[Rezension] Dagmar Fohl: Alma
Sonntag, 23. Juli 2017
Ein Holocaust-Drama
Nachdem ich kürzlich mit „Das kalte Blut“ über die Täter im zweiten Weltkrieg gelesen habe, geht es nun wieder um die Opfer. Genauer gesagt um die Juden. Ihr wißt, ich habe schon so viele Bücher gelesen über dieses Thema und ich hatte gedacht, allmählich bin ich durch damit. Aber von wegen. Dieses Thema ist so vielschichtig, dass ich es wohl nie in seiner Gänze durchdringen werde.
Das Kreuzfahrtschiff St. Louis
Mir sagte der Name des Schiffes, um das es in „Alma“ geht, nichts. Wißt Ihr etwas über die St. Louis, die 1939 aus Hamburg abfuhr? Wie häufig bin ich wohl schon im Hamburger Hafen an der Gedenktafel vorbeigegangen, wie häufig habe ich sie schon gelesen – ohne dass sie im Gedächtnis geblieben wäre. Nach der Lektüre werde ich von nun an jedes Mal an die Menschen auf der St. Louis denken.
„Alma“ von Dagmar Fohl erzählt die fiktive Geschichte von Aaron Stern, einem Hamburger Juden, der ein Musikaliengeschäft führt und leidenschaftlich Cello spielt. Aaron ist kein gläubiger Jude, er ist Deutscher. Mit Anfang 20 lernt er seine große Liebe kennen. Leah! Sie heiraten. Nach der Pogromnacht im November 1938 kommt Aaron ins Konzentrationslager. Leah – inzwischen schwanger – organisiert Papiere für eine Auswanderung über Kuba in die USA. Daraufhin darf Aaron das KZ verlassen. Durch die Aufregungen erleidet Leah eine Frühgeburt. Alma – klein und zart – muss in die Klinik. Der Arzt, der die Hausgeburt durchgeführt hat, nimmt die Kleine als seine Tochter auf, da Aaron und Leah nur zwei Schiffspassagen haben. Schweren Herzens nehmen die Eltern Abschied von der Tochter.
Das Schicksal der St. Louis
Am 13. Mai 1939 legt das Schiff St. Louis in Hamburg ab. Es ist ein Kreuzfahrtschiff, das hauptsächlich Juden außer Landes bringt. In Havanna erleben die Passagiere einen Schock. Da sich die kubanischen Einreisebestimmungen während der Seereise geändert haben, dürfen die meisten von ihnen nicht an Land gehen. Nach zähen Verhandlungen muss das Schiff nach Europa zurückfahren. Die Passagiere werden auf verschiedene Länder aufgeteilt. Leah und Aaron verschlägt es in die Niederlande. Sie verbringen ihre Zeit in einem Lager. Als die Nationalsozialisten auch dort einmarschieren, werden sämtliche in den Niederlanden lebende Juden in diesem Lager interniert. Jede Woche gehen Züge in die Konzentrationslager. Aaron hat das Glück, dass er mit seinem Cello im Orchester mitspielen darf und so erst einmal verschont wird.
Eines Tages wird auch der Name von Leah und Aaron aufgerufen…
Die Musik, die wir im Lager spielten, half den zuhörenden Häftlingen nicht. Ich habe niemals einen Zwangsarbeiter getroffen, dem unsere Musik Mut gemacht hätte, sie half nur uns Musikern…
Dieses Buch ist vollgestopft mit geschichtlichen Ereignissen. Anders als bei vielen anderen Romanen über dieses Thema geht es nach Ende des Krieges weiter mit der Geschichte. Die meisten Figuren sind fiktiv, aber viele Personen entsprechen der Wirklichkeit. Z. B.. der Kapitän der St. Louis.
Exodus
Es gibt genau gegenüber der Gedenktafel der St. Louis noch eine zweite Gedenktafel, die über die „Exodus“ informiert. Auch ein Schiff, das im Hamburger Hafen abfährt und nach vielen Kämpfen wieder dort anlegt.
Schullektüre?
„Alma“ ist ein sehr konstruierter Roman. Er ist vollgepackt mit geschichtsträchtigen Ereignissen. Eigentlich viel zu vielen. Die Handlung ist voraussehbar. Aber trotz allem finde ich dieses Buch einfach toll, da es Bilder zu Themen liefert, die wir als Fakten kennen. Fakten bleiben längst nicht so gut im Gedächtnis und daher ist es eine tolle Idee der Autorin, diese beiden Gedenktafeln als Anlass zu nehmen und eine Geschichte daraus zu machen. Dieses Buch könnte eine hervorragende Lektüre für Schüler sein.
Abgesehen von den vielen unvorstellbaren Ereignissen läßt sich der Roman sehr leicht lesen. Einfache, meist kurze Sätze. Erzählt wird aus der Sicht von Aaron, dem musikbegeisterten Protagonisten.
Am Ende des Buches gibt es ein Zitat von Wolfgang Borchert – einem berühmten Hamburger Autor:
Alles, was wir tun können, ist: Addieren, die Summe versammeln, aufzählen, notieren. Aber diesen tollkühnen sinnlosen Mut zu einem Buch müssen wir haben! Wir wollen unsere Not notieren, mit zitternden Händen vielleicht, wir wollen sie in Stein, Tinte oder Noten vor uns hinstellen, in unerhörten Farben, in einmaliger Perspektive, addiert, zusammengezählt und angehäuft, und das gibt dann ein Buch von 200 Seiten.
Fazit:
Der Roman „Alma“ von Dagmar Fohl ist aus zwei Gedenktafeln heraus entstanden, die in Hamburg an den Landungsbrücken viele Einheimische und Touristen immer wieder beeindrucken und nachdenklich stimmen. Ein jüdisches Ehepaar läßt ihr neugeborenes Kind in Hamburg zurück, um Deutschland 1939 mit dem Schiff in Richtung Kuba zu verlassen. Sie dürfen dort nicht an Land und kommen nach Europa zurück. Dem Holocaust können sie nicht entkommen. Ein Roman, der am Ende frustriert. Denn was haben wir aus der Geschichte gelernt? NICHTS!!!. Weiterhin flüchten Tausende Menschen, Aufnahme finden die Wenigsten. Willkommen sind sie heute wie damals nicht.
Viele von Euch waren doch schon einmal in Hamburg? Wem sind denn die beiden Gedenktafeln aufgefallen?
INFOS ZUM BUCH
alma |
Ich war noch nicht sooft in Hamburg, als dass ich diese Tafeln hätte sehen können – aber ich finde es eine spannende Ausgangslage für einen Roman. In so einem Fall kann man ja in vielerlei Hinsicht nur spekulieren und daher kommt vielleicht auch die leichte Llischeehaftigkeit bzw. das schablonenartige.
Ja, mir gefällt die Idee auch wirklich sehr gut, Gedenktafeln als Idee für einen Roman zu nehmen.
Und wenn Du vielleicht irgendwann mal an den Landungsbrücken in Hamburg bist – schau mal danach.