John Williams: Augustus
Mittwoch, 7. Dezember 2016
Augustus – Kaiser und Mensch
Der Historiker John Williams lässt in diesem Briefroman das römische Reich zur Zeit Kaisers Augustus wieder auferstehen. Ich hatte das Gefühl in dieser Zeit vor 2000 Jahren gelandet zu sein.
Für dieses Hörbuch brauchte ich etwas Ruhe, es ist nichts was ich nebenbei hören konnte.
Es ist ein Briefroman, manchmal ergänzt durch Ausschnitte aus den Aufzeichnungen damaliger Chronisten (insbesondere Livius) und mit erfundenen (aber sehr gut nachempfundenen) offiziellen Dokumenten.
Imagination
Im Vorwort erwähnt Williams selbst das Wort „Imagination“. Fast alle verlesenen Schriftstücke entspringen seiner Phantasie. Allerdings hat er als Historiker sich sicher auf vertrauenswürdige Quellen gestützt.
Augustus selbst kommt eigentlich nur im letzten Teil des Buches zu Wort. Ansonsten wird aus den Worten der Zeitzeugen ein vielschichtiges Bild von Augustus Leben und Persönlichkeit gezeichnet. Es kommen Freunde und Feinde gleichermaßen zu Wort. Besonders spannend fand ich, wenn dasselbe Ereignis aus verschiedenen Sichten beschrieben wurde.
Durch die Verbindung der verschiedenen Perspektiven, in denen zum Teil Briefe „zitiert“ werden die zur jeweiligen Zeit geschrieben wurden, oder auch im Rückblick Jahrzehnte später verfasst wurden, kommt die geniale Konstruktion des Romans zu Tage. Anfangs fand ich es verwirrend, dass ein Brief 13 nach Christus, der nächste gelesene aber 20 Jahre früher geschrieben wurde. Doch nach und nach fügen sich die einzelnen Teile zu einem großen Puzzle, einem Gemälde des römischen Staates mit einer machtvollen Person am Kopf zusammen.
Ich möchte auf zwei Personen näher eingehen. Augustus selbst und Julia, sein einziges leibliches Kind
Julia
Sie kommt selbst im Rückblick zu Wort. Durch diese politischen Hochzeiten sollte jeweils der Frieden und die Macht gesichert werden. Sie schreibt auf der Insel Pandateria, auf die sie verbannt wird, ein Tagebuch über ihre letzten Jahre in Rom. Erst kommt sie kurz Wort, dann werden ihre Beiträge immer länger. Von Geburt an wurde sie als Spielball der Macht benutzt, später als „Bruthenne“. Doch die intelligente Frau hat lange ihre Pflicht getan und brav jeden geheiratet, der ihr vorgeschrieben wurde. Dann wurde sie verbannt, weil sie die strengen (meistens nur auf dem Papier stehenden) Ehegesetze vielfach übertreten hat. Doch so wollte (laut diesem Roman) ihr Vater sie vor dem Tod schützen. Ansonsten wäre sie wahrscheinlich wegen Hochverrats verurteilt worden.
Auch hier erweist sich die Nutzung verschiedener Sichten als genial. Julia, mit ihrer zarten Mädchenstimme gibt in ihrem Tagebuch zwar die außerehelichen Affären zu, aber nicht die Beteiligung an der großen Verschwörung, die als Opfer ihren Mann und ihren Vater vorgesehen hat. Doch später zeigt sich, dass ihr Vater sie sehr wohl in der Verantwortung sieht. Ebenso die heutigen Historiker. Doch ich hege starke Sympathien für diese schöne, intelligente Frau, und glaube ihr ;)) Sie wollte auch nur ein Stück Leben für sich beanspruchen.
Augustus nannte (laut John Williams) seine Tochter „mein kleines Rom“. Wie passend, könnte doch ihr Leben mit Geburt, Höhepunkt und Fall symbolisch für das römische Reich stehen.
Augustus
Diesen Namen erhielt er übrigens Jahre nach Beginn der Regentschaft. Auch im Buch wurde meistens bei seinem Namen Octavius, später mit dem Zusatz Cäsar benannt. Ich bleibe hier der Einfachheit halber aber bei Augustus.
Der letzte Teil des Buches besteht überwiegend aus einem sehr langen Brief, den er an einen guten Bekannten schreibt. Darin zieht er ein Resümee über sein Leben. Dieser Brief wird auf einer Fahrt nach Capri geschrieben. Augustus ist schon 76. Er spürt, dass sein Ende naht und sehnt es auch herbei. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Erwachsenenleben lässt er sich treiben. Wörtlich genommen. Denn bei einer Flaute verbietet er das Einsetzen der Ruder und wartet lieber auf die nächste Brise.
Sinn des Lebens: Macht?
In diesem Brief sinniert er über den Sinn des Lebens und gibt zu, dass er auch gefallen an der Macht hatte, wenn sie auch oft eine Bürde war. Er hadert nicht wenig damit so lange gelebt zu haben und alle Freunde überlebt zu haben. Er hat am Ende niemandem mehr, dem er wirklich vertraut. Sein Nachfolger ist eine politische Notlösung, die seine Frau Livia mit viel Geduld eingefädelt hat, hebt sie doch ihren Sohn auf den Thron. Glücklich ist er damit nicht. Er denkt auch über seine Tochter Julia nach und beschreibt das Verhältnis von seiner Seite.
