[Rezension] Deborah Feldman: Überbitten
Sonntag, 17. September 2017
Die Fortsetzung von „Unorthodox“
Da ich erst so spät auf das autobiografische Buch „Unorthodox“ gestossen bin, hatte ich das große Glück, dass ich Deborah Feldmans neustes Buch und damit die Fortsetzung von „Unorthodox“ direkt im Anschluss lesen konnte.
Wie ergeht es FELDMANN nach Verlassen ihrer Gemeinde?
Die Autorin erzählt in der Fortsetzung „Überbitten“, wie es ihr in der Zeit nach dem Verlassen ihres Ehemannes und ihrer jüdischen Gemeinde ergangen ist.
Sie unterteilt es in die einzelnen Jahre, die seither vergangen sind. Nach der Trennung zieht sie mit dem Sohn nach Manhattan, obwohl sie sich das nicht leisten kann. Dort kann man für einen normalen Lohn lediglich das Essen bezahlen. Doch sie hat das Glück, dass sie einen Vorschuss vom Verlag bekommen hat, der sich für ihr Buchprojekt interessiert. Auch findet sie bezahlbaren Wohnraum. Der Grund für ihren Umzug ist der Scheidungskrieg. Ihre Anwältin hat ihr geraten, dorthin zu ziehen, da ihr Wohnort den Gerichtsort bestimmt, der für die Scheidung und das Sorgerecht zu bestimmen hat. Nur in Manhattan hätte sie die Chance auf verständnisvolle Richter.
Ihren Beschreibungen nach zu urteilen hat sich die Trennung von ihrem Mann als relativ einfach herausgestellt. Es gibt klare Absprachen, was Feiertage und Ferien angeht. Das überrascht mich sehr, da kenne ich ganz andere Probleme aus „normalen“ Familien.
In den Jahren nach dem Verlassen ihrer Chassidischen Gemeinde sucht Deborah Feldman nach Lösungen. Wo will sie leben, wo fühlt sie sich wohl? Manhattan gefällt ihr nicht. Nach der Scheidung sucht sie sich im Umkreis von 2 Stunden Entfernung einen neuen Wohnort, der mit den Vereinbarungen um ihren Sohn möglich ist. Sie zieht nach New-England in eine einsame Gegend direkt am See. Es ist romantisch, aber bald fühlt sie sich auch dort nicht mehr heimisch. Erst als sie die ersten Reisen nach Europa macht, fühlt sie dort eine gewisse Zugehörigkeit. Später wird sie nach Berlin ziehen.
Das Leben der Großmutter
Auf der Suche nach ihren Wurzeln spürt sie das Europa ihrer Großmutter auf, die sie großgezogen hat. Diese ist in Ungarn geboren worden. Nach einem Aufenthalt in Auschwitz, wo ihre gesamte Familie getötet wurde, schickten die Nazis sie auf die elend langen Totenmärsche. In Bergen-Belsen rettete sie das Rote Kreuz. Die Jahre nach der Genesung und ihrer Auswanderung in die Vereinigten Staaten verbringt sie in unterschiedlichen Orten in Schweden. Die Autorin bereist alle diese Orte und bekommt einen sehr tiefen Einblick in das Leben ihrer geliebten Oma, die nie über ihre Zeit in Europa mit ihr gesprochen hat.
Nicht so fesselnd wie „Unorthodox“
Dieses Buch hat mich leider nicht so gefesselt wie der erste Teil. Es ist spannend zu lesen, wie Deborah Feldmann sich in ihrem neuen Leben einrichtet. Leider sind einige sehr langatmige Passagen vorhanden, die mich etwas ermüdeten. Etwa Ausführungen bzgl. der Herkunft des Namens Deborah oder die sehr detaillierte Suche nach ihren Wurzeln.
Auf der einen Seite ausführliche Beschreibungen, andererseits fallen wiederum Beschreibungen z. B. was die Beziehung zu ihrer Mutter angeht, sehr kurz aus. Ihre Mutter kommt kaum vor, lediglich einmal zum Geburtstag des Sohnes kommt sie vorbei und dabei erfahre ich, dass sie überhaupt Kontakt haben.
