[Rezension] Deborah Feldman: Unorthodox
Sonntag, 13. August 2017
Unorthodox: Ein Buch, auf das ich lange gewartet habe
Kann es sein, dass man lange auf ein Buch wartet und dann nicht mitbekommt, dass es endlich erschienen ist?
Natürlich habe ich von diesem Buch gehört als es als Hardcover erschienen ist. Aber ich habe es anscheinend nicht verstanden, worum es in diesem Buch geht. Erst als die Taschenbuchausgabe kürzlich erschien, merkte ich, um was für einen Schatz es sich handelt.
Ich bin mit ca. 20 Jahren das erste Mal mit orthodoxen Juden in Berührung gekommen. Auf einer Rundreise durch Israel fielen mir diese Menschen auf, von den Frauen habe ich kein Bild mehr vor Augen, aber die Männer mit ihren Anzügen, den Hüten und den Schläfenlocken habe ich im Gedächtnis behalten.
Viel habe ich über das Judensein gelernt in den letzten Jahren, aber nie wirklich etwas über die orthodoxen Juden. Als wir vorletztes Jahr auf unserm Rückflug aus New York eine überaus beeindruckende Erfahrung mit mitfliegenden orthodoxen Juden machten, wollte ich unbedingt etwas mehr darüber lernen.
Wie gut, das mir also doch noch Deborah Feldmanns Unorthodox in die Hände fiel. Wie merkwürdig, wenn man ein Buch liest, das man schon immer mal lesen wollte.
Inhalt: Aufwachsen in einer orthodoxen jüdischen Gemeinde
Deborah Feldman wird 1986 geboren in Williamsburg/Brooklyn/New York. Ihre Eltern haben Probleme miteinander, die Mutter zieht weg aus der Gemeinschaft und der Vater ist nicht in der Lage, sich um die Tochter zu kümmern. Also wächst das Mädchen bei den Großeltern auf, die schon sehr viele Kinder großgezogen haben. Deborah wächst in einer sehr gläubigen Gemeinschaft auf. Sie gehört zu den Satmarer orthodoxen Chassidischen Juden. Nach dem Krieg erfolgte eine Aufsplitterung der Juden. Und zwar gab es nun Gläubige, die sich den Rabbinern, die aus ihrer eigenen Gegend kamen, anschlossen. Die Satmarer Juden kamen aus Ungarn.
Mädchen werden nicht in die Thora-Schule geschickt, die ist nur für die Jungen. Mädchen gehen auf eine für sie gegründete Privatschule. Dort kann kein allgemeiner Abschluss erworben werden, so dass für Mädchen auch keine Universitätskarriere in Frage kommt. Erwartet wird von Frauen, dass sie möglichst noch vor dem 20. Lebensjahr heiraten und sehr viele Kinder kriegen. Nach dem Holocaust sollte es die Aufgabe der Frauen sein, nach der Tötung von so vielen Juden die Anzahl derer zu erhöhen. Eine berufliche Bildung ist nicht vorgesehen und eine Arbeit außerhalb der Familie nicht erwünscht.
In unserer Gemeinde sind sichtbare Zeichen der Frömmigkeit besonders wichtig. Wir müssen zu jeder Zeit fromm erscheinen, um wahre Vertreter Gottes zu sein
Nur religiöse Bücher dürfen gelesen werden. Weltliche Literatur ist verboten. Deborah Feldman schleicht sich heimlich in Bibliotheken. Da sie keinen Ausweis bekommen kann, liest sie heimlich dort. Manchmal spart sie ein wenig Geld und kauft sich heimlich Bücher in entfernt gelegenen Buchhandlungen und liest diese Bücher unbeobachtet in ihrem Zimmer. Immer in der Angst, entdeckt zu werden.
Als Deborah verheiratet wird – es gibt Heiratsvermittler und die Eheleute haben vor der Ehe nur kurze Kontakte zueinander – wird es für sie zur Gewissheit, dass sie in dieser Gemeinschaft nicht mehr leben kann. Als der gemeinsame Sohn zur Welt kommt, fasst sie einen Entschluss. Er soll nicht so aufwachsen wie es sich für einen orthodoxen Juden geziemt. Er soll freier leben und eine andere Erziehung genießen als sie selbst.
Ein Buch, das es in sich hat
„Unorthodox“ ist ein Schock! Natürlich ist jedem klar, dass es unterschiedliche Auffassungen von Religionen und dem Leben gibt. Aber die Schilderungen der Autorin lassen uns Leser an das Mittelalter denken. Wie ist es möglich, dass das ganze moderne Leben ignoriert werden kann? Zeittechnisch war mir am Anfang des Buches nicht klar, wann es eigentlich spielt und ich hatte es in die 50er Jahre platziert. Entsetzt stellte ich dann fest, dass es Anfang der 2000er Jahre spielte.
