[Rezension] Die Badende von Moritzburg
Sonntag, 30. Juli 2017
Eine Sommernovelle von Ralf Günther
Die junge Clara Schimmelpfenninck ist „Die Badende von Moritzburg“. Sie leidet unter Atemnot und wird in das Dresdner Lahmann-Sanatorium auf dem weißen Hirschen geschickt. Dort erholt sich Clara nach den neuesten Erkenntnissen. Luftbäder in leichter Kleidung, Nährsalze, Haferplätzchen zum Frühstück, vegetarische Milch! Jeden Tag das gleiche Programm. Clara langweilt sich zu Tode. Man schreibt das Jahr 1910.
Endlos hatte sie auf die Seiten gestarrt. Die Tinte war in der Feder geronnen. Für die Ereignislosigkeit an diesem Ort gab es keine Worte.
Als ein neuer junger Arzt ins Sanatorium kommt, mit neuen Ideen und neuen Behandlungsmethoden, erkennt er schnell Claras wirklichen Probleme und läßt sie einen Ausflug nach Moritzburg machen.
Jetzt war es an Clara, zu erröten. „Ich soll mich in Ihrem Beisein hinlegen?“
Voller Vorfreude fährt sie nach Moritzburg und fühlt sich endlich wieder lebendig. Sie erkundet die Landschaft und stößt auf eine Gruppe Künstler, die so ganz anders sind als sie selbst. Clara, die immer züchtig bekleidet ist, wundert sich über die Nacktheit der Maler und deren Modelle. Sie ist zurückhaltend, bewundert aber die Lebensweise der anderen und vor allem auch deren Kunst. Als ein Gewitter aufzieht, bleibt sie bei der Gruppe und erlebt einen unvergesslichen Tag.
Schaun Sie, Frollein, die Maler vergangener Tage haben Zeit und Pigmente vergeudet, da sie viel zu viel gemalt haben. Warum sich verausgaben, wenn es auch mit ein paar Strichen geht? Den Rest besorgt die Phantasie.
Ernst Ludwig Kirchner
Der Maler Ernst Ludwig Kirchner hat die Künstlergruppe „Die Brücke“ gegründet, zu der sich viele expressionistische Maler anschlossen. Im Sommer wurde an den Teichen von Moritzburg gemalt. Dort wurde die Protagonistin Clara geschickt integriert. Im Winter war man im Dresdner Atelier Die Nationalsozialisten bezeichneten seine Bilder als entartet und so nahm sich Kirchner das Leben.
Anfang des 20. Jahrhunderts
Ein wirklich kurzes Buch über die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts. Auf der einen Seite die prüde Gesellschaft, die Korsett trägt und vieles für unsittlich erklärt. Auf der anderen Seite die Künstler, die das Leben von der schönen Seite sehen können und es genießen.
Mir hat „Die Badende von Moritzburg“ gefallen. Es ist unaufregend, aber eine wirklich schöne Lektüre. Mir hat die Mischung aus Prüderie und Unbekümmertheit Spaß gemacht. Am Ende des Buches gibt es noch das Kapitel „Reform des Lebens“ mit einigen Anmerkungen zum historischen Hintergrund. Das ist wirklich klasse. So was wünsche ich mir bei so vielen Büchern. Ganz ehrlich, wer kennt schon immer alle relevanten Informationen, die zu vielen Büchern aber so wichtig sind?
Auf dem Cover von „Die Badende von Moritzburg“ sieht der Leser das Bild „Drei badende Frauen“ von Kirchner. So kann man dessen Stil erahnen. Wem „Ein Winter in Wien“ von Petra Hartlieb gefallen hat, wird dieses Buch auch mögen.
Lesungen
Wer sich für Lesungen zu dem Buch interessiert, sollte den Bericht über eine Lesung bei literatwo lesen. Dort gibt es auch schöne Fotos aus Moritzburg.
Fazit
„Die Badende von Moritzburg“ riss mich vom Titel her leider nicht vom Hocker, obwohl er sehr treffend ist. Ein Buch über ein prüdes junges Mädchen aus gutem Hause, das Bekanntschaft mit der Offenheit der Künstler Anfang des 20. Jahrhundert macht. Ein schöne Geschichte für den Liegestuhl im gut temperierten Schatten.
INFOS ZUM BUCH
Die Badende von Moritzburg |