Meg Wolitzer: ein Lesungsbericht
Dienstag, 22. September 2015
Das Kölner Literaturhaus habe ich endlich mal wieder anlässlich einer Lesung besucht.
Meg Wolitzer gab ihre erste Lesung überhaupt jemals in Deutschland!
Erst morgens um sechs Uhr eingetroffen, saß sie 12 Stunden später vom Jetlag geplagt (was man ihr aber nicht anmerkte) vor den gespannten Zuschauern.
Sie stellte ihr neues, altes Buch „Die Stellung“ vor.
Unterstützt wurde Sie dadurch von Bettina Fischer, die als Leiterin des Literaturhauses den Abend begann und abschloss.
Die Gesprächsführung übernahm Angela Spizig. Die ehemalige Bürgermeisterin ist in Köln und auch auf interantionalen Literaturveranstaltungen sehr bekannt.
Die deutsche Lesung übernahm die Schauspielerin Heidrun Grote.
Die Autorin
Meg Wolitzer ist Baujahr 1959 (so alt wie meine Schwester) und mit Richard Panek, einem Autor von wissenschaftlichen Büchern, verheiratet.
Geprägt wurde sie stark von ihren Eltern. Der Vater Psychologe, die Mutter Wilma ist ebenfalls Autorin.
Doch autobiographisch sind ihre Bücher nicht. Bis auf ein paar private Jokes. So unterrichtet zum Beispiel in „Der Stellung“ eine der Protagonistinnen am Skidmore College, wo auch Wolitzer bereits creative-writing-Kurse gab.
Zum Buch
„Die Stellung“ erschien im Original bereits 2005. Die Übersetzung für den deutschen Markt wurde erst nach dem Erfolg von „Die Interessanten“ vorgenommen.
Kurz zum Inhalt: In den 70iger Jahren veröffentlichte ein Ehepaar einen Sexratgeber. Das fanden ihre vier Kinder, die zum Teil mitten in der Pubertät steckten, nicht so witzig. Die Rahmenhandlung spielt 30 Jahre später: das Buch soll neu aufgelegt werden. Wie auch in „Die Interessanten“ wird die Entwicklung der Hauptcharaktere über die vergangene Zeit beschrieben.
Die vorgelesenen Stellen passten sehr gut und machten den Charakter des Buches und auch seinen Witz recht deutlich.
Zum Beispiel „Frauen haben Sex um danach reden zu können, Männer reden um Sex haben zu können“ (den genauen Wortlaut kann ich leider nicht wiedergeben. Wegen einem selbstauferlegten SUB-Erweiterungsverbot, durfte ich es mir schweren Herzens nicht kaufen.)
Ich finde ja, dass wir in Deutschland (Mitte) das schönste Cover haben!
Der Abend
Nach ihren Erwartungen gefragt, gab die Autorin zu recht aufgeregt zu sein, zum ersten Mal in Deutschland zu lesen.
Sie glaubt einfach mal, dass in dem gezeigten Buch wirklich ihr Buch drinsteckt. Wirklich prüfen kann sie es nicht. Deshalb findet sie Übersetzungen immer sehr spannend!
Augenzwinkernd gab sie auch an ihre Erwartungen an das Publikum wären „very high“.
Sie selbst las einen Part aus der englischen Ausgabe. Heidrun Grote las mehrere Teile auf deutsch. Das waren sehr gekonnte Vorträge. Sie las sehr gut betont und so gestenreich, das es auf mich wie ein Schauspiel wirkte.
Insgesamt empfindet Meg Wolitzer ihre Rolle als weibliche Autorin sehr wichtig. Leider gibt es auch im Literaturbetrieb noch keine absolute Gleichberechtigung. So veröffentlichte sie vor einigen Jahren einen Essay in der New York Times: „The second shelf“. Mit dem Titel bezieht sie sich darauf, dass Frauenliteratur immer im hinteren Regal einer Buchhandlung steht und zum Beispiel auch die Covergestaltung sehr zu wünschen übrig lässt. Während die Umschläge von männlichen Kollegen mit dicken Buchstaben und ernstem oder keinem Bild gestaltet sind, finden sich auf Büchern von Frauen oft kleine Kinder oder Frauen die am Wasser stehen.
In welchem Buch würde ein Leser wohl die anspruchsvollere Literatur vermuten?
Durch ihren Essay wurde eine starke Diskussion in Gang gesetzt. Was sie einerseits gut, andererseits auch traurig findet, das so etwas nach so vielen Jahren Feminismus noch nötig ist. Auf alle Fälle war die Reaktion nach diesem Essay wesentlich größer, als nach dem Erscheinen von „The Position“, was wir Europäer von puritanisch anmutenden USA gar nicht erwartet haben.
Auf die Frage, wie das denn so ist, ein „altes“ Buch zu präsentieren, erzählte sie von ihrem Verhältnis zu ihren Protagonisten: wie in dem Film Die Truman Show bleiben ihre Helden wie in einer Schneekugel gefangen. Sie entwickeln sich für sie nicht weiter. Viele Leser fragen nach, wie es einem Darsteller aus einem ihrer 11 Romane jetzt geht. Aber sie selbst macht sich keine Gedanken darüber. Für sie ist das Projekt abgeschlossen, die Figuren leben nicht weiter.
Spizig und Wolitzer unterhalten sich launig über die eigene Aufklärung, die Peinlichkeit der Eltern, Scham und Erröten und über die Tatsache, dass in einer Familie alle sexuelle Wesen sind, aber alle so tun, als ob es Sex nicht gäbe. So hat zum Beispiel die Schwester von Meg Wolitzer anlässlich des 63. (!!!) Hochzeitstages der Eltern ein Bild auf Facebook gestellt, das ihre Eltern küssend zeigt. So hatte die Tochter die Eltern nicht in Erinnerung.
Dann gibt Wolitzer noch ein paar Einsichten in ihre Arbeit. Sie schreibt meistens Teile von ca. 80 Seiten, druckt sie aus und arbeitet sie mit einem dicken Stift nach. Falls das Geschriebene nur eine schöne Geschichte ist, aber ihr derzeitiges Thema nicht weiterbringt, verwirft sie auch ganze Passagen. Mit diesen Arbeitspaketen, die auch nicht chronologisch geschrieben werden müssen, kommt sie sehr gut klar.
Beim Schreibprozess denkt sie nicht an die Leser oder die Kritiker. Sie schreibt nur für sich. Sie schreibt in Freiheit.
Fazit
Ein sehr stimmiger, gelungener Abend, der durch eine Signiermöglichkeit abgerundet wurde, bei der sich die Autorin viel Zeit auch für die Einzelnen nahm.
♌