Rezension: Klüssendorf
Mittwoch, 14. März 2018
Jahre später
April, den Lesern der Autorin aus den beiden Vorgängerbüchern Das Mädchen und April bekannt, wurde erwachsen. Julius, Aprils Sohn ist bereits 11, als sie einen Mann kennenlernt. Ludwig ist ein wenig älter, Arzt und hat einen schrägen Humor. Passen sie zusammen?
April schlägt sich mit diversen Jobs durchs Leben und schreibt. Leider ohne finanziellen Erfolg. Ist Ludwig da eine sichere Alternative, kann er ihr neben einer Familie, einer Partnerschaft auch Zeit fürs Schreiben bieten?
Ein seltsames Paar bilden April und Ludwig. Das ist auch ihnen selbst bewusst. Ludwig schreibt an April:
Gibt es die Möglichkeit, dass zwei Unvertraute miteinander vertraut werden?
Das könnte auch das Motto des Buches sein. Kennt man den Partner irgendwann wirklich? Kennt man sich selbst gut genug um die Zukunft einer Beziehung einschätzen zu können?
Als Leserin war mir direkt klar: das kann nix werden mit den beiden. Die Unterschiede sind zu groß. Doch April möchte sich darauf einlassen. Sie wird schwanger, eine Hochzeit, ein Umzug aus dem geliebten Berlin ins großbürgerliche Hamburg. Sie versucht sich als Hausfrau. Wartet auf ihren Mann, wartet auf das richtige Leben. Ihr eigenes Leben.
Gefangen
April kommt sich wie eine Gefangene vor – doch wer hat sie eingesperrt? Sie ist todesunglücklich. Freunde in Hamburg: Fehlanzeige. Stattdessen verliert sie sich in fiktive Gespräche mit Filmgeistern: Riff Raff, Laura Mars und Rosemarie. Nicht die gesündesten Gesprächspartner. April steht kurz vor dem Wahnsinn (mein Eindruck).
Sätze wie
Ich schäme mich, auf der Welt zu sein.
oder
Glück ist die Abwesenheit von Angst.
machen deutlich, wie verstört sie ist, wie groß ihre psychischen Probleme sind.
Hilfe durch Pharmazie
Sie fühlt sich mit den Tabletten wie ein Boxer beim Training, dessen Helm die harten Schläge dämpft.
Erst im zweiten Teil des Buches unternimmt sie Schritte um ihr Leben wieder zurückzugewinnen. Alles wieder selbst in die Hand nehmen. Wieder schreiben, leben, vielleicht sogar Spuren von Glück zu erleben und für sich selbst eine Heimat finden:
Heimatlos bedeutet, dass sie sich nirgends einrichten darf, sie muss auf dem Sprung sein, wenn die Vergangenheit sie einholt.
Und die Vergangenheit holt sie immer wieder ein. April hat durch ihre problematische Kindheit und Jugend das Urvertrauen in sich selbst und in ihre Umgebung verloren.
Heilung findet sie im kreativen Prozess des Schreibens und einem sehr guten Therapeuten.
Zyklus
„Jahre später“ lässt sich sicher auch lesen, ohne die beiden Vorgängerbücher zu kennen. Es wird allerdings immer wieder auf Ereignisse aus der Kindheit und Jugend Bezug genommen. Doch vielleicht wäre es mal ein interessantes Leseexperiment die Bücher in umgekehrter Reihenfolge zu lesen.
Klüssendorf schafft es in drei dünnen Büchern fast ein ganzes Leben in seiner ganzen Schwierigkeit aufzublättern. Reduziert und fokussiert. Wenn ich daran denke, dass manche Autoren dafür viele tausend Seiten benötigen…
Dieser dritte Band ist wohl auch ein Abschied von April. Die Bücher bilden einen wunderbaren Zyklus. Endet doch dieser dritte Band mit dem Beginn des ersten Satzes von „Das Mädchen“.
Lesung
Ich hatte die Gelegenheit die Autorin auf einer Lesung im Kölner Literaturhaus persönlich kennen zulernen. Aufgrund der Bücher erwartete ich eine ernste Frau, die nie lacht. Denkste. Sie ist sympathisch, lebendig und sehr humorvoll. Sie lacht über sich selbst und geht sehr auf ihre Gesprächspartner ein. Wenn sicher auch einiges von Angelika in April steckt, darf man die beiden doch nicht miteinander verwechseln.
Fazit
Ich empfehle den gesamten Zyklus. Er zeigt nicht nur, wie ein Mädchen, ein Teenager, eine junge und eine gestandene Frau ihr Leben meistern. Diese Romane zeigen auch viel vom jeweiligen Zeitgeist durch die Einbeziehung von Musik, Film und Literatur. Toller Stil und wirklich beeindruckend, wie sie auf so wenigen Seiten ein Leben mit einer so starken Intensität schildern kann.
Infos zum Buch
Angelika Kluessendorf
Jahre später Roman 160 Seiten ISBN 978-3-462-04776-9 |
Schöne Rezension! Ich bin schon gespannt, ob und wann ein neuer Roman folgt.
Viele Grüße!
Danke, liebe Marina.
Über ihr nächstes Buch wollte die Autorin auf der Lesung irgendwie nicht sprechen. Doch sie schreibt etwas.
Alles Gute
Silvia
Ich fand „Das Mädchen“ richtig gut, konnte mich aber für die Fortsetzung nie aufraffen. Ich hatte auch eine Lesung in Braunschweig dazu besucht. Weiß auch nicht, wieso es mich nicht anlacht.
Liebe Grüße,
Mona
Hallo Mona,
so ist das manchmal mit Büchern.
Hier sind alle drei Bücher sehr unterschiedlich. Das Mädchen empfand ich am eindringlichsten.
Doch in Jahre später finde ich auch einiges von mir selbst.
Zum Beispiel Probleme mit Jugendlichen, das dürfte dir auch nicht fremd sein.
Viele Grüße
Silvia
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