Rezension Debütroman von Hilmar Klute
Donnerstag, 16. August 2018
Was dann nachher so schön fliegt
Die Mauer steht noch, es gibt noch Wehrpflicht und auch Zivildienst. Volker, der Held des Buches, hat sich gegen den Dienst an der Waffe und für den konkreten Dienst an Menschen entschieden und absolviert diesen in einem Seniorenheim. Die Arbeit macht ihm eigentlich Spaß, wenn die Zustände dort nicht so verheerend wären. Echt harte Details werden hier angesprochen.
Für mich zum Teil eine Zeitreise. Das Buch spielt Mitte der 1980iger Jahre. Ich habe das Gefühl, es kommen im Moment einige Bücher auf den Markt, die in meiner Jugend spielen.
Dichtung
Eigentlich möchte Volker gerne Dichter werden. Also so hauptberuflich, als zweiter Goethe (wenn auch dieser nicht zu seinen Vorbildern gehört). Gedichte schreiben, das macht er schon lange. Dafür muss er aber auch etwas erlebt haben (denkt Volker). So unternimmt er eine Reise per Anhalter nach Paris, kurz bevor er zum Dienst muss. Dort möchte er viel Stoff für neue Werke erhalten. Die Erlebnisse auf der Reise erzählt er im Buch nach und nach seiner Freundin. So bekommt das Buch mehrere Erzählebenen und spielt auch in verschiedenen Timeslots.
Volker bekommt eine Chance seine angestrebte Karriere voranzutreiben und wird zu einer Veranstaltung für Nachwuchsschriftsteller nach Berlin eingeladen. Dort wird viel erlebt, gesoffen, geraucht und geliebt. Nebenbei ein wenig an Literatur gearbeitet. Ich vergaß beim Lesen oft, wie jung Volker doch ist. In seinen eigenen Erzählungen wirkt er oft reif und viel älter. Ich frage mich, ob das wirklich alles zu einem vielleicht 19jährigen jungen Mann passt.
Natürlich gibt es auch ein paar Gedichte im Buch, von Volker und von anderen. Der Titel stammt übrigens aus einem Werk von Peter Rühmkorf, eine Zeile aus dem Gedicht „Phönix voran!“
Aber keine Angst vor Lyrik, sie nimmt nur einen kleinen Teil im Buch ein. Doch der Roman bietet einen guten Einstieg in deutschsprachige Gedichte durch die Zitate und die erwähnten Dichter.
Klute nimmt sich auch die Freiheit tatsächliche Werke seinen Romanfiguren zuzuschreiben. So zum Beispiel das Prosastück „Fortsetzung des Berichts“, eigentlich von Ror Wolf geschrieben und bereits in den 1960iger Jahren erschienen, wird kurzerhand einem Kollegen Volkers zugeschrieben.
Autor
Hilmar Klute ist so eher mein Jahrgang, was dem von Volker im Buch auch wieder recht nahekommt. So durchforstete er wahrscheinlich auch seine eigenen Erinnerungen an das damalige Lebensgefühl um diesen Roman zu entwickeln. Es handelt sich um einen Debütroman, doch ist Klute, was schreiben angeht, ein alter Hase. Er ist Redakteur bei der Süddeutschen und hat auch schon Bücher veröffentlicht, aber eben keinen Roman. Ob er über sich selbst schreibt? Oder nur über die Zeit, die sicher auch für ihn prägend war?
Gruppe 47
Volker ist ein Tagträumer. Er träumt sich immer wieder in die legendäre Gruppe 47 hinein. Das sagt euch nichts? Hans Werner Richter gründete sie nach dem Krieg (1947), sie bestand ca. 20 Jahre. Mehrere deutschsprachige Schriftsteller trafen sich, um über Literatur zu diskutieren. Es wurden auch junge, unbekannte Autoren eingeladen, gelesen und konstruktiv kritisiert. Teilnehmer waren zum Beispiel Wolfdietrich Schnurre, Günter Eich, Paul Celan und Ingeborg Bachmann. Die anfangs formlosen Treffen gerieten im Laufe der Zeit immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit.
Volker träumte sich also in diese Treffen hinein. Welche der von ihm verehrten Autoren würden sein Werk schätzen? Welche würden es ablehnen? Volker integriert diese Träume so sehr in den Alltag, dass er auch anderen Menschen aus seinem Umfeld dort auftreten lässt. Diese Passagen gefielen mir sehr gut. Eine weitere Erzählebene wurde dadurch geschaffen und ich setzte mich mit den im Buch erwähnten, tatsächlichen Mitgliedern der Gruppe 47, gerne auseinander. Außerdem waren diese Stücke recht amüsant.
Zitate
Ein paar Stellen möchte ich gerne zitieren
Langsam und freundlich verrückt werden – das war auch eine Möglichkeit, ohne Schmerzen durchs Leben zu kommen.
…hatte ein ungnädiger Gott verfügt, dass es nichts auf der Welt geben sollte, dass mich mehr langweilte als ein Fußballspiel. Ich konnte mir keinen tristeren und quälenderen Ort vorstellen als das Stadion.
Warum soll die Wirklichkeit einem Autor vorschreiben, was zu tun ist? Der Schriftsteller ist stärker als die Wirklichkeit. Er ist der Einzige, der sie gegen sich selbst verwenden kann.
…ich aß gerne schlecht, weil schlechtes Essen mutig macht wie eine unbequeme Reise durch ein beschissenes Land.
Fotos, die von Natur aus mies gelaunte Menschen in fröhlicher Stimmung zeigen, sind wie Nachrichten aus dem falschen Leben.
Ihr merkt, das Buch ist nicht in einem lyrischen Stil verfasst, sondern eher lakonisch mit viel Humor.
Fazit
Unterhaltsame Zeitreise mit Tiefgang. Ich fühlte mich von dem Buch unterhalten und auch gefordert, da ich meine Allgemeinbildung über die erwähnten Autoren vertiefen musste. Eloquentes Buch über eine Zeit, in der auch die Weichen für mein weiteres Leben gestellt wurden. Sprachlich sehr gelungen, der eigentliche Plot konnte mich allerdings nicht so recht ansprechen. Doch die Szenen aus dem Altersheim und die erdachten Konfrontationen mit der Gruppe 47 fand ich super.
Infos zum Buch
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