Rezension: Fake von Frank Rudkoffsky
Mittwoch, 18. September 2019
Das ganze Leben ist Fake?
Jan und Sophia sind sehr glücklich miteinander, bis Max geboren wird. Die Karrierefrau Sophia, die eigentlich von einer Weltreise träumt zerbricht fast unter der Mutterschaft. Schlaflosigkeit, schmerzende Brüste, Stress, Genervtheit, weil sich Max als Schreikind entpuppt. Eines Abends merkt sie, dass sie in Mütterforen gut Stress ablassen kann, indem sie dort extreme Meinungen vertritt. Mit verschiedenen Fake-Accounts mobbt sie sich so durchs Internet. Doch auch ihr Mann Jan, ein Journalist ist dort nicht nur unter seinem richtigen Namen anzutreffen.
Kindersegen
Als Karrierefrau kann man mich nicht bezeichnen. Eine Führungsrolle im Job habe ich sogar einmal freiwillig aufgegeben (hätte ich mit zwei Kindern auch zeitlich nicht geschafft). Doch ansonsten kann ich mich an vieles erinnern, was der Autor hier aus dem Leben der Romanfigur Sophie beschreibt. Meine älteste Tochter war zwar kein „richtiges“ Schreikind, schlief in den ersten sechs Monaten aber eigentlich nur an der Brust oder im Kinderwagen (solange er geschoben wurde). Es war echt krass, dass ich trotz totaler Erschöpfung nach dem nächtlichen Stillen nur schwer wieder einschlafen konnte. Auch die vielen gutgemeinten Ratschläge, gerne konträre, kannte ich sehr gut. Alles hat mich total verunsichert und fertig gemacht. Doch ich war nur müde und erschöpft. Sophia wurde wütend.
Wutventil
Das Ventil für ihre Wut waren Soziale Medien und Internetforen. Mit geschickt platzierten Fake-Accounts konnte sie dort alles rauslassen. Manchmal legte sie in einem Forum sogar mehrere User an, die sich gegenseitig hochpuschten.
Dank einer Schar an Accounts blieb ich flexibel. Ich konnte den Klimawandel ebenso gut leugnen wie apokalyptisch überzeichnen, Gendersprech oder Toiletten fürs dritte Geschlecht in einem Post verteufeln und im nächsten verteidigen, problemlos Netzfeministinnen und alte weiße Männer gegeneinander ausspielen. Für manche Leser war ich ein frustrierter Rentner oder Hartz-IV-Versager im Unterhemd, der schon morgens mit Pilsdose am Rechner saß und die gute alte Zeit vermisste, als man noch Frau und Kinder schlagen durfte; andere hielten mich für einen weltfremden Juso im Studentenwohnheim oder den Steine schmeißenden Antifa-Assi im besetzten Haus.
Diese Wut und auch diese Art von Ventil sind mir eher fremd. Durch den Blog bin ich es gewohnt, mich manchmal eher zurückzuhalten, weil meine Identität allen offenliegt. Nur bei Ebay hatte ich auch schon mal zwei Accounts und versuchte damit, wie auch Sophia, schon mal einen Preis hochzutreiben. Doch das kann teuer werden und jetzt habe ich schon seit Jahren dort nichts mehr verkauft.
Frust
Der Journalist Jan ist frustriert. Ein Praktikum löst ein Volontariat ab und umgekehrt. Doch eine interessante Festanstellung ist nicht in Sicht. So versucht er es als freier Journalist. Doch dabei muss man erst mal liefern ohne die Zusage überhaupt mal Geld für die aufwändige Recherchearbeit zu sehen. Dann wohnen sie auch noch in Stuttgart. Nicht gerade das Journalisten-Eldorado. Doch dort hat seine Frau einen sicheren und gut bezahlten Job. Jan ist in einer Zwickmühle. Als Vater und Hausmann total unglücklich, versucht er durch gefakte Facebook-Accounts in bestimmte rechtsextreme Kreise einzudringen und dort eine spannende Insight-Reportage über Pegida zu schreiben. Doch trifft er dabei auf echte Menschen, die er sich anders vorgestellt hat. Während einer Demo gibt es auch sehr gefährliche Momente in denen er sich bedroht fühlt und er auch andere in Gefahr bringt.
Das Paar
Dieser Roman zeigt auch die Entwicklung eines Paars, das es irgendwie verpasst an den richtigen Stellen ehrlich zueinander zu sein. Da ist Sophie auf Jan sauer, weil sie für ihn auf eine große berufliche Chance verzichtet hat. Jan kann das nicht verstehen, weil er davon gar nichts weiß.
Sophia schnappt sich irgendwann einen von Jans älteren Fake-Accounts und spielt selber damit herum. Durch eine angenommene Rolle erfährt sie dort Trost und Mitleid, welches sie in der realen Welt nicht bekommt. Eben weil sie sich zum Beispiel ihrem Partner nicht ehrlich mitteilt.
So zerbricht die Beziehung fast an den Veränderungen die sie und ihre Welt durchmachen.
Schaffen sie es das zu kitten? Endlich mal ganz ehrlich zueinander zu sein?
Sie lernen mit der Zeit, dass es immer Veränderungen gibt und man deshalb ständig an Beziehungen arbeiten muss.
Rudkoffsky wählt für seinen Roman wechselnde Perspektiven. So bekam ich Einsichten in die Gefühlswelt von beiden Protagonisten. Beide sind nachvollziehbar, ich als Leserin habe deshalb auch für die Probleme beider Paarteile Verständnis gehabt.
Nun ja, vielleicht war ich aus biologischen Gründen doch ein klein wenig auf Sophias Seite was die Mutterschaft angeht. Dafür konnte ich ihre Wut nicht nachfühlen.
Eigene Erfahrungen?
Seit Frank Rudkoffskys Debütroman Dezemberfieber hat sich in seinem Leben viel getan. Er ist selbst auch durch Tiefs gekommen und durfte auch Hochs erleben. Wie Jan hat auch Frank einen Blog und sucht den Erfolg. Er ist Vater geworden und seine Partnerin hält ihm den Rücken frei, wie er im abschließenden Dankeswort an erster Stelle betont.
So konnte der Autor seine Lebenserfahrungen in das Buch einbringen und trotzdem klar machen, das Jan nicht Frank ist.
Durch die aktuellen Themen im Buch konnte ich auch meine eigenen Erfahrungen mit meinen Kindern und den sozialen Medien immer wieder reflektieren. Auch die Beziehung zwischen meinem Mann und mir wurde durch die vielen stressigen Momente mit zwei kleinen und später größeren Kindern auf mehrere Proben gestellt. Dabei haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass der Partner nicht immer erraten kann, was im Gegenüber vorgeht. Warum der andere vielleicht gerade denkt „immer“ zurückstehen zu müssen. Offene Kommunikation ist die Basis unserer Ehe. Vielleicht erkennen Sophia und Jan das auch mal.
Fazit
Fake ist ein temporeicher Roman, der viele aktuelle Themen rund um Elternschaft, Beziehungen und soziale Medien aufgreift. Die beiden Protagonisten machen enorme Veränderungen durch. Die zwei Perspektiven machen den Blick für die jeweils andere Seite frei. Frank Rudkoffsky zeigt auf, welche Gefahren durch Lügen in den sozialen Medien drohen können. Durch die teils überspitzte und dadurch ironische Darstellung des Socialmedia-Lebens macht der Autor das mit Humor und nicht mit dem erhobenen Zeigefinger.
Weitere Rezensionen
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