Shida Bazyar: Drei Kameradinnen, Rezension
Sonntag, 9. Mai 2021
Drei Freundinnen für immer
Kasih, Saya und Hani sind zusammen aufgewachsen und sind auch jetzt mit Ende 20 weiterhin eng verbunden. Anlässlich einer Hochzeitsfeier kommen die drei wieder zusammen und wollen ein paar schöne Tage miteinander verbringen. Alle haben ihre eigenen speziellen Probleme. Doch eines verbindet alle drei: sie leiden unter dem Alltagsrassismus in Deutschland. Alle drei finden unterschiedliche Wege um damit klarzukommen. Soweit so schlimm, doch so einfach ist dieser Roman nicht gestrickt.
Opfer oder Täter?
Gleich am Anfang des Buches steht ein Artikel über einen Wohnhausbrand. Saya M. wird darin dafür verantwortlich gemacht, auf ein radikal islamistisches Motiv wird hingewiesen. Alles sehr reißerisch aufgemacht.
Was macht dieser Artikel mit mir, bevor ich auch nur eine der Protagonistinnen kennengelernt habe? Ich denke (natürlich) das kann nicht sein. Vorverurteilung einer Frau mit Migrationshintergrund. Oder doch nicht? Denn zwei Seiten später erfahre ich von Kasih, der Ich-Erzählerin des Buches, dass ihre Freundin Saya im Knast sitzt. Steckt da doch was dahinter? Nein, nein, Saya ist sicher unschuldig. Und schon habe ich mir ein Urteil gebildet. Nach drei Seiten. Obwohl diese Saya noch nicht mal aufgetaucht ist. So schnell geht das.
Sind die drei jungen Frauen Rassismus-Opfer? Oder haben sie sich gewehrt und sind dadurch zu Täterinnen geworden? Immerhin heißt das Buch nicht die drei Freundinnen, sondern Kameradinnen. Das hört sich ein wenig nach Soldatentum und Krieg an.
In diesem Buch wird mir immer wieder ein Spiegel vorgehalten, in dem ich ein Bild von mir sehe, dass ich so nicht sehen will. Bin ich das? Oder lass ich mich von Shida Bazyar einfach auch in eine Schublade stecken? Ich bin hin- und hergerissen während ich dieses Buch lese. Fasse Meinungen und Urteile, die durch zwei Sätze im nächsten Kapitel wieder hinfällig werden. Irre, wie ich durch diesen Roman zum Spielball der Autorin werde. Ganz große Kunst!
Doch erst stelle ich die drei Protagonistinnen kurz vor:
Kasih
Die Ich-Erzählerin hat ein Studium mit Bestnote hingelegt und sucht jetzt Arbeit. Vergeblich. Richtig demütigend sind die Besuche im Arbeitscenter.
Sie leidet auch noch zusätzlich, weil ihr Freund sich von ihr getrennt hat. Sie hat nicht nur Liebeskummer, sondern fühlte sich an seiner Seite unverwundbar. Durch einen deutschen, weißen Freund fühlte auch sie selbst sich deutscher und weißer. Ihre Herkunft machte plötzlich nicht mehr so viel. Er strahlte quasi auf sie aus. Dieser Abglanz fehlt ihr, der Mann selbst allerdings auch.
Kasihs Selbstbewusstsein ist ganz schön im Keller.
Saya
Sie hat keine Probleme mit selbstbewusstem Auftreten. Saya ist immer impulsiv und gerne auf Konfrontationskurs. Sie lässt sich nicht kleinmachen. Fühlt sie sich diskriminiert, wird sie laut. Sie erklärt ihren Freundinnen die Welt und gibt ihnen Ratschläge, wie sie selbst aufbegehren können. Sie gibt nie auf und lässt das auch ihren Freundinnen nicht durchgehen:
Schlimm genug Minderheit zu sein. Seid halt keine heulende Minderheit.
Hat etwas ihr inneres Fass zum Überlaufen gebracht und sie ist explodiert? Was hat sie angestellt? Immerhin sitzt sie im Knast.
Hani
Hier war mein erster Eindruck der einer kleinen verhuschten Maus. Im Job macht sie die Arbeit für alle anderen, ohne sie würde dort nichts mehr laufen. Immer mehr Aufgaben sammeln sich an ihrem Tisch. Hani fühlte sich zu schlecht, um überhaupt das Abitur in Erwägung zu ziehen. Ehrgeizig ist sie anscheinend nicht. Manchmal habe ich fast den Eindruck, sie wäre nicht die Schlaueste. Doch das kommt daher, dass sie Diskriminierung einfach nicht an sich ranlässt. Sie ignoriert Probleme, hat immer gute Laune, will Party machen, Spaß haben. Und Sex. Viel davon, mit allen die ihr gefallen. Doch keine verhuschte Maus. Da muss ich direkt eine neue Schublade suchen…
Schubladendenken
Ich bin von Alltagsrassismus nicht betroffen. Ich gehöre zu den deutschen, weißen Mitmenschen. Nachfühlen kann ich es ein Stück weit schon, denn ich bin eine Frau. Das sind Saya, Kasih und Hani auch und macht es nicht einfacher. Denn die Geschlechterungerechtigkeit, die unzweifelhaft immer noch herrscht, kommt bei diesen drei Kameradinnen ja auch noch oben drauf.
