Rezension: Hörbuch Terranauten von T.C. Boyle
Mittwoch, 8. Februar 2017
In den 1990iger Jahren, die von Überbevölkerung und Umweltverschmutzung gezeichnet waren, gab es einige Visionäre, die von menschlichem Leben auf einem anderen Planeten träumten. Um den Beweis zu erbringen, das autarkes Leben in einer künstlich geschaffenen Umwelt möglich ist, wurde das Biosphären-Projekt geschaffen. Der Roman lehnt sich an dieses tatsächliche Projekt an, in dem es acht Menschen gelang sich über zwei Jahre in der sogenannten Biosphäre 2 (kurz B2) am Leben zu halten. B1 ist übrigens die Erde selbst.
Nichts rein – nichts raus
Ist der Wahlspruch der vier Männer und vier Frauen, die sich freiwillig in einer großen Glaskuppel in Arizona für zwei Jahre einschließen lassen.
Der Roman „Die Terranauten“ beginnt vor dem Einschluss, mit der Entscheidung wer nach einem langen Auswahlverfahren mit hinein darf und wer draußen bleiben muss. Die Auserwählten sind überglücklich, aber auch so von sich überzeugt, dass sie nicht wirklich gezweifelt haben. Die, die nicht für diese Mission 2 auf der endgültigen Liste standen, sind enttäuscht, wütend, sauer.
„Die Terranauten“ wird wechselweise aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt, das Hörbuch auch entsprechend von drei verschiedenen Stimmen gelesen. Diese Hauptpersonen möchte ich näher vorstellen:
Dawn Chapman
Spitzname E., wird von Eli Wasserscheid gelesen. Dawn ist schön, fotogen und intelligent und soll im Habitat als Nutztierwärterin tätig sein. Es werden Schweine, Ziegen, Enten und Hühner gehalten. Dawns Aufgaben umfassen die Pflege der Tiere, melken, füttern, Anbau der Nahrung und auch das Schlachten, denn Eiweiß ist für körperlich arbeitende Menschen extrem wichtig.
Ramsay Roothoorp
Spitzname Vaj, gelesen von August Diehl. Ramsay ist ein großartiger Selbstdarsteller und hat als Hauptaufgabe die medienwirksame Kommunikation mit der Außenwelt, denn das ganze Unternehmen soll zum Teil über Spendengelder und Tourismus finanziert werden, dazu wird die mediale Aufmerksamkeit der Welt benötigt.
Linda Ryu
Spitzname: Drachenlady, wird von Ulrike C. Tscharre gelesen. Linda ist draußen. Sie hatte mit ihrer besten Freundin Dawn um den gleichen Posten im Team gekämpft. Vor Neid zerfressen, weil sie nicht unter den acht Auserwählten ist, hofft sie auf eine Chance im nächsten Team. Sie hält sich für besser als Linda und glaubt, sie sei nur nicht dabei, weil sie koreanischer Abstammung ist und Blonde besser ins Bild passen. Mir war im ganzen Buch total schleierhaft, warum man unbedingt dort hinein möchte (außer das auch ich dort wunderbar abnehmen könnte…).
Medien
Die Medien und die Aufmerksamkeit und das Aufsehen, dass dieses Projekt in der Welt verursacht, sind enorm wichtig. Deshalb glaubt Linda auch, dass Dawn nur ihres Aussehens wegen ausgewählt wurde. Jedes positive Ereignis, jeder Feiertag, jede Einzelheit wurde medienwirksam ausgeschlachtet. Das war damals noch etwas mühsamer, da wir von der Zeit sprechen, in der es noch kein Facebook, kaum Internet und Mobiltelefone gab (oder nur als Riesenknochen). Alles wird also wie eine heutige Castingshow mit nachfolgendem wissenschaftlichem Big Brother-Leben ohne Entkommen aufgezogen. So können Touristen gegen Eintritt die eingeschlossenen Terranauten von außen begaffen. Mir kam der Gedanke, wenn Außerirdische mal ein paar Menschen mit auf ihren Planeten nähmen, sie diese genauso in einem Zoo ausstellen könnten und dort das Sozialleben, Nahrungssuche und Paarungsverhalten analysieren könnten.
Mission Control
Das ganze Experiment wurde in der Realität und im Buch militärisch aufgezogen, die Steuerung läuft über die sogenannte Mission Control. Auch für die wichtigsten Personen hier gibt es Spitznamen. Der Chef von allem ist Gottvater, sein Mitarbeiter Jesulein und die Frau für alles wird von den Teilnehmern Judas genannt. Der Mann, der mit seinem Geld alles ermöglicht hat, wird meist Gott Mammon genannt. Auch in der Realität wurde das Projekt größtenteils von einem Milliardär finanziert.
Fokus
Boyle legt den Fokus im Buch nicht auf eine korrekte Nacherzählung der Ereignisse, sondern lässt kräftig seine Phantasie spielen und geht dabei ziemlich weit. Die technischen Probleme sind nur Nebenschauplätze, wichtig sind hier die menschlichen Aspekte. Wie kommen die acht miteinander zurecht?