Während „Unorthodox“ über das Leben dieser Glaubensrichtung der Juden aufklärt und meine Wissenslücke damit gestopft hat, ist „Überbitten“ eine Auflistung dessen, was Frau Feldman seit ihrer Trennung von ihrem Mann erfahren hat. Wer sich also nicht für den persönlichen Lebenslauf dieser Frau interessiert, sondern lediglich sein Allgemeinwissen etwas erweitern möchte, sollte es bei „Unorthodox“ belassen und dieses Buch links liegen lassen.
Geschafft
Ich freue mich sehr, dass Deborah Feldman ihren Weg geschafft hat. Leider geht das nicht allen so, die die Gemeinde verlassen. Viele kommen nicht an in dem neuen Leben, dass sie sich erhoffen. Nicht selten ist Selbstmord der einzige Ausweg. Auch Frau Feldmann hatte schlimme Momente, die überstanden werden mussten.
Die schlimmen Momente gehen vorüber, sie gehen immer vorüber, wenn man nur gewillt ist, auszuharren. Die praktischen Dinge des Lebens wollen erledigt werden, sie drängen sich in die von Trauer hervorgerufene Lähmung, bis man schließlich nach dem vorhandenen Seil greift und sich selbst hinauf- und herauszieht.
„Überbitten“
Das Wort „Überbitten“ gibt es übrigens nicht im Duden. Der Titel kommt aus dem Jiddischen iberbetn und bedeutet so viel wie verzeihen.
Lesung
Die Autorin hat mich sehr neugierig gemacht. Wie gerne würde ich sie auf einer Lesung erleben. Aber dadurch, dass ich auf ihre Bücher so spät aufmerksam geworden bin, habe ich beide Lesungen, die sie in Hamburg gehalten hat, verpaßt. Die letzte ist erst einige Wochen her und ich ärgere mich sehr. Hoffentlich bietet sich mir die Gelegenheit noch irgendwann, sie kennenzulernen.
Fazit
„Überbitten“ von Deborah Feldman erzählt von der Zeit nach der Trennung ihrer orthodoxen Gemeinde und ihres Ehemannes. Es beginnen lange Jahre der Abnabelung und der Suche nach einem Neuanfang. Der Neuanfang bedeutet für sie auch die Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte, die sie durch halb Europa führt und schließlich sogar dazu, dass sie sich in Deutschland heimisch fühlt. Eine bewegende Geschichte, die leider manchmal etwas zu langatmig erzählt wird.
Buchdaten
ÜberbittenDEBORAH FELDMANAutobiographische Erzählung Aus dem Amerikanischen übersetzt gebunden ohne Schutzumschlag ISBN 978-3-906910-00-0 secession-verlag |
Liebste Astrid,
Ich habe von beiden Büchern schon viel Gutes und viele begeisterte Stimmen gehört und so sind sie auch beide auf meine Leseliste gewandert. Ich werde ja auf jeden Fall mit „Unorthodox“ beginnen und je nach dem, wie mir das gefällt, dann evtl auch den zweiten Teil lesen. Schade, dass er dich nicht so überzeugen konnte, wie sein Vorgänger. Aber vielen dank für deine kritische und differenzierte Buchbesprechung. Ich bin sehr gespannt, wie es mir beim Lesen der Bücher gehen wird. So ein Leben in so einer extremen Glaubensgemeinschaft kann ich mir nicht mal im Ansatz vorstellen und ich bin sehr gespannt darauf, mehr darüber zu lernen.
Liebe Grüße, Julia
Liebe Julia,
ich freue mich für die Bücher, dass sie auf Deiner Leseliste gelandet sind. Ich glaube, meine Umgebung ist schon etwas genervt, da ich ständig aus „Unorthodox“ erzählen muss. Bei kleinsten Begebenheiten fallen mir immer Episoden aus dem Buch ein. Bin sehr gespannt, wie lange dieses Buch noch in mir nachhallt.
Dir viel Spaß beim Lesen und ich bin gespannt auf Deine Meinung.
LG
Astrid
Haha, ich nerve meine Umgebung glaube ich auch öfter mal, wenn ein Buch mich sehr begeistert hat oder einfach so großen Redebedarf ausgelöst hat (zuletzt zB „Und es schmilzt“). Aber da müssen sie dann durch. 😛
LG