Amanda Lasker-Berlin: Elijas Lied
Sonntag, 3. Januar 2021
Rezension Debütroman
Drei Schwestern gehen auf eine Wanderung. Durch ein Moor, auf einen Berg. Sie haben schon lange nichts mehr miteinander unternommen. Kein Wunder, sind sie doch sehr unterschiedlich, haben sie sich doch sehr voneinander entfernt. Elijas Lied ist der Debütroman von Amanda-Lasker Berlin. Sie steht damit auf der Shortlist des Bloggerpreises für das beste Debüt vom Blog Das Debüt.
Elija
Sie ist die Älteste. Und die vermeintlich hilfloseste der drei Schwestern. Elija hat Trisomie-21, auch bekannt als Downsyndrom. Sie führt allerdings ein selbstbestimmtes Leben. Eine eigene Wohnung, gemeinsam mit ihrem Freund Mio. Sie spielt Theater, in der letzten Rolle in einem Ein-Frau-Stück. Die Erarbeitung der Rolle war harte Arbeit, diese Szenen erinnerten mich an Schatten über den Brettern.
Menschen mit Down-Syndrom geht der Ruf voraus immer fröhlich zu sein. Meist hat Elija auch gute Laune. Aber nicht immer. Da gab es zum Beispiel eine Zeit, als sie sehr traurig war. Ihre Eltern zwangen sie zu etwas, dass sie auch jetzt noch sehr schmerzt.
Elija scheint manchmal hilflos. Zum Beispiel wenn ein dicker Knoten in die Schnürsenkel geraten ist, oder sie hinfällt und nicht mehr alleine aufstehen kann. Doch in anderen Aspekten des Lebens ist sie ihren Schwestern haushoch überlegen. Elija ist sehr emphatisch, sozial sehr kompetent und die einzige der drei, die ein glückliches Leben mit funktionierender Beziehung führt.
Noa
Sie hat einen Freund, der sie nicht so akzeptiert wie sie ist. Sie hat zwei Jobs. Der eine ist halbtags Essensausgabe in einer Betriebskantine. Der andere ist etwas ungewöhnlicher: sie ist Prostituierte, ihre Klienten sind sehr kranke Menschen. Sie gibt sich hin, um anderen ein paar Momente Ruhe, Entspannung, Erfüllung zu schenken. Doch wo bleiben ihre Bedürfnisse? Reicht es ihr, anderen Glück zu schenken?
Der Berg atmet Noa ein. Saugt sie auf wie die anderen. Zu denen sie geht, weil es sie so glücklich macht. Weil es Noa so glücklich macht, wenn sie sich selbst dadurch spürt, durch die Körper der anderen.
Dabei wird im Buch auch die geschäftliche Seite ihres zweiten Jobs herausgestellt, wie sie Rechnungen schreibt und manchmal ihre Art der Therapie von der Krankenkasse übernommen wird.
Loth
Sie ist die jüngste der drei Schwestern. Politische Aktivistin, sehr weit rechts. Wenn es nach ihr ginge, dann würde es weder Behinderte noch Prostituierte mehr geben. Loth will manchmal aus dieser Szene aussteigen, und dann auch wieder nicht. Sie ist magersüchtig und das Aushängeschild ihrer Gruppierung in den sozialen Medien. Sie war diejenige, die diese Wanderung vorschlug. Warum? Im Laufe des Buches wächst meine Angst vor ihren Motiven. Gut können sie nicht sein, wenn man einige ihrer Gedanken liest:
Aber diese Gesellschaft hat ja sogar ein Herz für Schwule. In Loths Land wäre kein Platz für solche wie Noa und auch nicht für ihre Klienten.
Loth bleibt mir fremd, ich kann und will sie nicht begreifen.
Schwestern
Die drei Schwestern sind sehr unterschiedlich. Wenn man sie miteinander vergleicht, ist Elija die Glücklichste. Sie weiß ihr Leben zu genießen. Das haben Loth und Noa verlernt. Oder haben sie es nie gekonnt? Immer gehörte im Elternhaus die gesamte Aufmerksamkeit der Eltern Elija. Die beiden jüngeren Schwestern liefen nur so mit. Oder wurden sie nur geboren, um sich auch später um Elija kümmern zu können? Loth und Noa wirken irgendwie kaputt. Zerrissen. Obwohl auch Elija diejenige ist, die vielleicht den stärksten Verlust durchlebt hat, die wörtlich genommen zerschnitten wurden.
Die Eltern sind sehr gläubig, was sie auch durch die biblischen Namen der Töchter ausdrückten. Wobei alle drei Namen eigentlich Männernamen sind. Eventuell versteckten Bedeutungen könnte ich mal nachgehen.
Glück
Sie verleben auch durchaus glückliche Momente an diesem Wandertag zusammen. Zum einen auf dem Berggipfel, an dem sie gemeinsam ein Lied anstimmen. Wieder ist es Elija, die vermeintlich Schwächste, die sich genau an den Text erinnert. Ein Lied, dass sich der Vater für die drei Schwestern ausgedacht hat. Ein schöner Moment der Gemeinsamkeit.
In einem anderen tanzen die drei. Auch hier ist Elija den anderen leicht überlegen Sie ist diejenige, die das beste Körpergefühl hat. Sie steckt die beiden anderen mit ihrer Ausgelassenheit an.
Das Buch lebt von ständigen Perspektivwechsel. Immer wieder steige ich als Leserin in die Gedankenwelt einer anderen Schwester ein. Orientierung bietet mir die Uhrzeit die jedem Kapitel vorangestellt ist. Dies erzeugt Spannung, da so schnell klar ist, dass sie es niemals im Hellen zurückschaffen können.
