
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