[Rezension] Betty Smith: Ein Baum wächst in Brooklyn
Sonntag, 19. August 2018
Ein Baum wächst in Brooklyn – Ein Klassiker
Mir gefällt es, wenn Bücher wieder neu aufgelegt werden. In einer neuen Übersetzung oder einfach nur so. Bei diesem Roman liegt der Neuauflage auch einer neuen Übersetzung zugrunde. Ich hatte noch nie von der Autorin oder dem Titel gehört. Zum Glück bin ich durch andere Blogger darauf aufmerksam geworden.
Geschrieben wurde das Buch in den 1940er Jahren, spielen tut es in den 1910er Jahren. Also schon verdammt lange her!
Große Armut
Der Leser taucht ein in die Armut der Amerikaner und Auswanderer in Williamsburg/Brooklyn/New York. Die Menschen dort leben von der Hand in den Mund. Francie ist ein junges intelligentes Mädchen, dass mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder in diesem Viertel lebt. Ihre noch sehr jungen Eltern haben früh geheiratet und waren mit der Familiengründung anfangs überfordert.
Der Vater, ein sehr gut aussehender Mann, der hervorragend singen kann, arbeitet als freiberuflicher singender Kellner. Ein Job, der nur unregelmäßig Geld einbringt. Johnny fühlt sich als Versager, da er seine Familie nicht gut genug ernähren kann. Das Hauptproblem ist sein Alkoholkonsum.
Die Mutter Katie hat nach der Hochzeit schnell begriffen, dass sie einen unzuverlässigen und alkoholkranken Mann geheiratet hat. Trotz allem hält sie zu ihm und tut alles, um die Familie durchzubringen. Sie hat diverse Jobs und schafft es trotz allem, die Kinder zu erziehen und ihnen Werte zu vermitteln.
Francie ist ein aufgeschlossenes Mädchen, dass die Liebe zu Büchern für sich entdeckt. Schon früh in ihrem Leben nimmt sie sich vor, jeden Tag ein Buch zu lesen. Sie hat das Glück, eine Leihbücherei in der Nähe zu haben.
Die Bücherei war klein, alt und schäbig. Francie fand sie wunderschön.
Wir Leser begleiten die Familie in den folgenden Jahren. Am Anfang des Buches ist Francie 11 Jahre alt, am Ende 20. Viel passiert in der Zeit in diesen mageren Jahren. Es wird viel über Geld gesprochen. Was wieviel kostet, wieviel man verdient. Leider habe ich zu dieser Währung zu der Zeit gar keinen Bezug. So sind es für mich nur Zahlen, hinter denen kein Wert steht.
Bildung ist bei den Eltern das Schlüsselwort. Mehr Bildung, besseres Leben. Sie kämpfen dafür, dass es ihren Kindern einmal besser geht. Schulbildung ist nicht einfach im Brooklyn des beginnenden 20. Jahrhunderts. Lehrerinnen dürfen nicht verheiratet sein, haben daher auch keine Kinder. Aber der Job ist allemal besser als in einer Fabrik zu arbeiten. Die meisten taugen nicht als Pädagogen und so ist der Schulalltag häufig schwer für die Schüler. Wer keine eigene Motivation mitbringt, ist verloren.
Erinnerungen an „Schloss aus Glas“
Mich erinnert dieses Buch sehr an „Schloss aus Glas“. Wie Janet Walls Vater hat Johnny Vorstellungen davon, wie er als Vater zu sein hat und was ein Vater für seine Kinder tun sollte. Leider kommt ihm häufig der Alkohol in die Quere. Und manchmal auch seine Unwissenheit. So geht er einmal mit den Kindern auf eine Boots- und Angeltour. „Weil man das als Kind mal gemacht haben muss!“ Da er selber weder Bootfahrten kann noch Ahnung vom Angeln hat, wird die Tour zum Desaster. Manchmal ist Johnny erstaunlich kreativ und trotz seiner Schwächen ist er ein liebenswerter Mann und Vater. Seine Anziehungskraft spürt auch der Leser.
Die Familie lebt in sehr ärmlichen Verhältnissen, hungern und frieren häufig. Die Eltern versuchen die Kinder so lange wie möglich auf die Schule gehen zu lassen. Es klingt vieles so unglaublich in unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft.
Ich tauche tief in diese Familiengeschichte ein, jedes Familienmitglied wird so liebenswert beschrieben und ich möchte sie am liebsten alle einmal kennenlernen. Besonders die Oma, die aus Österreich nach Amerika gekommen ist, nie lesen und schreiben gelernt hat. Als die Enkelin Francie geboren wird, gibt sie ihrer Tochter viele schöne und wertvolle Lebensweisheiten mit auf den Weg, an die sich die neue Familie streng hält.
Obwohl Francie ein Leben in Armut führt, wird sie begleitet von liebevollen Menschen um sie herum und sie verliert nie ihren Optimismus. Sie weiß, irgendwann wird es auch ihr finanziell besser gehen. Ihr Anspruch an das Glück ist nicht groß.
„Die Leute glauben immer, Glück sei etwas Fernes“, dachte Francie, „etwas Kompliziertes und schwer Erreichbares. Aber welche Kleinigkeiten es doch bewirken können, ein geschützter Ort, wenn es regnet – eine Tasse starken Kaffee, wenn man traurig ist, für einen Mann eine Zigarette für die Zufriedenheit, ein Buch zum Lesen, wenn man allein ist –, einfach mit dem zusammen sein, den man liebt. Das alles macht Glück aus.“
Zero Waste
Heute ist das Thema Zero Waste in vielen Köpfen angekommen. Vor 100 Jahren war das alles noch selbstverständlich. Im Buch wird das Essen in Zeitungspapier eingepackt, gewaschen wird mit Soda, die Brottüte wird sorgfältig aufbewahrt für den nächsten Gebrauch und es gibt Wachstücher für längere Haltbarkeit der Lebensmittel. Die heutige Generation versucht nun, sich das alles wieder anzugewöhnen. Was für eine verrückte Welt!
Fazit
„Ein Baum wächst in Brooklyn“ ist die Neuauflage eines sehr lesenswerten Buches, das bisher schon viele neue Leser gefunden hat und sicher noch viel mehr finden wird. Wer „Ein Schloss aus Glas“ oder „Wer die Nachtigall stört“ gerne gelesen hat, wird auch dieses Buch sehr mögen.
Danke für den Tipp. Das Buch „Ein Baum wächst in Brooklyn“ habe ich in meiner Jugend (aus der Leihbücherei) gelesen und es hat mich extrem beeindruckt. Immer wieder, auch erst in letzter Zeit, habe ich versucht ein Exemplar zu bekommen, aber nur englische Versionen gefunden. Dass es nun neu aufgelegt wurde ist klasse. Und da Du so begeistert schreibst, scheint es ja auch nichts an der Faszination verloren zu haben. Allerdings wäre es jetzt umso interessanter die alte Übersetzung mit der neuen vergleichen zu können.
Viele Grüße Cordula
Hallo Cordula,
endlich mal jemand, der das Buch schon von früher kennt!
Einen Vergleich der Übersetzungen wäre wirklich spannend. So ganz kann ich mir ja immer nicht vorstellen, dass man so viel anders übersetzen kann, dass sich das für einen Verlag lohnt. Ich werde mal die Augen offenhalten, vielleicht findet sich ja noch irgendwo das alte Buch.
Bin gespannt, ob du es jetzt noch einmal lesen wirst.
Viele Grüße
Astrid