Wer ist Mister Satoshi?
Donnerstag, 30. Juli 2015
Wer ist Mr Satoshi? Fragt sich Foss nach dem Tod seiner Mutter.
Sie hinterlässt ein kleines Paket, das unbedingt an Mr. Satoshi gesandt werden soll, doch die vermerkte Adresse ist falsch.
Foss ist ein erfolgreicher Fotograf. Doch seit dem Tod seiner Frau kann er nicht mehr arbeiten. Er kann kaum noch das Haus verlassen. Panikattacken lassen das nicht zu. Er lebt total zurückgezogen in seinem Londoner Appartement, lässt sich alles nach Hause liefern und geht eigentlich nur zum Arzt um sich seine vielen Tabletten verschreiben zu lassen:
Nur Pillenfläschchen. Alle mit Namen wie fiktive Planeten, eine eigene Sci-Fi-Kunstsprache. Die Realitätserleichterer: Oxycontn, Vicodin, Demerol. Die Nervenbetäuber: Nembutal, Valium, Xanax. Die Sehstimulantien: Ritalin, Adderall, Strattera. Plus die Nasentropfen, Muskelrelaxantien, Steroid- und Antipilzsalben.
Einzig seine demente Mutter hat er noch besucht. Jetzt muss er ihre kleine Wohnung im Altersheim ausräumen. Diese Begegnung mit der Vergangenheit fällt ihm nicht leicht. Außerdem ist er recht lethargisch und tut sich mit Aktionen schwer.
Es kam mir vor, als hätte ich die letzten Jahre, seit Chloe tot und meine Mutter in die Demenz entglitten war, damit verbracht, altem Festland hinterher zu blicken.
Aber er findet dabei ein paar Briefe von Satohsi und einen von dessen Mutter. Satoshi scheint nur ein Spitzname zu sein, den ein gewisser Reggie in Japan, kurz nach dem 2. Weltkrieg bekam.
Auf Englisch heißen Sie Reggie, aber auf Japanisch ist der beste Name für Sie Satoshi. Klar denkend, klug. Von schneller Auffassungsgabe. Aber vielleicht auch ein bisschen optimistisch.
Reggie und seine Mutter hatte eine innige Liebesbeziehung. Auch die beste Freundin seiner Mutter, Freddie, kann ihm da nicht weiterhelfen. Aber sie bestärkt ihn darin, unbedingt dieses Päckchen zuzustellen.
Doch von London aus kann er nicht wirklich etwas ausrichten. Nachdem sein Agent, in der Hoffnung auf eine paar gute, neue Fotos, ihn bedrängt nach Japan zu fliegen, findet er sich plötzlich tatsächlich in einem Flieger wieder: voller Flugangst und Panik. Und dann ausgerechnet Japan! So viele Menschen auf so wenig Fläche. Alles macht ihm Angst. Allein das Verlassen des Hotels ist für Foss schon eine riesige Überwindung. Doch jedes Mal schafft er ein paar Schritte in der fremden Kultur mehr.
Da zieht er sich zuerst in eine ihm bekannte westliche Enklave zurück: in ein Starbucks-Café.
Dort spricht ihn eine junge Studentin an: Chiyoko. Pinke Haare, aber total hilfsbereit. Sie zieht ihm ein paar Infos aus der Nase und bringt ihn durch die Stadt zur Universität, wo er sich eine Spur von Satoshi erhofft.
Chiyoko schafft es, ihn ein wenig aus der Reserve zu locken, besorgt ihm ein günstigeres Hotel und kümmert sich um ihn. Da finden sie eine heiße Spur. Sie führt nach Sapporo.
Es geht weniger um die Erkundung einer völlig fremden Kultur, sondern mehr um die Bewältigung der Vergangenheit. Es werden verschiedene Wege aufgezeigt, Ereignisse, Verluste und Taten zu verarbeiten und danach weiterzuleben. Und einer dieser Wege ist auch, dass man die Vergangenheit eben nicht verarbeitet, sondern zum Beispiel Flucht oder Medikamente vorzieht.
Die Lektüre dieses Buches fällt sehr leicht. Es gibt aber auch einige fast schon poetische Passagen. Zum Beispiel die Beschreibung des Todes von Foss Mutter. Oder die Briefe aus Japan. In einem wird die Atmosphäre, nachdem viele Japaner verräterische Papiere verbrannten, mit folgenden Worten beschrieben:
Ein grauer Schatten dieses Rauchs hängt immer noch in der Luft, und im Umkreis von Meilen um die Stadt hat sich eine Wolke pulverisierten Geheimnissen abgesetzt.
Auch die Beschreibungen der Panikattacken sind meiner Ansicht nach gut gelungen, aber auch nicht überzogen in den Vordergrund gestellt. Foss Art ist mir selbst fremd, aber trotzdem nachvollziehbar, da das Buch in der ersten Person geschrieben wurde.
Sehr gut gefielen mir auch Chiyokos Gedanken über ihre totkranke Mutter:
Das es da all die Sachen geben muss, die sie nie gemacht hat und jetzt wohl nie mehr machen kann. Aber ich vermute mal, wenn man einen alten Menschen mit den Augen eines jungen Menschen sieht, hat man immer das Gefühl von etwas Verlorenem oder Verpasstem.
Es gibt auch Szenen zum Schmunzeln. Zum Beispiel Foss erste Begegnung mit einer japanischen High-Tech-Toilette:
Die Kloschüssel flankierten zwei beunruhigende Bedienungskonsolen mit erhabenen Kanji-Schriftzeichen. Nachdem ich im Cockpit Platz genommen hatte, experimentierte ich mit einem Knopf auf der rechten Seite. Als ich ihn drehte, begann der Toilettensitz, meine Oberschenkel zu wärmen.
Der britische Autor Jonathan Lee lebte selbst auch eine Zeit in Tokio. Sein zweites Buch „Joy“ wird von der BBC verfilmt. Die deutsche Übersetzung stammt von Cornelia Holfelder-von der Tann, die auch Bücher von Tad Williams und auch „Gute Geister“ von Kathryn Stockett (unbedingt lesen, wer es noch nicht kennt) ins Deutsche brachte.
Für mich war der Roman gute Unterhaltung mit einigen Punkten zum Nachdenken.
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Jonathan Lee: Wer ist Mr. Satoshi, btb, Paperback, 320 Seiten, ISBN: 978-3-442-75386-4, € 14,99 [D]