Bald wird klar, was die wichtigen Dinge für die Terranauten im Leben sind: Sex und Essen. Später nur noch Essen. Denn was sie produzieren können reicht kaum für acht schwer arbeitende Menschen. Fällt einer mal aus, müssen die anderen die Arbeit mit erledigen, sonst kommt das mühsame ökologische Gleichgewicht der simulierten Raumstation ins Schwanken. Und in extremen äußeren Bedingungen wird in den Menschen nicht unbedingt das Beste verstärkt.
Ein Kollege, der zur Zeit der tatsächlichen Biosphärenprojekte Chemie studierte, erzählte mir, wie die Studenten und Professoren angeregt darüber diskutierten, wie das chemisch gesehen alles klappen könnte. Um die menschlichen Aspekte haben sie sich damals keine Gedanken gemacht.
Die reale Biosphäre 2
Es gelang tatsächlich acht Menschen für zwei Jahre in diesem Komplex zu überleben. Er war ca. 9000 qm groß und umfasste verschiedene der Natur nachempfundene Habitate: einen tropischen Regenwald, Korallenriff, einen Mini-Ozean, Watt, Savanne und ein Wüstengebiet. Neben den Nutztieren und -pflanzen waren noch viele andere Tier- und Pflanzenarten mit dabei, um ein komplettes Ökosystem nachzustellen. Auch einige ungebetene Gäste haben sich eingeschlichen, von denen sich vor allem Kakerlaken und eine bestimmte Ameisenart als sehr lästig und schädlich erwiesen. Zumindest im Buch kam auch ein kleiner Spatzenschwarm mit rein, mich hat eher gewundert, dass es keine Ratten und Mäuse gab.
Im Experiment wurde viel auf Müllvermeidung, Wiederverwertbarkeit und Umweltverträglichkeit geachtet und dabei aber jede Menge Strom verbraucht. Die Solarzellentechnologie war damals noch nicht so weit. Jane Poynter ist eine der tatsächlichen Expeditionsteilnehmerin. Sie schrieb ein Buch über ihre Erlebnisse, auf das sich Boyle auch bezieht. Eines der großen Probleme im wirklichen Experiment war die Diffusion von Sauerstoff durch die Baustoffe nach außen.
„Gute Reise und fliegt euer Raumschiff ordentlich, damit die Menschen in Zukunft ihr Raumschiff Erde besser steuern“, gab der Mäzen Bass (das Vorbild für Gott mammon) den Terranauten beim Einschluss mit.
Fazit
Witzig, spannend, lehrreich, unterhaltsam: Versuchsanordnung voller Adaptionsmöglichkeiten auf unsere heutige Zeit. Im Hörbuch werden die drei Perspektiven durch die verschiedenen Sprecher gut herausgearbeitet. Leider ist die Hörbuchfassung gekürzt.
Bibliographie
Die Terranauten
Hörbuch MP3-CD (gekürzt),
2 CDs, Laufzeit: 1006 Minuten
ISBN: 978-3-8445-2384-3
€ 26,00 [D] (empfohlener Verkaufspreis)
Übersetzt von Dirk van Gunsteren
Originalverlag: Carl Hanser Verlag
Liebe Silvia,
das klingt ja tatsächlich interessant! Schade, dass das Hörbuch nicht den kompletten Roman umfasst. Aber die drei Sprecher für die drei Perspektiven – das klingt gut. Danke für den Tipp!
Liebe Grüße,
Frauke
Hallo Frauke,
diesmal hatte ich nicht das Gefühl das in der Geschichte ein Teil fehlt. Die Kürzungen wurden sehr gut vorgenommen.
Grüße
Silvia
Huhu!
Ich liebäugle ja schon mit der Geschichte (egal ob Buch/Hörbuch) und deine Rezension macht mich nochmals neugierig!
Ich glaube es sollte zu mindestens jetzt mal auf die WuLi 😉
Liebe Grüße!
Hallo,
ich muss jetzt auch unbedingt den letzen Boyle „Hart auf hart“ lesen, ich weiss gar nicht, warum das Buch immer noch auf meinem SUB liegt.
Alles Gute
Silvia
Pingback: T.C. Boyle - Die Terranauten (Buch und Lesung) - Tommi und die Schmöker
Hallo Silvia! „Die Terranauten“ hört sich wirklich klasse an! T.C.Boyle ist ein Meister seines Handwerks und sein neues Buch will ich auch unbedingt bald lesen. Ich werde bei meinem nächsten Bibliotheks-Besuch danach Ausschau halten. Eine tolle Rezension und ein toller Blog!
Liebe Grüße
Svenja (www.pantaubooks.wordpress.com)
Hallo Svenja,
vielen Dank für deine netten Worte.
Inwzischen habe ich auch einige Rezensionen zu Terranauten gelesen, die so gar nicht begeistert waren. Ich denke ich tat gut daran, das Hörbuch gewählt zu haben.
Viele Grüße
Silvia