Die Chance
Mittwoch, 5. August 2015
Wusstet ihr, dass die „Wahrscheinlichkeit, dass ein amerikanischer Tourist die Niagarafälle besucht: 1:195“ beträgt? Nein? Ich auch nicht.
Jedes Kapitel dieses Buches trägt eine solche Überschrift, welche die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis, das lose mit dem nachfolgenden Kapitel verknüpft ist, beschreibt.
Aber dieses Buch ist kein Roman, mit dem man sich mehr oder weniger kurioses Wissen aneignet, sondern eine Beziehungsstudie vor dem grandiosen Hintergrund der Niagarafälle.
Art und Marion Fowler stehen vor dem finanziellen Ruin. Sie geben sich noch eine letzte Chance: an einem Wochenende auf der kanadischen Seite der Niagarafälle, wollen sie ihr letztes Geld im Kasino zu setzen um mit der „Martingale-Methode“ beim Roulette zu versuchen genügend Geld zu gewinnen um ihre Hypotheken zu tilgen.
Falls das nicht klappt,würden sie nach dem Wochenende die Scheidung einreichen, damit Marion die letzten kleinen Vermögenswerte retten kann, während Art Insolvenz anmelden müsste.
Marion würde diese Scheidung auch als neuen Anfang für sich sehen. Nochmal alles auf Null stellen! Für Art ist das nur ein formeller Akt um das wenige, was sie noch besitzen, zu retten.
Eine seltsame Beziehung, die da nach und nach aufgeblättert wird: die finanziellen Sorgen, die Affären die beide hatten, die Sprachlosigkeit in der Ehe. Im Gegensatz dazu besteht eindeutig eine starke Anziehung zwischen Art und Marion, sie kennen sich sehr gut und sind unheimlich vertraut miteinander.
Was machst du bloß, wenn ich mal tot bin?
sagt zum Beispiel Marion zu Art, nachdem sie mal schnell sein Hemd gebügelt hat.
Sie wissen sich durchaus gegenseitig zu schätzen, gehen aber auch kritisch miteinander um. Alles steht an diesem Wochenende auf der Kippe.
Das er um sie kämpfte, war alles was sie wollte.
Die Angst vor der Zukunft ist immer spürbar:
… die Beweggründe für das, was er tat, in einer verschlungenen Hintergrundgeschichte abhandengekommen, sein Schicksal vorübergehend außer Kraft gesetzt, nur die Angst vor der Gegenwart hielt ihn gefangen.
Die letzte Chance
Sie leben dieses letzte Wochenende, die letzte Chance für ihre Ehe und wirtschaftliche Existenz, in vollen Zügen aus. Auf Kosten der Kreditkartengesellschaft natürlich. Um sie herum viele verliebte Paare und Hochzeiten (es ist Valentinstag), riesige Menschenmassen und touristische Abzocke.
Doch ist ein neuer Anfang wirklich möglich?
Man konnte in seinem Leben nicht die Wiederholungstaste drücken und alles Schreckliche auslassen, ohne das zu verlieren, was es lebenswert machte. Man musste es als Ganzes akzeptieren – genau wie die Welt und den Menschen den man liebte.
Stuart O’Nan versteht es sehr gut die inneren und beziehungslastigen Konflikte glaubwürdig darzustellen. Man muss die Gefühle der beiden Protagonisten nicht selbst erlebt haben, um sie sehr gut nachvollziehen können.
Mein erstes Buch dieses Autors hat mir sehr gefallen.
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Stewart O’Nan: Die Chance, rowohlt Verlag, 224 Seiten,
ISBN 978-3-498-05042-9, Hardcover € 19,95 [D]