Jörg Fauser: Schlangenmaul
Mittwoch, 12. Juni 2019
Rezension des Kultromans aus den 1980igern
Ich gebe zu: vor der LBC19 sagte mir Jörg Fauser gar nichts. Dir auch nicht? Er war ein heiß geliebter und ebenso heiß umstrittener Kultautor, der in den 1980iger Jahren einige Bücher veröffentlichte, bevor er 1987 bei einem Autounfall starb.
Der Diogenes Verlag spendiert ihm eine Werksausgabe, zum Teil werden auch Hörbücher mit sehr namhaften Sprechern neu eingelesen und Nachwörter von renommierten Autoren geschrieben. In Schlangenmaul stammt es übrigens von Friedrich Ani.
Zuerst dachte ich: was soll ich mit dem alten Zeug? Wer will das noch lesen? Jetzt, nach der Lektüre eines Buches, weiß ich es: ICH will alles von Fauser lesen.
Das Buch
Heinz Harder, Journalist, ist pleite, arbeitslos und irgendwie fertig. Schrieb er vor ein paar Jahren noch sehr erfolgreich Serien für diverse Illustrierte, will ihn jetzt keiner mehr drucken.
Jetzt kommen auch noch Steuerschulden hinzu. Was tun? Fauser gibt nicht auf, sondern setzt eine Anzeige in die Zeitung:
Bergungsexperte für außergewöhnliche Fälle.
Ich würde dabei eher an einen Taucher denken, doch Harder möchte eher Verschwundenes wiederfinden oder andere Ermittlungen durchführen. Und tatsächlich meldet sich eine Frau auf dieses Inserat hin. Die schöne, wohlhabende Nora Schäfer-Scheunemann vermisst ihre Tochter Miriam. Die 19jährige ist schon seit Monaten verschwunden. Die Dame „lehnt alles amtliche ab“ und will deshalb die Polizei nicht einschalten. Ein paar Namen gibt sie Harder an die Hand und zusätzlich ein sehr großzügiges Geldbündel für Spesen. Harder fährt zurück nach Berlin und versucht über seine Kontakte näheres in Erfahrung zu bringen.
Berlin
Schwund in 6 Buchstaben: Berlin. Der erste Blick macht einen an, und dann sieht man genauer hin und entdeckt die Zeichen des unaufhaltsamen Verfalls, den keine Mache übertünchen kann.
Vor dem Mauerfall ist Berlin eine sehr lebhafte Insel inmitten der DDR. Von einer hohen Mauer und Wachzäunen umgeben tanzt in der Stadt der Bär: Kneipen, Catchen, Puffs und Schlangenbeschwörung. Alles mutet recht skurril an, doch waren die 80iger Jahre auch wild und frei, vor allem in Westberlin.
Die Spur führt Fauser zur „Farm für Freie Entfaltung“, macht ihn mit einer Königskobra bekannt. Es gibt Leichen, Prostitution und Menschenhandel. Und Unmengen an Alkohol, Zigaretten und auch ab und zu mal Drogen.
Stimmung
Der gesamte Roman, man kann ihn schon als Detektivroman bezeichnen, ist im Noire-Stil von Chandler gehalten. Das Leben ist nicht schön, aber man muss da durch und macht das Beste daraus.
Und der Held, also Harder, ist zwar am Ende, hat aber doch auch ganz eigene moralische Ansprüche. Er nimmt schon mal eine Knarre zur Hand, lehnt aber schmutziges Geld ab. Der regelmäßige Puffbesucher lehnt dann doch einfach mal das unmoralische Angebot einer schönen, aber falschen Frau ab. Harder ist voller Widersprüche und doch ganz er selbst.
Wie der Autor Jörg Fauser.
Wirklichkeit
Im Nachwort schreibt Friedrich Ani „Für Fauser bedeutete Schreiben die brutalstmögliche Konfrontation mit der Wirklichkeit.“
Da liegt nahe, dass es gewisse Ähnlichkeiten zwischen Heinz Harder und Jörg Fauser gibt. Alkohol, Sex und Drogen: dafür war Fauser zu Lebzeiten bekannt. So muss auch ich mich als Leserin auf den Lebensstil von Harder erst mal einlassen, ist er doch weit weg von meinem spießigen aber zufriedenen Alltag. Um zu zeigen, was ich meine, noch ein Zitat, direkt von der ersten Seite des Buches:
Berlin, Anfang November. Montagmorgen. Sonne, viel zu viel Sonne über den Dächern. Ich griff nach einem der Gläser neben dem Bett, erwischte einen Schluck abgestandenen Wodka mit Tonic. Dann eine Zigarette. Frühstück à la carte. Mein Herz fing an zu hämmern. War wohl etwas grob, gestern Nacht. Die letzten Stunden fehlen mir. Genau genommen auch die letzten Tage. Nuchali lächelte im Schlaf. Für mich gab es nichts zu lächeln. Ich war achtunddreißig und pleite.
Nicht gerade Schwiegermuttis Liebling, doch wuchs mir Fauser, sorry, Harder, im Laufe des Buches richtig ans Herz. Schade, dass es keine Fortsetzung geben wird.
Jörg Fauser
Für mich eine Entdeckung, für meinen Mann ein alter Hut. Er sagte direkt „Fauser? Der hat doch den Schneemann geschrieben. Das Buch wurde mit Marius Müller-Westernhagen verfilmt.“ Wir haben sogar noch eine alte Ausgabe vom Schneemann in Regal. Das wird der nächste Fauser sein, den ich lese, danach wird der Film geschaut.
Simon Sahner von 54books hat eine etwas andere Sicht auf eine erneute Werkausgabe und sieht den Kult als unbegründet an. In seinem Post schreibt er über die eindimensionale Sicht auf Jörg Fauser.
Weitere Infos gibt es auf einer speziellen Webseite über Fauser. Auf den alten Fotos sieht er irgendwie aus wie mein Schwager zu der Zeit…
Fazit
Kurzweiliges Buch mit 80iger Jahre Flair. Für Liebhaber von klassischen Detektivromanen mit Noir-Note. Ob das Buch einen Bachmannpreis verdient gehabt hätte, kann ich nicht beurteilen, aber es ist für mich auch heute noch ein lesenswerter Kriminalroman mit Anspruch.