Bonsai von Alejandro Zambra
Samstag, 7. März 2015
Dieser kurze Roman hat einen sehr ungewöhnlichen Anfang.
Da wird in einem einzigen kurzen Absatz das ganze Buch zusammengefasst:
„Am Ende stirbt sie, und er bleibt allein, doch allein war er schon mehrere Jahre vor ihrem Tod, vor dem Tod Emilias.“
Das sagt eigentlich schon alles. Von Liebe wird zwar nichts gesagt, aber zwischen den Zeilen sprudelt sie geradezu empor.
Doch ich möchte noch den Anfang des nächsten Satz zitieren, weil er sehr typisch für das Buch ist:
„Sagen wir, sie heißt oder hieß Emilia…“
Dieses „Sagen wir…“ kommt öfters im Laufe der Geschichte vor. Dadurch wurde bei mir ein sehr interessanter Effekt ausgelöst. Ich fühlte mich irgendwie in den Entstehungsprozess dieser Geschichte eingebunden. Ich weiß, das ist nicht rational, schließlich liegt das Buch fertig gedruckt vor mir, aber trotzdem hat es dieser Autor geschafft, mich dadurch völlig bei sich zu haben.
Der erste Absatz endet mit „Am Ende stirbt Emilia, Julio stirbt nicht. Der Rest ist Literatur:“ (der Doppelpunkt ist KEIN Tippfehler von mir.
Danach wird der Anfang der Beziehung der beiden chilenischen Studenten beschrieben. Eine Beziehung, die nicht nur auf Zufall, sondern auch auf einer beiderseitigen Lüge basiert. Beide wollen dem anderen gegenüber nicht zugeben, dass sie Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ nicht gelesen haben. Beide behaupten, sie würden es kennen, und erfinden eine kleine Geschichte über die Leseumstände dieses Monumentalwerkes direkt mit dazu.
Ansonsten läuft ihre Beziehung eher ehrlich ab. Die Besonderheit ist die Verbindung von Sex und Literatur. So lesen Sie sich gerne Gedichte und Geschichten vor, spielen sich die Texte vor und entnehmen diesen Texten ihre erotischen Inspirationen.
Bis sie auf eine Erzählung von Macedonio Fernández stoßen. In dieser pflegt ein Liebespaar eine Pflanze als Symbol ihrer Liebe. Diese Geschichte ist der Anfang vom Ende ihrer Beziehung. Sie versuchen erst noch weiterzumachen wie bisher, mit Madame Bovary und nehmen sogar Proust in Angriff. Doch „Sie blieben bei Seite 373 hängen, und das Buch blieb unbeendet.“
Sie trennen sich, sie scheitern im Leben, jeder auf seine Art.
Durch einen Zufall (und wieder eine kleine Lüge) beginnt Julio einen Roman zu schreiben, den er Bonsai nennt. Er zeichnet einen dieser wertvollen Bäume und beginnt einen lebenden Bonsai nach dem Vorbild dieses Bildes zu erschaffen. Eine einzigartige Pflanze, damit seine Geschichte nicht so endet, wie die des Paares in der Erzählung von Fernández.
Es ist ein Baum am Abgrund.
Und dabei weiß er nicht, wie Recht er damit hat, denn er weiß nicht, dass Emilia schon längst tot ist.
Dieser Roman hat nur 90 Seiten. Außer der Liebesgeschichte nimmt noch die Freundschaft zwischen Emilia und der Freundin aus Kindertagen, Anita, sowie das jetzige Leben von Julio Platz in dem dünnen Buch ein. Kein Wort zu viel und trotzdem viele schöne Sätze, die ich gerne mehrmals gelesen und genossen habe.
Ich glaube, ich sollte der südamerikanischen Literatur mehr Aufmerksamkeit schenken. Vor ein paar Monaten hatte ich mit „Das Papierhaus“ auch schon ein bemerkenswertes Kleinod aus diesem Bereich gelesen.
Dieses Buch ist unkonventionell und schwer mit anderen zu vergleichen. Es ist schwer und federleicht zugleich. Es liest sich schnell, ist aber kein Fastfood. Viele weitere Literaturtipps gibt es darin zu entdecken und es lädt durch sein Format dazu ein, es mehrmals zu lesen und jedes Mal etwas Neues darin zu finden.
Für mich eine Entdeckung.
Alejandro Zambra: Bonsai, Gebunden, 90 Seiten, ISBN: 978-3-518-42480-3, in Deutschland 12,00€
♌
Oh … das ist bestimmt auch etwas für mich … ♥
Bestimmt!