Deborah Feldmann erzählt uns Lesern sehr eindringlich von ihrem Leben. Wie ihre Kindheit in dem religiösen behüteten Haus war, Fragen waren nicht erwünscht und Zweifel an bestimmten Dingen erst recht nicht. Sexualerziehung gab es erst, als der Hochzeitstermin feststand und sichergestellt werden musste, dass beide Partner informiert waren, wie die geforderten Kinder entstehen.
So viele Dinge, die etwas mit Lebensfreude zu tun haben, erlauben die Regeln der Religion nicht. Die Regeln diktieren den Alltag. Bis ins kleinste Detail. Aber die großen – echten – Probleme werden unter den Tisch gekehrt. Am allerschlimmsten ist wohl die Erklärung, dass Gott den Holocaust als Bestrafung herbeigeführt hat.
Zitate:
„Bubby sagt, dass ein Problemkind eine Bestrafung sei; Zeidi sagt, es sei eine Prüfung Gottes. Ein Problem zu behandeln, hieße, dem Leiden entkommen zu wollen, von dem Gott meint, dass man es verdiene.“
„Assimilation“, sagt meine Lehrerin immer, „war der Grund für den Holocaust. Wir versuchen uns anzupassen und Gott bestraft uns, weil wir ihn verraten.“
„Wir machen früh unseren Abschluss, da es sinnlos wäre, ein weiteres Jahr damit zu vergeuden, eine Bildung zu verfolgen, die wir nicht benötigen.“
„Was ist das für eine Welt, in der wir nur Belanglosigkeiten wie einen zu kurzen Rock bestrafen, aber Stillschweigen bewahren, wenn einer die Zehn Gebote bricht?“
„Die aufgereihten Bücher vor Augen, erinnere ich mich daran, wie sehr ich mir als Kind das Recht ersehnte, lesen zu dürfen, wie viel ich für das Wissen riskierte und wie die Freude, zu lesen, stets die Angst überwog.“
Fazit
„Unorthodox“ von Deborah Feldman ist ein erschreckender autobiografischer Bericht über die Erziehung und das Leben in einer orthodoxen jüdischen Gemeinde. Der Leser fühlt sich ins Mittelalter zurückversetzt bei diesen Ansichten und Auslegungen von Glauben. Und das mitten im modernen New York. Sehr empfehlenswert! Ein Buch, dass man im Leben nicht mehr vergisst.
PS: Das zweite Buch habe ich inzwischen auch gelesen und rezensiert. Schaut euch gerne auch „Überbitten“ an.
Buchdaten
UnorthodoxDeborah FeldmanTaschenbuch, Klappenbroschur 384 Seiten Aus dem Englischen von Christian Ruzicska ISBN: 978-3-442-71534-3 Verlag: btb Erschienen: 19.06.2017 |
Für mich ist es eines der beeindruckendsten Bücher der letzten Jahre neben „Blauschmuck“ von Katharina Winkler.
Herzliche Grüße
Ulla
Liebe Ulla,
stimmt! Blauschmuck ist auch ein Lesehighlight. Leider hat es meiner Meinung nach nicht genug Aufmerksamkeit bekommen.
LG Astrid
Hallo liebe Astrid,
danke für diese interessante Buchvorstellung! Oftmals können wir uns nicht vorstellen, was es so alles auf dieser Welt gibt. Ich freue mich immer sehr, wenn ich von solchen Büchern / Berichten höre, wenn Menschen es schaffen ihren eigenen und selbstbestimmten Weg zu gehen. Das Buch werde ich bei nächster Gelegenheit lesen.
GlG vom monerl
Dann viel Spaß beim Lesen, liebe Monerl
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Ich finde es schlimm, wie abwertend sich die Autorin über ihren (psychisch kranken) Vater äußert, ihre Distanz zum Neugeborenen (erst waschen vorher will sie es garnicht sehen). Sie bildet sich sehr viel auf ihre Intelligenz ein, Gefühl, emotionale Intelligenz fehlen komplett. Ich sehe keine so harten Einschränkungen, im Gegenteil für Streiche reicht es immer. Und wie begeistert sie über den Zukünftigen ist, nur hat er nicht gemacht was sie wollte!
Jammern auf hohem Niveau sonst nichts!
Jeder hat halt eine andere Sicht auf die Dinge! So habe ich es nicht empfunden.
Hey ihr Beiden!
Mir ging es genauso, hab das Buch auch gerade gelesen. Bin gespannt auf die Serie 🙂
LG Amira von Amiras Bibliothek (amirasbibliothek.blogspot.com)