Lea Singer: Der Klavierschüler
Mittwoch, 20. Februar 2019
Rezension eines Romans über Vladimir Horowitz
Vladimir Horowitz war einer der bekanntesten Pianisten des letzten Jahrhunderts. Er lebte lange in Europa, bis er als Jude während des zweiten Weltkriegs in die USA floh. Er war verheiratet, hatte eine Tochter und war schwul. Homosexualität galt als Verbrechen und als Krankheit. Er kämpfte sein Leben lang dagegen an. Dieses Buch erzählt von seiner großen Liebe neben der Musik.
Rahmenhandlung
Ein erfolgreicher Mann, Robert Donati, leidet unter Depressionen und hat erfolgreich Sterbehilfe beantragt. Wir befinden uns in der Schweiz. Doch kurz bevor er den letzten Schritt tut, reißt er aus und sucht einen Pianisten, der ihm „Träumerei“ von Robert Schumann vorspielt. Er findet tatsächlich einen Barpianisten, der ihm dieses wunderschöne klassische kurze Stück vorspielt.
Die beiden verlassen gemeinsam die Bar, der Pianist ahnt die Qualen des anderen und versucht ihn Stück um Stück ins Leben zurückzuführen. Dabei fahren sie quer durch Zürich und weitere Teile der Schweiz.
Der Barpianist
Der ältere Herr, der in der Bar Schumann spielte, ist Nico Kaufmann. Ausgebildeter, klassischer Pianist. Schwul und der erste Klavierschüler (von zweien) von Vladimir Horowitz, dem Starpianisten. Und, laut diesem Roman, auch dessen große Liebe.
Nico Kaufmann ist eine reale Person. Er war auch definitiv viel mit Horowitz zusammen und hatte eine Beziehung zu ihm. Wie die Gefühle der beiden tatsächlich aussahen, dieses Wissen hatten nur sie allein.
Selbst in Künstlerkreisen war offene Homosexualität 1937 nicht möglich. Sie wurde von vielen, so auch von Nicos Eltern bekämpft und als Krankheit betrachtet
Doch Nico bekannte sich dazu und war sein Leben lang in der Homophilenbewegung der Schweiz aktiv.
Kaufmann ist die eigentliche Hauptperson dieses Romans. Voller Mut und Zivilcourage hat er sich für eine freie Homosexualität engagiert. Nicht umsonst heißt das Buch ja auch „Der Klavierschüler“ und nicht „Der Klavierlehrer“.
Der Starpianist
Horowitz hat immer noch einen großen Namen. Noch kurz vor seinem Tod 1986 unternahm er nach langer Pause eine kleine Tournee, die ihn auch nach Hamburg führte. Viele Tondokumente sind auch heute noch in den Plattenläden erhältlich. Der berühmte Komponist Sergei Rachmaninow war sein väterlicher Mentor. Horowitz war mit Wanda, Tochter des weltbekannten Dirigenten Artur Toscanini verheiratet. Der Freitod der gemeinsamen Tochter im Jahr 1975 stürzte ihn in weitere tiefe Depressionen. Seine Krisen sorgten für sehr lange Auftrittspausen in seiner Karriere. Dieser Roman von Lea Singer stellt die These auf, dass viele seiner psychischen Probleme von der unterdrückten Homosexualität herrührten.
Zeitreise
Kaufmann scheint nicht nur die psychischen Probleme Donatis zu erahnen, sondern auch die Ursache seiner Probleme. Indem er Schritt für Schritt seine Zeit mit Horowitz an Originalschauplätzen beschreibt, versucht er auch Donati einen neuen Blick auf sein Leben zu eröffnen. So entsteht ein kleines Roadmovie und eine wunderbare Zeitreise in das kulturelle Leben der späten 1930iger. Dies gibt auch wieder einen interessanten Blickwinkel auf die damalige politische Lage in Europa. Nicht unwichtig, führt sie doch dazu, dass Horowitz in die USA auswandern muss. Denn als Jude hat er in Europa keine Zukunft und muss um sein Leben fürchten.
