Rezension: Adas Raum von Sharon Dodua Otoo
Sonntag, 25. April 2021
Ada steht für alle Frauen
Seit Sharon Dodua Otoo 2016 mit einer Kurzgeschichte den Bachmannpreis gewann, wartet die Literaturwelt auf ihren Debütroman. Dieses Jahr ist er erschienen. Die ersten Beschreibungen haben mich direkt fasziniert: Ada sei nicht nur eine Frau, der Roman würde durch mehrere Jahrhunderte reisen und einige Überraschungen bieten. Ich nehme es vorweg: ich wurde nicht enttäuscht.
Adas Raum greift Aspekte der Bachmannpreis-Geschichte Herr Göttrup setzt sich hin wieder auf. Dort ist Ada eine Putzfrau in einem Rentnerhaushalt. Sie wird als Person gar nicht wahrgenommen. Erzählt wird die Geschichte von einem Ei. Ein Frühstücksei, das sich weigert hart zu werden.
Im Roman gibt es auch mehrere Frauen die Ada heißen, oder eine Ada, die durch Reinkarnation ihre Bestimmung irgendwann erfüllen wird. Ja, ich weiß, das hört sich nach esoterischem Zeug an, und es wird noch ärger: es gibt eine namenlose Wesenheit, die auch im weichen Ei des Herrn Göttrup steckte. Und diese wird von nieand geringerem als Gott gesandt, um ebenfalls eine Aufgabe zu erfüllen. Ihr könnt natürlich jetzt aufhören diesen Post zu lesen und denken: was soll der Quatsch? Oder noch etwas weiterlesen und ich versuche zu erklären was das Buch ausmacht.
Schleifen
Die verschiedenen Reinkarnationen heißen im Buch Schleifen. Es geht immer um Ada und wird hauptsächlich aus der Sicht eines Gegenstandes erzählt. Dieser Gegenstand hat in jeder Schleife eine andere Ausprägung. Es gibt auch noch andere Personen, die in jeder der Schleifen vorkommen. So hat Ada immer eine Freundin, mit der es auch mal Krach gibt. Ein Mann mit einer Narbe taucht auf, ein anderer, der ihr meist nichts Gutes will, ebenso. Auch andere Frauen aus der Familie kommen immer wieder vor, wenn auch oft unter anderen Namen. Um etwas mehr Licht in diese Verwirrung zu bringen, stelle ich erstmal Ada in ihren unterschiedlichen Ausprägungen vor.
Totope im Jahre 1459
Wir befinden uns im heutigen Ghana. Damals hatte der Landstrich nahe der Küste natürlich einen anderen Namen. Ein kleines Dorf, nur ein paar Hütten, eine Frau deren Baby gerade gestorben ist. Ein Schiff kommt an, es werden Sklaven zum Handeln gesucht.
Ich gebe zu, ich war Anfangs total verwirrt. Mir war nicht klar, welche Rollen die Frauen im Dorf einnahmen, ich suchte nach Kategorien: Schwester? Mutter? Tante? Nachbarin? Erst später habe ich begriffen: es macht keinen Unterschied. Diese Frauen haben zwar eine interne Hierarchie, vor allem durch das Alter, aber alle kümmern sich um alle, alle sind die Mütter aller Kinder. Doch ich sollte nicht zu viel verraten, oder?
Der Gegenstand der hier erzählt, ist ein Reisigbesen. Er steht in der Ecke rum, wird zum Fegen zwischen den Hütten benutzt und auch mal zum Schlagen von Menschen. Der Besen kann nicht nur die Geschichte erzählen, sondern versucht auch mit seinen bescheidenen Mitteln einzugreifen. So mildert er Schläge, die auf Ada einprasseln, etwas ab. Mehr kann er nicht tun.
Ach und dann ist da noch ein Armband, ein Perlenarmband. Es steht für Fruchtbarkeit. Es kommt auch in jeder Schleife vor und hat eine wichtige Bedeutung. Dazu verrate ich jetzt wirklich nicht mehr.
Stratford-le-Bow im Jahre 1848
Ada Lovelace, eine bedeutende Mathematikerin, ist hier die Hauptperson. Unterstützt wird sie von einem Türklopfer. Lovelace wurde zu Lebzeiten total unterschätzt, sie gilt heute als Vorreiterin für die Informatik, als erste Programmiererin. Lovelace war weiß, Ada hat in den verschiedenen Schleifen also ganz unterschiedliche Hintergründe, kommt aus unterschiedlichen Kulturen, sieht unterschiedlich aus.
