Helen Garner: Drei Söhne – Ein Mordprozess
Sonntag, 25. September 2016
Helen Garner ist mir bisher nur durch ihren Roman „Das Zimmer“ aufgefallen. Ihr neues Buch ist kein Roman, sondern die Beobachtung eines Gerichtsprozesses.
Wenn in einer Gegend, in der man geboren, aufgewachsen und fast immer gelebt hat, eine Tragödie geschieht, ist man geschockt. Fragt sich, was könnte dort genau passiert sein. Wenn man dann auch noch freischaffende Journalistin ist und außerdem eine „neugierige“ Bürgerin, wundert es niemanden, dass diese Person Interesse an dem Mordprozess hat, um den es hier geht. Helen Garner versucht uns Lesern an dem Prozess teilhaben zu lassen.
Inhalt
Am Vatertag 2005 ereignet sich in Australien in der Stadt Geelong ein schrecklicher Unfall. Robert Farquharson ist mit seinen drei Söhnen auf dem Weg zurück zur Mutter. Aus Gründen, die später geklärt werden müssen, gerät das Auto von der Straße ab und geht in einem Baggersee unter. Der Vater kann sich aus dem Auto retten, seine Kinder ertrinken in dem Auto auf dem Grund des Sees.
Die Vorgeschichte ist schnell erzählt. Die Mutter von den drei Jungen hatte sich kürzlich vom Vater getrennt, und nun eine neue Beziehung. Farquharson ist frustriert und leidet fortan unter anderem an Depressionen.
Angeklagt wird Farquharson wegen Mordes an seinen drei Söhnen. Im Prozess wird seine Person grundlegend beleuchtet. Ist er in der Lage gewesen, seine Kinder umzubringen oder war es ein tragischer Unfall?
Über sieben Wochen erstreckt sich der Prozess. In Australien sind es die Geschworenen, die über „schuldig“ oder „nichtschuldig“ urteilen.
Meine Meinung
Das Buch berichtet von dem langwierigen und schwierigen Prozess. Die Autorin ist an jedem Prozesstag dabei und versucht sich eine eigene Meinung zu bilden. In dem Buch läßt Sie den Leser an ihren Beobachtungen teilhaben. Dieses Buch wäre schon nicht leicht, wenn es ein Roman wäre! Aber zu wissen, dass es diesen Unfall wirklich gegeben hat, macht dieses Buch zu einem realen Krimi. Es ist für alle unmittelbar Beteiligten ein Horror, aber auch für die, die ein Urteil sprechen müssen. Und auch die Zuhörer im Gerichtssaal sind häufig am Ende ihrer Kräfte.
Dem Leser geht es manchmal ebenso. Es ist alles so unvorstellbar, dass ich häufiger eine Pause einlegen muss, um etwas Abstand zu gewinnen. Die Passagen der Beweisaufnahme und das Verhören der Zeugen geht so sehr ins Detail, dass es nicht nur für die Beteiligten ermüdend wird, sondern auch für mich als Leser.
Dieses Buch zeigt sehr eindrücklich wie ein Gerichtsprozess abläuft. Leider zeigt es aber viele Schwachstellen auf. Die Geschworenen, die Richter, die Verteidiger, die alle nicht objektiv, sondern durchaus auch subjektiv urteilen.
Garner berichtet in der Ichform über alle Zeugenaussagen sehr detailliert, beschreibt aber auch das Verhalten der Geschworenen und der anderen Personen im Gerichtssaal überaus penibel. Kein Gähnen, kurzes Einnicken, abgelenkt sein entgeht ihren wachen Augen. Kreuzverhöre werden so spitzfindig geführt, dass bald niemand mehr folgen mag oder kann.
Ich versuchte mich zu bremsen. Ich wollte wie eine Geschworene denken, erst alle Beweismittel abwarten, mich in einem Zustand halten, in dem ich immer noch von Argumenten überzeugt werden konnte.
Dieser Prozess geht unter die Haut, denn…
„Was ist schlimmer? – Mit dem Verdacht und den verschiedenen ungeklärten Möglichkeiten zu leben und nie zu wissen, was wirklich wahr ist, oder mit einer Wahrheit zu leben, die zu entsetzlich ist, als dass man sie überhaupt begreifen könnte?“
Fazit
Ein Buch, dass wegen der unvorstellbaren Ereignisse nicht immer leicht zu lesen ist. Garner läßt uns am Prozess teilhaben, das macht sie mit einer sehr detailgetreuen Sprache, die Spaß macht. Dass einige Passagen etwas langatmig sind, liegt an den Tatsachen und sicher nicht an der Autorin. Dieses Buch geht unter die Haut. Es ist eins der wenigen, die nicht so schnell in Vergessenheit geraten.
Drei Söhne
EIN MORDPROZESS
352 Seiten, Gebunden
Übersetzt von: Lina Falkner
BerlinVerlag
ISBN: 978-3-8270-1269-2