Vea Kaiser: Rückwärtswalzer
Mittwoch, 20. März 2019
Rezension eines Familienromans
Lorenz Prischinger hat Probleme. Er lässt sich von seinen Tanten und Onkeln trösten. Die Schwestern Mirl, Wetti und Hedi leben in einer engen Symbiose zusammen. Zwar in getrennten Wohnungen, aber nur selten trifft man sie ohne die beiden anderen an. Dazu passt auch Hedis Mann Willi. Der Roman verrät, was die vier so eng aneinanderbindet. Dafür wird die Familiengeschichte der Prischingers parallel zur aktuellen Handlung von 1953 an erzählt. Auf sehr unterhaltsame, teils lustige, teils berührende Art kommen wir ihrem Leben und Geheimnissen langsam auf die Spur. In der Gegenwart gibt es einen Todesfall und dann folgt eine Art Roadmovie mit einem vollen Fiat Panda und einer langen Fahrt nach Montenegro.
Lorenz
Lorenz ist Schauspieler. Erst auf der Bühne, dann schaffte er den Sprung ins Fernsehen. Leider wurde seine Rolle nach dem Pilotfilm aus einer Krimiserie wieder herausgeschrieben. Und jetzt? Wie soll er die nächste Miete bezahlen? Wo er doch so gerne Geld ausgibt. Außerdem ist seine Freundin nach Heidelberg gezogen. Er ist allein und arm dran. Im Selbstmitleid große Spitze!
Da kommt er auf die Idee sich bei seiner Verwandtschaft Geld zu leihen, doch die sind aus verschiedenen Gründen auch alle pleite.
Da tröstet sich Lorenz erstmal mit der guten Küche seiner Tanten.
Die Gegenwartshandlung ist aus Ludwigs Perspektive geschrieben. Bei den Rückblicken in die Vergangenheit wechseln sich die Stimmen von Mirl, Hedi, Wetti und Willi ab. Ich war immer sehr gespannt, wie es in den einzelnen Handlungsfäden, die immer wieder geschickt verbunden werden, weitergeht.
Überschriften
Sehr gut gefielen mir die witzigen Kapitelüberschriften. Ein paar davon habe ich hier mal zusammengestellt:
Das lahme Rennpferd und sein Espresso
Das Fassungsvermögen eines Pandas
Das Fortpflanzungsverhalten von Enten und Marienkäfern.
Spätestens am Ende eines jeden Kapitels ist auch klar, warum es so und nicht anders heißen musste.
Ein paar wienerische Vokabeln sind im Buch auch noch eingestreut, wie zum Beispiel Popscherl. Schön, dass die Hörbuchversion von einem waschechten Wiener, dem Schauspieler Cornelius Obonya eingelesen wurde.
Lieblingsstelle
Das Kind von Mirl ist ein Schreikind. Es kommt einfach nicht zur Ruhe. Bis Wetti einmal mit dem Kinderwagen einen langen Spaziergang macht. Da wird das Baby endlich ruhig und schläft friedlich ein.
Ja, nicht besonders spannend, aber mit eigenen Erinnerungen behaftet. Meine älteste Tochter schlief auch nicht viel. Außer im Kinderwagen, in Bewegung. Was bin ich in ihrem ersten Lebensjahr spazieren gegangen! Und ich hasse Spaziergänge. Schade, dass ich damals noch nicht auf dem Hörbuchtrip war. Ich hätte jede Woche zwei Hörbücher hören können.
Außerdem ist das Buch voller schöner Sätze, wie zum Beispiel diese Stelle. Mirl hat massive Probleme und bekommt dann immer Putzanfälle:
Vielleicht war das Leben wie dieser Staub.
Ein Gegner, den man nicht bezwingen konnte.
Details
Ein paar buntgemischte Punkte, die ich noch loswerden möchte:
Die alten Griechen sind wieder dabei, einige Anspielungen auf die Ilias sind eingestreut, was mir sehr gut gefiel. Und schon im Untertitel aus Verweis auf die antiken Römer: Manen sind die Geister der Toten.
Emanzipation ist immer wieder ein Thema. Es ist schön zu lesen, wie die Frauen nicht aufgeben. Zu dieser Einsicht kommt auch Willi:
Willi lernte: Am Ende des Tages würden diese drei Frauen immer das tun, was sie wollen. Er hatte zwei Möglichkeiten: Entweder er fügte sich, oder er stellte sich quer. Letzteres war zwar möglich, aber überaus mühsam und im Ausgang ungewiss. Und so beschloss er, sich fortan zu fügen.
Ein weiser Mann, dieser Willi. Und die drei Tanten Hedi, Mirl und Hetti sind grandiose Vorbilder.
Ein weiteres Thema, dass in jedem Kapitel erscheint, ist Essen. Für empfindliche Vegetarier ist das Buch nicht zu empfehlen. Denn es wird viel gegessen und gekocht. Und zwar fast immer Fleisch. Und das in aberwitzigen Mengen. Ganz ehrlich: ich möchte bei den Prischingers nicht mit am Tisch sitzen.
Fazit
Willi sagt einmal im Buch:
Manche Geschichten sind dafür da, dass man sie erzählt. Andere dafür, dass man sie nur mit wenigen Menschen teilt.
Ich bin froh, dass Vea Kaiser diese Geschichte mit uns geteilt hat. Und denkt an den Satz, den die Autorin vor den Roman gestellt hat „Die Handlung wird keineswegs zur Nachahmung empfohlen.“
Rückwärtswalzer ist ein sehr unterhaltsamer, nie langweiliger, manchmal auch berührender Roman über eine sehr lebendige Familie.
Hallo,
danke für den schönen Bericht. Diesen würde ich gerne unter meiner Rezension verlinken.
Viele Grüße
Katrin
Danke. Über eine Verlinkung würde ich mich freuen.
Viele Grüße
Silvia
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