Musik
Zu diesem Buch sollte es eigentlich auch unbedingt eine Playlist geben. Ich habe mir ganz viele Stücke herausgeschrieben die erwähnt wurden. Von Schumann über Chopin und Rachmaninow bis zu Liszt und Skrjabin (der auch zu den Mentoren Horowitz gehörte). Für mich als Liebhaberin der klassischen Klaviermusik ein wahres Füllhorn an Ideen. Und es hat mir auch wieder richtig Lust gemacht vielleicht doch auch wieder selbst zu spielen. Wenn ich nur mehr Zeit hätte. Die Noten von Schumanns Kinderszenen, in denen auch das Schlüsselstück des Romans „Träumerei“ enthalten ist, habe ich schon mal wieder rausgekramt. Hinter dem Link befindet sich ein Youtube-Link mit einer Aufnahme von Horowitz, wie er dieses Stück spielt. Diese Aufnahme stammt aus dem 1986, also kurz vor seinem Tod.
Schreibstil
Schöne Sätze enthält dieses Buch. Vor allem rund um Musik und die Empfindungen die sie auslösen kann.
Diese Luft. Horowitz liebte sie. Die Berge so nah, sie ist unverdorben. Mit der Luft ist es wie mit der Musik, hat er gesagt. Sie befreit dich aus der Enge, und sie kann nicht lügen.
Die Sprache ist der Zeit, in der der Roman spielt, angemessen ohne zu altmodisch zu wirken. Was mich allerdings störte waren die fehlenden Anführungszeichen der wörtlichen Rede und ab und an mal ein Hinweis wer jetzt genau spricht. Denn manchmal verschwammen die Geschichten der Gegenwart und der Vergangenheit sowie auch irgendwie die Perspektiven miteinander.
Die Autorin
Lea Singer ist auf Romanadaptionen über Menschen aus dem Kunstbereich spezialisiert. Da sie unter anderem auch Musikwissenschaft studierte, sind oft musische Künstler ihre Hauptpersonen. Lea Singer ist übrigens das Pseudonym von Eva Gesine Baur. Sie veröffentlichte unter beiden Namen zahlreiche Bücher. Als Lea Singer eher Romane, als Eva Gesine Baur Biografien und Reiseführer.
Ich kannte den Namen Lea Singer von einer ganz wunderbaren Romanbiographie über den Konzertpianisten Paul Wittgenstein Konzert für die linke Hand.
Fazit
Der Klavierschüler ist ein gelungener Roman über die Bezehung zwischen Vladimir Horowitz und Nico Kaufmann. Doch bietet das Buch noch viel mehr. Zum einen viele Anregungen gute Musik zu hören und gleichzeitig auch ein Plädoyer sich nicht zu verstecken und die eigenen Gefühle und Leidenschaften, insbesondere die eigene Sexualität, sich selbst einzugestehen und auszuleben.
Für mich enthält es auch das leise Versprechen, dass die richtige Musik Leben retten kann. Deshalb noch ein Zitat:
Ich frage mich … ob ich ein anderer geworden wäre, wenn ich ein Instrument gelernt hätte. Da kann einem die Welt nie so eng werden, dass der einzige Ausweg tödlich ist. Durch die Musik leuchten doch immer Möglichkeiten.
Weitere Bücher über Musik
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Streichquartett von Anna Enquist
Der Grund von Anne von Canal
Hallo,
das klingt sehr interessant! Ich habe früher selbst lange Jahre Klavier gespielt (und wollte ursprünglich mal Musik studieren), aber das ist etwa 20 Jahre her… Mit der „Träumerei“ könnte ich es jetzt nicht mehr aufnehmen – aber ein Buch, in dem das Stück eine Rolle spielt, würde ich dennoch gerne lesen.
LG,
Mikka
Hallo Mikka,
ich träume erst mal nur davon irgendwann wieder Unterricht zu nehmen und zu spielen.
Doch dafür fehlt mir die Zeit.
Die Träumerei möchte ich schon mal spielen können, ist mit Fleiß auch machbar. Hoffe ich.
Alles Gute
Silvia
Schöner hätte ich es nicht schreiben können. Perfekt das Buch zusammen gefasst und trotzdem noch Platz gelassen, wenn man es selber lesen will. Mir hat das Buch sehr gut gefallen, aber ich habe keine Worte gefunden, um das wiedergeben zu können.
Liebe Grüße
Marc
Hallo Marc,
vielen Dank für dein Lob.
Da ich deine Schreibe sehr schätze, bedeutet mir das viel.
Alles Gute
Silvia
Hallo Silvia,
da werde ich ja mal kurz rot wegen dem Kompliment. Vielen Dank.
Liebe Grüße
Marc