Rezension: Alles was glänzt
Freitag, 28. Dezember 2018
Debütroman von Marie Gamillscheg
Ein kleiner Ort an einem großen Berg. Die Menschen verlassen das Dorf, andere wollen dort bis zum Ende bleiben, manche sterben, andere suchen eine Zukunft, weitere sind orientierungslos. Soweit, so normal. Wenn da nicht auch noch die Natur wäre. Der Berg droht zu zerbrechen.
Die Bewohner
Da gibt es die Kneipenwirtin, die gar nicht mehr Gäste von auswärts möchte. Sie will alles so belassen wie es ist und alle zusammenhalten.
Oder der ältere Mann, der nicht mehr alleine zurechtkommt und nur mit einer kleinen Tasche sein Zuhause verlässt um in der Stadt zu wohnen.
Und das Mädchen, das sich selbst verletzt und damit die eigenen Zukunft verbaut, aus Liebeskummer.
Oder deren Schwester, die ihren Geliebten an der fünfundzwanzigsten Serpentine auf der Straße zum Dorf verlor. Ihre Zukunft liegt in Scherben.
Dann ist da noch ein junger Mann von auswärts. Er wurde zum Regionalmanager ernannt, er soll das Dorf retten. Oder zumindest die Bewohner zu dem bringen, was die Regierung sich von ihnen wünscht.
Riss durch den Fels
Der Berg im Buch wurde seit vielen Jahren ausgebeutet, ausgehöhlt wie ein Schweizer Käse. Ein Stollen nach dem anderen wurde hineingetrieben. Der Bergbau, die Suche nach wertvollen Mineralien und ähnlichem hat auch die Gegend und die Menschen sehr geprägt. Jetzt ist der Berg leer. Die Bewirtschaftung lohnt sich nicht mehr. Der Berg droht zu zerbrechen. Ein riesiger Riss im Fels ist bereits zu sehen. Da dies schon im Klappentext steht, wird dadurch eine Spannung erzeugt: Wann wird es soweit sein?
Riss durch das Dorf
Einige wollen, dass alles so bleibt wie es schon immer war, andere wünschen sie endlich eine Veränderung. Manche suchen ihr Heil in der Flucht, andere möchten immer dort bleiben. Kann die Dorfgemeinschaft sich zusammenraufen und gemeinsam an einer möglichen Zukunft arbeiten? Kann es überhaupt eine Zukunft geben? Oder sind alle, und damit auch irgendwie wir alle, zum Scheitern verurteilt? Haben wir noch eine Chance unsere Zukunft positiv zu beeinflussen?
Realität
Wie das Leben so spielt: an dem Tag, an dem ich das Buch las ging folgende Meldung durch die Presse: Der Hochvogel, ein Berg in den Allgäuer Alpen, in der Nähedes Kurortes Hindelang, droht zu zerbrechen. Bis zu 260 000 Kubikmeter Felsdrohen ins Tal stürzen. Eine riesige Felsspalte am Gipfel wird immer größer.
Wenn ich eine wenig im Netz herumsuche, stoße ich auf immer mehr Berichte über Berge, die auseinander zu brechen drohen.
In diesem Roman ist die Gefahr durch die Menschen selbst provoziert worden. DieAusbeutung der Natur, über- und unterirdisch droht uns alle irgendwanneinzuholen. Sicher eine der aktuellen Botschaften des Buches. Ich bin mir sicher, wenn wir nächstes Jahr wieder einen Radurlaub im Allgäu machen, dassich daran denken werde.
Zitate
Diese Zitate habe ich mir markiert. Sie zeigen die schöne Sprache und auch wie der Berg, durch seine immerwährende Präsenz, die Menschen dort beeinflusst.
Wenn sie ruhig steht, spürt sie ein Zittern in ihrem ganzenKörper, ein leichtes Schütteln der Arme, der Beine, der Haut am Hals.
„Wenn wir noch erleben wie der Berg in sich zusammenbricht,dann wird vor allem das Licht entscheidend sein“, hat Martin einmal zu Teresagesagt. „Wenn das Licht mit dem Berg gemeinsam runterkommt, dann kann uns dasnichts Böses wollen.“
Mancher Stein war von besonderer Beschaffenheit. In ihm schien ein weißes Licht, das sich tausendfach ins Innere spiegelte. Es erzähltvon unbekannten Welten, entdeckte im Gewöhnlichen ein Geheimnis, im Einzelnenden Zusammenhang, im Endlichen die Unendlichkeit.
Der Weg ist das Ziel
Das Dorf ist nur über eine Straße mit vielen Serpentinen zuerreichen. Jede Kehre hat einen Namen. Jedes Kapitel ist mit einem Namen und der Höhe einer Kurve überschrieben.
So, wie ich mir mit dem Rennrad einen Berg erarbeite, musste ich mir auch das Buch erarbeiten. Kapitel für Kapitel, Kehre für Kehre. Das erste und das letzte Kapitel ist mit (0,0) überschrieben. Alles ist ein großer Kreislauf, alles geht zum Anfang zurück.Oder wie auch in der Danksagung steht „Am Anfang war ein Berg.“
Fazit
Mir fehlen ein wenig die Worte. Das mag an meiner derzeitigen Schreibhemmung liegen, oder auch daran, dass ich diesen Roman nicht packen kann. Die Sprache ist zum hineinsinken. Aber was soll mir diese Geschichte sagen? Dabei liest es sich sehr schön, nur der Sinn, die Essenz hat sich mir nicht erschlossen. Ich hoffe, ich kann das Buch mal im Lesekreis unterbringen und einen Abend lang diskutieren. Dieser Roman wäre es wert.
Bloggerpreis
Der Blog Das Debüt lobt alljährlich einen Preis für das beste deutschsprachige Debüt aus. Die Jury besteht aus Bloggern.
Es gibt eine Liste mit eingereichten Titeln, auf der sich viele interessante Titel finden lassen. Davon haben es fünf Romane auf die Shortlist geschafft. Alles was glänzt aus dem Luchterhand Verlag ist einer davon. Ausserdem stehen auf der Liste Nichts, was uns passiert, Orchis, Bevor wir verschwinden, Der letzte Huelsenbeck.
Alle teilnehmenden Blogs sind hier zu sehen.
Hallo Silvia!
Das klingt ja nach einem ganz wunderbaren Buch, mit vielen aktuellen Themen. Die Thematik der zerbrechenden Berge ist mir neu. Wahnsinn welchen Schaden wir Menschen anrichten.
Die Zitate geben die tolle Sprache super wieder. Ich denke manchmal kann ein Buch Botschaften auch unterschwellig präsentieren. Dir kleine, unvollständig Gedankenschnippsel in den Kopf setzen, die du erst selbst vervollständigen musst. Ich könnte mir vorstellen, dass das so ein Buch ist.
Liebe Grüße
Sabrina
Hallo Sabrina,
das hast du schön beschrieben. Genauso ist es. Bei Literatur ist der Inhalt nicht das Wichtigste, sondern die Sprache.
Viele Grüße
Silvia