Doch erstmal der Alltagsrassismus. Ich mach das natürlich nicht. Oder doch? Kann ich mich wirklich davon freisprechen? Ich bin davon überzeugt, dass das niemand kann. Ich denke, wir alle stecken Menschen in Schubladen, sehen das Individuum erst, wenn wir einen Menschen besser kennenlernen. Wenn ich als Jugendliche mal Probleme mit einer kleinen dicken, blonden, weißen Frau hatte, dann reagiere ich vielleicht bei einer Frau, die ähnlich aussieht, erstmal abwehrend. Denn mein Unterbewusstsein steckt sie in dieselbe Schublade. Bis ich sie kennenlerne und in eine andere Schublade stecke. Bis ich jemanden super gut kenne und dieser Mensch eine Schublade nur für sich in meinem Hirn bekommt.
Ein guter Kniff von Bazyar ist, dass sie mir einige Infos, in welche Schubladen ich die drei stecken kann, gar nicht gibt. Und das ganz bewusst. Ich erfahre nicht, aus welchem Land Kasih, Saya und Hani stammen. Ich erfahre nicht, welchen Farbton ihre Haut hat, welche Beschaffenheit ihr Haar hat, welche Sprache ihre Eltern sprechen.
Es fällt mir schwerer eine passende Schublade zu finden. Und das ist gut so.
Eine Nacht
Der Roman spielt eigentlich während einer Nacht. Eine Nacht, in der Kasih durchmacht, an ihrem Schreibtisch sitzt und alles aufschreibt. Alles rund um die Freundschaft der drei und wie alles anfing. Das Buch immer wieder zurück an den Schreibtisch. Bazyar benutzt diese Situation um die anderen Teilgeschichten aus Kindheit, Jugend und Gegenwart in einen Zusammenhang zu bringen.
Sie geht auch mal auf die Straße, um sich im Späti Zigaretten zu kaufen, macht eine Pause für eine Flasche Bier. Sie kommt aber immer wieder zurück zu ihrem Schreibprozess. Und Peng, die nächste Schublade. Denn natürlich sehe ich Shida Bazyar an diesem nächtlichen Schreibtisch sitzen. Denn Autorinnen verarbeiten doch immer ihr eigenes Leben, oder? Kasih hat allerdings einen anderen Lebenslauf. Doch bin ich mir leider sicher, dass Bazyar sich mit Rassismus nur zu gut auskennt und sehr genau weiß wie sich das anfühlt.
Diese Textpassagen am Schreibtisch sind Ruhepole im Roman. Denn die anderen Geschichten rundherum sind oft sehr temporeich, fast schon dramatisch. Andere sind wieder „normal“, könnten aus meiner Jugend stammen. Aber in Drei Kameradinnen geht es nicht um die Verklärung der Jugendzeit. Doch diese Episoden sind wichtig für das Gesamtbild.
Ansprache
Kasih spricht mit mir. Sie spricht mich, ihre Leserin direkt an. Sie sagt mir wörtlich Dinge auf den Kopf zu. Kein Wunder, das dieses Buch mich so in sich hineingesogen hat. Allerdings werde ich auch mehrmals wieder ausgespuckt. Oft dann, wenn Kasih mich, die Leserin, direkt anspricht. So zum Beispiel liest sich das:
Ich höre jetzt auf, weiterzuschreiben. Das hat keinen Zweck, denn ich versuche mir permanent vorzustellen, wer ihr seid, während ihr euch vorzustellen versucht, wer wir sind. Wir sind nicht so anders als ihr. Das denkt ihr nur, weil ihr uns nicht kennt.
Alltagsrassismus
Dieser Roman gibt viele Beispiele, wie man sich als nicht weiße Frau mit einem exotischeren Namen fühlen kann. Einfach so im Alltag. In der Bahn, im Supermarkt, in der Kneipe.
Dieses Thema wird in vielen aktuellen Büchern behandelt. Adas Raum, Streulicht, 1000 Serpentinen Angst, um nur mal drei Debütromane zu benennen, die in den letzten 12 Monaten erschienen sind.
Dabei handeln diese genannten Romane auch noch von Frauen, die noch nicht mal eine Sprachbarriere haben. Sie sind gebildet und fallen noch nicht mal durch ihre Kleidung auf. Sie sind wie ich (mit dem Unterschied, dass ich nicht studiert habe) und haben doch Probleme, die ich bisher nicht am eigenen Leib erfahren musste.
Am Anfang des Jahres habe ich noch gesagt, dass ich das Gefühl habe, jedes zweite Buch dreht sich um Alltagsrassismus. Ich hatte genug von dem Thema. Doch nach der Lektüre dieses Buches sage ich mir: ich kann davon nicht genug lesen um mal einen besseren Eindruck zu bekommen, was diese Frauen täglich so durchmachen. Ich muss da noch viel sensibler werden und mir mehr Beispiele anlesen, um diese Fehler einfach nicht (mehr) selbst zu machen.
Rassismus der übelsten Sorte gibt es im Buch auch. Immer wieder ist von einem Prozess die Rede. Das spielt sicher auf die NSU-Prozesse an. Bazyar zeigt sehr intensiv, was solche Ereignisse mit Menschen machen, die auch leicht zu den Opfern zählen könnten und wie einseitig doch manchmal die Berichterstattung ist.
Fazit
Drei Kameradinnen von Shida Bazyar ist meiner Meinung nach einfach grandios! Dieses Buch hat Tempo, bewegte viel in mir und spricht sehr direkt einige Probleme in unserer Gesellschaft an. Die Art, vermeintliche Tatsachen umzuschmeißen und den Plot zu drehen, hat mich immer wieder überrascht. Bazyars Debütroman Nachts ist es leise in Teheran war schon klasse, aber die Autorin ist mit ihrem zweiten Roman noch gewachsen. Sie traut sich viel und das kommt bei mir sehr gut an.
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