Holla, Lars Ruppel
Donnerstag, 26. November 2015
Kaum zu glauben. Da finden in (von mir aus) nahem Siegburg die 36. Literaturwochen statt. Warum habe ich in den letzten 35 Jahren davon nichts mitbekommen?
Nun ja, ich lass die Vergangenheit hinter mir und konzentriere mich auf dieses Jahr. Im Programm fand ich auch prompt eine Veranstaltung, die zu einem der Bücher in meinem SUB passte. Da steht nämlich seit dem Frühjahr Holger die Waldfee. Hinter diesem lustigen Titel verbergen sich Texte von Lars Ruppel, der schon mal deutscher Meister war. Nein, kein Fußballspieler, er macht bei Poetry-Slam-Veranstaltungen mit.
Seit ich in Leipzig eine derartige Veranstaltung besucht habe, bin ich davon sehr angetan. Das ist eine Art Lyrik die mich mitreißt. Vor allem, wenn die Texte live vorgetragen werden. Ich möchte hier noch sagen: Poetry-Slam kann Comedy sein, ist es aber oft nicht. „To slam“ bedeutet schlagen. Es handelt sich also um „um sich schlagende Poesie“. Die kann schon mal so direkt sein, wie ein Schlag ins Gesicht. Sie kann aber auch die Seele streicheln.
Also, lange Schreibe, kurzer Sinn: ich habe mir eine Karte gekauft und machte mich auf ins Siegburger Stadtmuseum.
Unter historischen Wasserspeiern stellte sich der Autor auf der herbstlich geschmückten Bühne einer bunten Schar von Neugierigen. Ganz junge Leute waren da, mittlere und ältere. Leider war der schöne Saal nicht voll besetzt.
Lars Ruppel fühlte sich sichtlich wohl auf der Bühne. Er lobt den Veranstalter und bedankt sich artig für den vorher gereichten, selbst gebackenen Kuchen mit Obst aus dem eigenen Garten und trinkt mit einem Schluck Sekt auf den schönen Abend.
Der bekennende BVB-Fan kündigte uns einen bunten Abend mit Erläuterungen und Darbietungen rund um Poetry-Slam, einem ernsteren Thema nach der Pause und kündigt „peinliche Übungen“ an. Dies schreckt niemanden ab, zumindest bleiben alle gespannt sitzen.
Der 30jährige erzählt von der Entstehung seines ersten Gedichts, 1993, in seinem Elternhaus in Gambach, nahe Bad Nauheim. Dort gäbe es auch ein „Spracherwerbsmuseum“ im Dachboden der Eltern, weil diese alle seine Schulsachen aufgehoben haben. Darin findet sich auch besagtes „Gedicht“, das bei der schulischen Steigerung von Adjektiven entstand.
Lars Ruppel redet fast ohne Punkt und Komma, er ist eine sympathische „Labertasche“.
Inhaltlich kommt er seiner poetischen Karriere aber näher. Er spricht von poetischer Überforderung, Sprache als Spiel- und Werkzeug, setzt Poesie mit Kreativität gleich und siezt zu meiner Überraschung das Publikum.
Seine Erzählung ist mittlerweile bei einer pubertären Lesekrise angekommen (gibt es für meine Tochter noch Hoffnung?) beschreibt uns was „Heckdiving“ ist (würde jetzt hier zu weit führen) und benutzt auch andere schöne Wortschöpfungen, wie z.B. „disneyesk“.
Alle hören gespannt zu, als er seinen 1. Wettkampf beschreibt und seinen frühen „Hassgedichten auf Kinder, welche Wesen aus dem Ursumpf der Hölle“ für ihn waren. Heute allerdings ist sein Patenkind eine geliebte Inspirationsquelle. Zu seiner Vita gehört auch die Organisation sudanesischer Poetry-Slam-Meisterschaften und das Leben in einer 9-er-WG im Gebrüder-Grimm-Haus in Marburg.
Nach dem Abitur ergreift er keine weitere Ausbildung, sondern widmet sich seiner Kunst. Aber nicht nur bei Wettkämpfen und Auftritten, sondern auch in Schulen. Irgendwann, und damit ist er bei seinem Herzensthema angekommen, bekam er eine Anfrage aus einem Altersheim doch mal was mit Demenz-Kranken zu machen. Jetzt besucht er viele solche Einrichtungen und gibt auch Rhetorik-Kurse für Pflegepersonal.
Die Beschreibung dieser Arbeit und auch eine Vorführung mit direkter Einbeziehung des Publikums erzeugt Gänsehautgefühle. Er arbeitet mit den Patienten mit aus der Kindheit bekannten Texten („Die Glocke“) und sehr oft mit Gedichten von Ringelnatz und Tucholsky und verbindet das mit Berührungen und intensiven Blickkontakten mit den Patienten.
Lars Ruppel trägt einige Texte vor, liest auch, spricht aber meistens frei. So erzählt er über die Lust an Einhörnern und Gänseblümchenbabys. Auch bei den ernsten Themen bleibt er immer locker.
Die angekündigte Einbeziehung des Publikums war überhaupt nicht peinlich, sondern extrem lustig. Ich kann mich an keine andere Literaturveranstaltung erinnern, bei der die Zuschauer zu stark beteiligt wurden.
Am Ende gibt er uns noch mit:
Gedichte sind wie serviertes Essen, man muss es in den richtigen Portionen genießen!
Gedichte verbinden, verweben Menschen und Erinnerungen.
Das Herz wird nie dement.
Die Veranstaltung wurde als Lesung aus dem Buch „Holger die Waldfee“ angekündigt.
Das wird dem aber nicht gerecht. Es war mehr, als „nur“ eine Lesung. Ich habe viel gelacht, Interessantes gehört und hoffe, falls mich auch mal die Demenz erreicht, dass ein Lars Ruppel daher kommt und mich ein wenig aus dem Dunkel des Vergessens zieht.
♌
Das klingt sehr interessant. Dass er seine Arbeit auf diese Weise auch bei Demenzkranken einsetzt ist super. Ich werde mal verfolgen, ob er irgendwo bei uns in der Nähe auftritt. Immer wieder klasse solche Tipps.
LG Donna G.
Dieser Abend war wirklich mal etwas anderes!
Hach, wie schön. Ich höre mir gerade die Hörbuchfassung von Holger die Waldfee an (jeden Abend ein Gedicht, damit es etwas hinreicht) und kann total verstehen, warum Slam Poetry dich viel mehr anspricht; mir geht es auch so. Und erst jetzt geht mir auf, dass Ruppel derselbe Kerl ist, über den ich schon vor einer Ewigkeit im Radio gehört habe, dass er Dementen Gedichte vorliest. Genial. Danke für den schönen Beitrag und liebe Grüße!
Das Hörbuch werde ich mir auf jeden Fall auch noch zulegen!