Rezension: Eine bessere Zeit
Sonntag, 14. April 2019
Roman von Jaume Cabre
Miquel, ein Journalist, muss einen Freund aus Jugendtagen beerdigen. Viele Erinnerungen kommen hoch. Miquel hat in etwa die Mitte seines Lebens erreicht.
Eine Kollegin soll den Nachruf verfassen und möchte von Miquel Informationen über dessen Freund. Ein skurriles Abendessen beginnt. Dies findet nämlich in Miquels Elternhaus statt. In diesen Räumen hat ein Restaurant eröffnet, nachdem seine Familie alles verloren hatte und auch das Haus verkaufen musste.
Doch dies will er seiner Kollegin nicht sagen. Oder weiß sie es von Anfang an? Das Haus, diese Umgebung, die Fragen nach seiner Jugend, das Essen in den Räumen, in denen er aufwuchs: das alles bringt ihm seine Vergangenheit zurück.
Zwischen Vorspeise und Dessert rollt er vor den Lesern eine sehr problematische Familiengeschichte aus. Was er nur uns, und was er seiner Kollegin erzählt: es verschwimmt. So wie auch die Perspektiven, die Erzählsichten, die Zeiten von denen er erzählt nicht immer leicht zu unterscheiden sind.
Wir blicken ins Innere einer Fabrikantenfamilie, in die Franco-Zeit, den kommunistischen Widerstand und in das Leben eines Jungen und Mannes, der kaum eigene Entscheidungen trifft, sondern sich irgendwie immer von anderen oder den Umständen der Zeit treiben lässt.
Namen
Namen haben hier keine Bedeutung. Oder eher zu viel. Jeder Protagonist wird mit einer Vielzahl an Namen ausgestattet. Vor allem Miquels Onkel ist sehr kreativ darin Menschen mit Beinamen auszustatten. Und nicht immer mit denselben. Sie wechseln, so wie sie auch ihre Absichten wechseln.
Das Buch wird durch zwei Stammbäume illustriert. Die Namen im Blick zu halten wird einfacher, wenn man wie ich, die Seiten mit den Stammbäumen markiert und ab und zu mal schaut, wie die familiären Zusammenhänge sind. Da gibt es den offiziellen Stammbaum und gegen Ende des Buches den „wahren, unbekannten und echten“ Stammbaum der Familie Gensana. Ich empfehle auch diesen NICHT vorher anzusehen.
Verwirrung
Der ständige Wechsel der Erzählperspektive mitten im Satz, ist ziemlich verwirrend. Doch bildet sich irgendwann ein Muster heraus. Nach 100 Seiten hatte ich mich eingelesen. Wenn ich auch nicht immer dem roten Faden folgen konnte, folgte ich Miquels Gedankengängen und Erinnerungen sehr gerne. Sprachlich ist Cabré Buch einfach super!
Musik im Buch
Im letzten Drittel wird plötzlich Musik eines der beherrschenden Themen des Buches. Dies liegt nicht nur an Miquels Beziehung zu einer gefeierten Violinistin. Auch das ganze Buch ist wie ein Konzert aufgebaut. Den einzelnen Teilen wird ein musikalisches Tempo vorgegeben. Die gesamte Struktur entspricht einem Violinkonzert von Alban Berg.
Diese Konstruktion hat mich sehr angesprochen!
Perspektivwechsel
Wie schon erwähnt, verschiebt sich mitten im Erzählfluss die Perspektive. Dies ist wohl eine Spezialität des Autors. Er springt hier nicht so sehr in den Zeiten wie in „Stimmen des Flusses“, sondern in der Erzählperspektive. Mitten im Satz wechselt Miquel von der ersten zur dritten Person. Er spricht über sein Leben, distanziert sich aber gleichzeitig durch den Wechsel vom „ich“ zum „er“ . Die vielfache Vergebung von Namen (wie es in Familien mit Geschichte durchaus üblich ist) macht das auch nicht einfacher.
Humor
Die blumigen Beinamen der jeweiligen Ahnen geben dem im Text eine weitere Dimension. Dies entbehrt auch nicht einer gehörigen Prise Humor, die ansonsten noch im Gehabe des Kellners in der Restaurant-Rahmenhandlung wiederkehrt. Die kleinen Gefechte mit dem Kellner sind einfach herrlich!
Das Restaurant, die verschiedenen Gänge, die Unterhaltung mit der Kollegin und gelegentliche kurze Ausflüge innerhalb des Hauses bilden die Rahmenhandlung in der Gegenwart des Romans. Dieser ist im Original bereits Mitte der 1990iger erschien. Es handelt sich also NICHT um einen neuen Roman von Cabré.
Fazit
Ich musste mich erst einlesen, doch nachdem ich den Aufbau begriffen habe, konnte ich mich fallen lassen in die Geschichten von Miquel, seiner Familie und seinem Leben. Der Roman erscheint mir (vom Teil über die Musik mal abgesehen) noch nicht ganz so ausgereift wie spätere Bücher. Trotzdem für mich ein Genuss. Ich möchte das Buch Liebhabern klassischer Musik und Geschichtsinteressierten empfehlen.
Weitere Stimmen
Literaturreich
Infos zum Buch
Eine bessere Zeit Jaume Cabré übersetzt von Petra Zickmann & Kirsten Brandt Insel VerlagVerlagsseite |