Doch ich hätte mir von jeder Schwester mehr gewünscht. So bleiben alle in mir nur als halbes Bild zurück. Vor allem in Loth konnte ich mich so gar nicht hineinversetzen. Was nun auch an ihrer politischen Gesinnung liegen kann.
Natur
Diese spielt eine große Rolle im Buch. Sie wandern sehr lange durch ein Moor, auf einen Berg und zurück. Es gibt heulende Wölfe, Wurzeln, die Füße nicht mehr loslassen, Sumpf, der alles verschlingen will, tote Bäume, Gewitter etc. Doch die Natur wird auch von allen dreien als schön eingeschätzt, trotz der Gefahren und Unbequemlichkeiten die sie ihnen bereitet. Diese Aspekte sind sehr bildhaft beschrieben, ich konnte mir die Gegend gut vorstellen und erinnerte mich an Wanderungen, die ich früher mit meinen Eltern unternommen habe. Doch wir haben uns nie verirrt. Während die drei manchmal die Orientierung und häufig den Zusammenhalt verlieren. Dann gibt es für kurze Zeit wieder kleine Allianzen, man grenzt sich aus, man hilft sich. Meist ist das normales Geschwisterverhalten.
Doch da die Motive, vor allem von Loth, im Ungewissen bleiben, baut sich mit aufkommender Dämmerung sehr viel Spannung auf, analog, wie sich auch die beschriebene Natur verändert.
Fazit
Elijas Lied von Amanda Lasker-Berlin ist ein Debütroman, der mich aufgewühlt hat. Drei Schwestern, deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten an einem einzigen Tag, auf einer langen, beschwerlichen Wanderung angerissen, zum Teil auch vertieft werden. Ein Roman, den ich gerne gelesen habe und einen langen Nachhall in mir hinterließ, weil er mir Einblicke in drei sehr unterschiedliche Leben bot.
Debütpreis
Der Roman Elijas Lied von Amanda Lasker-Berlin steht auf der Shortlist für den Bloggerpreis für das beste Debüt des Jahres 2020, ausgelobt vom Blog Das Debüt.
Ich darf in der Jury mitwirken.
Die anderen Bücher der Shortlist:
Wir verlassenen Kinder von Lucia Leidenfrost
Schatten über den Brettern von David Misch
Hawaii von Cihan Acar
Streulicht von Deniz Ohde
Wenn du Lust auf mehr Debütromane hast, empfehle ich dir in der Liste der eingereichten Debütromane zu blättern.
2019 gewann übrigens Nadine Schneider mit ihrem Roman Drei Kilometer.
Weitere Stimmen
Weitere Rezensionen der Jury gibt es unter anderem auf folgenden Blogs:
Habs ja schon geschrieben, ein tolles Buch, auch wenn natürlich Anfängerschwierigkeiten drinnen sind und ich eigentlich auch nicht weiß, warum sich Schreibanfänger, ich habe es auch getan, sowie Valerie Fritsch, in ihren ersten Texten mit dem Thema der Prostituation beschäftigen und das dann vielleicht nicht so realistisch hinüberbringen können. Ntürlich weiß ich, das Tabu lockt, wie es auch bei der neuen Rechten Szene ist und es mag schon sein, daß sich Amanda Lasker-Berlin, die Videos von <Martin Sellner und Götz Kubitschek angeschaut hat. Irgendwo muß man seine Erfahrungen ja hernehmen. Das geht jeden so. Der Arzt schaut sich vor seiner ersten Operation wahrscheinlich auch die diesbezüglichen Videos hat und hat den Chef- oder Oberarzt neben sich und am beeindruckensen war für mich die Gestaltung der Elija selber und da habe ich Erfahrung, bin ich doch schon seit 2007 in der Jury des "Ohrenschmaus" ein Literaturwettbewerb für und von Menschen mit Lernschwierigkeiten", wie das heißt und damit ist nicht das ADHS gemeint, obwohl immer wieder solche Texte kommen und da gibt es in denPausen der Preisverleihungen immer wieder künstlerische Einlagen. https://literaturgefluester.wordpress.com/2019/12/03/der-dreizehnte-ohrenschmaus/
Menschen mit Down Snydrom werden zum Glück künstlerisch sehr gefördert und manche von ihnen studieren auch schon. Hoffentlich wurden sie von ihren Eltern vorher nicht zu sehr dahin gepusht. Erzwungen kinderlos sind, glaube ich, immer noch viele von ihnen und heiraten dürfen sie wohl auch nicht und kommt ein Kind, kommt wahrscheinlich immer noch das Jugendamt und dann übernimmt vielleicht die Großmutter die Adoption.
Es ist also, glaube ich, sehr wichtig, sich in dieser Problematik auszukennen und daher, weil wir wahrscheinlich im Normalfall nicht so vieleLeute mit Trisomie 21 kennen, dieses Buch zu lesen, das, glaube ich, nach meiner Erfahrung nach sagen zu können, gut recherchiert ist. Die schriftstellerische Erfahrung wird sicher auch noch kommen, wenn man dabei bleibt und an dem Moorspaziergang habe ich auch nichts auszusetzen!
https://literaturgefluester.wordpress.com/2020/12/27/elijas-lied/
http://www.jancak.at/auszug_mimi.html
Hallo Eva,
Danke für die Hintergrundinformationen. Da werde ich mich auch mal ergänzend einlesen/sehen/hören.
Alles Gute
Silvia
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