[Rezension] Der Junge auf dem Berg
Mittwoch, 17. Januar 2018
Ein neuer John Boyne
Wollte ich nicht weniger über den Zweiten Weltkrieg lesen? Das Thema Holocaust nicht so in den Fokus stellen? Ja, wollte ich, aber es geht einfach nicht!
„Der Junge auf dem Berg“ musste ich einfach lesen. Und da es ein Jugendbuch ist, habe ich mich auch getraut, es auf Englisch zu lesen. Eine interessante Erfahrung, da mir die Begriffe des Nationalsozialismus nicht geläufig waren.
Mit Absicht habe ich vor der Lektüre keine Rezensionen gelesen. Ich wollte mir selbst ein Bild machen. Mit Erstaunen stellte ich dann fest, dass es sich erneut um einen Täterbericht handelt. Also mein zweites Buch innerhalb kurzer Zeit mit dieser Problematik. „Das kalte Blut“ ist noch nicht so lange her und immer noch sehr präsent.
Inhalt
Pierrot lebt mit seiner französischen Mutter und dem deutschen Vater in Paris. Der Vater, der im ersten Weltkrieg viel gesehen hat, was er nicht verkraftete, bringt sich um, als Pierrot vier Jahre alt ist. Seine Mutter zieht den Jungen von nun an alleine groß. Pierrot erlebt eine unbeschwerte Zeit mit der geliebten Mutter und seinem Freund, dem Taubstummen Anshel, der einmal Schriftsteller werden möchte. Mit 7 wird Pierrot zum Waisenkind. Seine Mutter stirbt an Tuberkulose. Nach einer nicht einfachen Zeit im Waisenhaus kümmert sich die Schwester seines Vaters um ihn. Diese lebt als Haushälterin auf dem Obersalzberg, dem berühmten Berghof von Adolf Hitler.
1936 kommt Pierrot im Berghof an und erlebt dort den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg mit. Hitler, anfangs nur selten zu Gast in seinem Feriendomizil, baut nach und nach eine Beziehung zu dem Jungen auf. Als der Berghof immer mehr zum Führerhauptquartier wird, gehen dort alle wichtigen Leute dieser Zeit ein und aus. Pierrot, inzwischen zu Peter umbenannt, wird intimer Beobachter der Szenerie und aus dem kleinen sympathischen Jungen, dem „Jungen auf dem Berg“, wird ein überzeugter Nationalsozialist.
Perfekte Mischung von Geschichte und Fiktion
John Boyne schafft es hervorragend, Geschichte und Fiktion zu vermischen. Viele historische Gegebenheiten hat er mit eingeflochten in seinen Roman. So waren beispielsweise der Duke of Windsor mit seiner Frau wirklich einmal auf dem Berghof. Eva Braun spielt eine Rolle in diesem Buch, ebenso der Schäferhund und die Bilder des „Führers“. Der kleine Junge immer mittendrin im Geschehen und es ist alles so realistisch, dass es sich so wirklich hätte abspielen können.
Ein Junge, der von seinem Vater nicht mehr viel in Erinnerung hat und auch seine Mutter aus seinen Erinnerungen verbannt hat, sieht in Hitler eine Idolfigur. In seinem Alter kann er die narzisstischen Eigenschaften dieses Mannes nicht realisieren. Wie auch? Wo doch damals auch Erwachsene diesem charismatischen Mann nicht widerstehen konnten!! Immer mehr setzen sich die Ansichten und Meinungen dieses Mannes auch in Pierrots Kopf fest Er wird immer überzeugter von sich selbst, will nach Jahren der Unterdrückung durch Ältere und Stärkere, endlich glücklicher werden. Seine Uniform gibt ihm eine Stärke, die er nicht für möglich gehalten hat.
Seine Umgebung, hauptsächlich Frauen, erleben seinen Wandel mit Grauen, können aber nichts ausrichten und sind ihm schutzlos ausgeliefert. Pierrot verliert jeglichen Funken Empathie für seine Mitmenschen.
Leider spielt die Schule, in die Pierrot in Berchtesgaden geht, keine große Rolle in diesem Buch. Zwar wird eine Mitschülerin zu einer wichtigen Person, aber von den Lehrern und deren Einflußnahmen auf den Jungen auf dem Berg ist leider nie die Rede. Hätten sie den Jungen verändern können?
Die Frage nach der Schuld
Als ich feststellte, in welche Richtung dieses Buch geht, war ich sehr geschockt. Viele Bücher habe ich gelesen, aber wenige, die sich trauen, aus Sicht der Täter zu schreiben. Aber gerade in der heutigen Zeit ist so ein Buch sehr wichtig. Sehen wir doch gerade, wie sehr auch heute Jugendliche manipuliert werden können. Ähnlich wie bei „Die Welle“ wünsche ich mir, dass „Der Junge auf dem Berg“ demnächst in vielen Schulen gelesen wird.
Dieses Buch hat mich sehr bewegt und geschockt. Ich musste Pausen einlegen, um einige Episoden sacken zu lassen. Und am Ende wie immer die Frage: Wie konnte das passieren? Wer hat Schuld? Ein Jugendbuch nicht nur für Jugendliche!
Fazit
„Der Junge auf dem Berg“ ist ein überzeugender Roman über die Möglichkeiten der Manipulation der Menschen. Angesiedelt an einem Ort, der so idyllisch ist, dass man sich die Gräueltaten, die dort geschehen sind, nicht vorstellen kann. Ein neues Buch des Bestsellerautors John Boyne, der uns schon mit „Der Junge im gestreiften Pyjama“ sprachlos gemacht hat.
Bibliografische Daten:
Das ist die deutsche Ausgabe des Buches. Ich habe die englische Originalversion gelesen. Also nicht über die Fotos wundern 😉
John Boyne
Der Junge auf dem BergHardcover
Originalsprache: Englisch Übersetzer: Ilse Layer ISBN: 978-3-7373-4062-5
Fischer
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Hallo Astrid,
ich freue mich, dass dich das Buch auch so überzeugen konnte. Ich habe es als Hörbuch gehört und war fasziniert! Es ist auch mein Wunsch, dass dieses Buch den Weg in den Schulunterricht findet, denn ich denke, bei so jungen Menschen kann man nicht früh genug anfangen aufzuklären und Wege aufzuzeigen, die allesamt richtiger sind als der, des Nationalsozialismus.
GlG, vom monerl
Hallo Monerl,
schön, dass Du das auch so siehst! Und wie kriegen wir nun die Kultusministerien
davon überzeugt 😉
LG Astrid
Ich weiß auch nicht, aber sie sollten auf uns hören! 😉 Es gibt viele Stimmen wie unsere, die meinen, es sollte Schullektüre werden. Vielleicht schafft es dieser große Stimmenchor doch noch ins Kultusministerium…
GlG, monerl
Ich drücke die Daumen 😉
Wie wird Hitler in Roman Charakterisiert ?
Um die Frage zu beantworten, müsste ich das Buch nochmal lesen 😉