Augustus bedauert sich nicht selbst, ist mit seinem Lebenswerk nicht zufrieden, da er keinen passenden Nachfolger auftreiben konnte. Er selbst hat seine ganze Regentschaft über an einem inneren Frieden Roms gearbeitet, befürchtet aber, sein Nachfolger das nicht erhalten kann. Rom und seine Bürger sind satt und werden dadurch überheblich. Sie fangen an zu murren, weil es ihnen einfach zu gut geht.
Dieser lange Brief, der im Hörbuch zum Monolog des hervorragenden Christian Redls wird, ist der Höhepunkt des Buches. Viele der Gegebenheiten, die vorher im Brief bereits aus anderer Sicht erwähnt wurden bekommen noch mal eine andere Bedeutung durch den veränderten Blickwinkel.
Im Epilog, in dem sein damaliger Leibarzt zu Wort kommt, gibt dieser der Hoffnung Ausdruck, dass der neue Kaiser nach Tiberius, Caligula und Claudius endlich wieder Rom zu alter Stärke führen kann und setzt seine ganzen Hoffnungen auf Nero…
Briefkunst
Briefe zu schreiben war damals die einzige Kommunikationsmöglichkeit, wenn man außer Hörweite war. Diese Briefe sind keine kurzen Mitteilungen, in denen sich die Schreiber aus Faulheit auf das wesentliche beschränken, sondern kunstvoll ausgeschmückte Dokumente mit vielen Höflichkeitsfloskeln und Beschreibungen aus dem Alltag. So wird Rom lebendig, wenn man sich auf die altertümlich anmutende Sprache einlässt.
Wann haben wir aufgehört Briefe zu schreiben? Und warum? Das ist doch eine so wunderbare Ausdrucksform. Individuell und haltbar. Ich denke wenn ich öfters einen Brief schreiben würde, würde ich das mit viel mehr Sorgfalt tun, als beim Verfassen einer E-Mail.
Film
Wer sich für die Zeit und Augustus Leben interessiert, dem sei die alte BBC-Serie „Claudius – Kaiser und Gott“ ans Herz gelegt. Die technische Qualität ist nach heutigen Maßstäben dürftig, schauspielerisch aber topp! Einige Unterschiede zur Auslegung von John Williams fallen auf. Doch welche historische Interpretation die Richtige ist kann ich nicht beurteilen.
Die Sprecher
Realisiert wurde das Hörbuch Augustus mit über 30 Sprechern, die jeweils die eigene Rolle sprachlich gut ausleben. In der Liste sind viele bekannte Namen zu finden: Christian Redl, Hanns Zischler, Corinna Kirchhoff, Jens Wawrczeck, Ulrich Noethen, Felix von Manteuffel, Jule Böwe, Peter Kaempfe, Werner Wölbern, Nico Holonics, Sylvia Heid, Peter Schröder, Udo Schenk, Moritz Pliquet, Oliver Kraushaar, Hanns Jörg Krumpholz, Edgar M. Böhlke, Reinhart von Stolzmann, Wolfgang Michael, Cornelia Niemann, Philipp Schepmann, Christoph Pütthoff, Claude de Demo, Moritz Stöpel, Martin Rentzsch, Axel Gottschick, Jochen Nix, Sascha Nathan, Thomas Huber, Heinrich Giskes, Torben Kessler
Fazit
Nicht nur sehr geeignet für Menschen, die sich für das antike Rom interessieren. Ich bin froh, dass ich mich für die Hörbuchfassung entschieden habe, es ist für mich ein Kandidat für den deutschen Hörbuchpreis. Spannend, zum Nachdenken anregend, in eine vergangene Zeit versetzend.
Infos zum Buch
![]() |
Augustus Autor: John Williams übersetzt von Bernhard Robben Sprecherliste siehe oben der Hörverlag Hörbuch MP3-CD, 2 CDs, Laufzeit: 851 Minuten ISBN 978-3-8445-2371-3 [D] 22,99 € (empfohlener Verkaufspreis) Verlagsseiteals Buch bei dtv |
Liebe Silvia,
eine sehr schöne Rezension! Ich höre ja zur Zeit überwiegend Bücher und umso mehr gefällt mir, dass du hier eine Hörbesprechung gemacht hast, die mich sehr reizt.
GlG und ein schönes Wochenende, wünscht monerl
Danke. Ich höre auch immer mehr, meistens Krimis, aber manchmal auch solche Schätze.
„Der Historiker John Williams…“
wie kommst du darajuf, daß williams historiker war? der kurzbio im buch nach war er (nach einem bewegten beruflichen werdegang)dDozent für englische literatur – ähnlich wie sein stoner.
lg
fs
Im Vorwort auf der CD wurde so etwas erwähnt.
Das hätte ich vielleicht nochmal prüfen müssen.
Danke für den Hinweis.
Grüße
Silvia