Diese Ada hat ein Verhältnis mit einem Schriftsteller, den wir heute noch alle kennen. Sein Andenken wurde wesentlich besser bewahrt als ihres. Dieses Verhältnis ist wohl allerdings der Phantasie der Autorin zu verdanken, ich habe zumindest keinen Hinweis darauf gefunden. Auch ist Lovelace anders gestorben als im Roman. Doch gerade in diesem Bereich wird klar, dass Feminismus auch ein Thema dieses Buches ist.
Kohnstein 1945
Für mich die eindringlichste Schleife. Am Kohnstein gab es das KZ Mittelbau Dora, es gehörte zum KZ Buchenwald. Die Wesenheit ist hier ein Raum, Adas Raum, Zimmer 37 im KZ-Bordell. Das es in manchen KZs Bordelle für Insassen gab war mir ehrlich gesagt neu.
Ada hat sich hier fast völlig von ihrem zerschundenen, halb verhungerten, verletzten und täglich mehrmals missbrauchten Körper getrennt. So ganz gelingt ihr das aber nicht. Auch die „Kunden“ sind Opfer des NS-Regimes. Manche kommen, nur um mal reden zu können, oder kurz vor dem Tod nochmal eine Frau im Arm halten, berühren zu können. Doch Ada wird zum Opfer der Opfer. Hier kann die Wesenheit, der Raum selbst, nur versuchen ihr eine Art Geborgenheit zu geben, ein sinnloses Unterfangen.
Ausweglose Existenz. Wie Ada versucht ihrem Körper, diesem Alltag, diesem Grauen zu entliehen. Entsetzlich zu lesen. So ist das natürlich auch gewollt.
Berlin, Gegenwart
Diese Ada, diese Schleife, nimmt die Hälfte des Buches ein. Der Gegenstand ist ein britischer Reisepass. Allein durch das, was „es“ diesmal ist, ist Macht und Einflussnahme groß. Denn dieser Pass bietet Ada die Möglichkeit in Europa zu leben, in Deutschland zu studieren. Ada ist hochschwanger, hat sich vom Vater des Kindes getrennt und braucht dringend eine kleine, billige Wohnung. Doch als schwarze, schwangere Frau mit einem afrikanischen Nachnamen ist das aussichtslos. Besichtigungstermine gibt es nur, wenn ihre Halbschwester, die einen deutschen Nachnamen hat, die Termine vereinbart. Doch wenn die Vermieter Ada sehen, schlagen ihr viele direkt die Tür vor der Nase zu. Wir Leser begleiten sie durch die Stadt, es ist heiß, Ada ist langsam verzweifelt.
Gott
Gott ist hier ein flexibles Wesen, das wahlweise als Frau oder Mann auftritt, spricht mal mit Berliner Schnauze und beantwortet keine Fragen, sie/er stellt nur welche und übt Macht aus. Allerdings nur leicht. Ansonsten schwebt Gott über den Dingen. Sehr gut gefiel mir folgender Satz:
Ob sie an mich glauben oder nicht… geht mich doch gar nichts an!
Adas Raum, Seite 240
Adas Meinung zum Thema Gott, als sie gefragt wird, ob sie an Gott glaubt:
Für mich… ist die viel interessantere Frage: Glaubt Gott wirklich an uns?
Adas Raum, Seite 240
Die Inhalte der einzelnen Schleifen, vor allem von denen, die in der Vergangenheit liegen, sind mehr oder weniger entsetzlich. Unterhaltsam wird das Buch durch den Humor, der in diesen Szenen mit Gott und der Wesenheit aufblitzt.
Wesenheit
Es hat nur ein Ziel: geboren zu werden, einmal auch Mensch sein zu dürfen. Ein Ziel, das Angesichts der Gräuel die im Buch beschrieben werden, fast seltsam erscheint. Doch stattdessen wird es immer wieder zu Gegenständen: Reisigbesen, Zimmer, Türklopfer, Pass oder auch ein Ei. Gerne auch zu einer frischen Brise, die schon mal ein Toupet vom Kopf reißt. Es glaubt, für diese Menschwerdung eine bestimmte Aufgabe erfüllen zu müssen: Ada und das am Anfang erwähnte Perlenarmband zusammen zu bringen. Doch ist das wirklich das Ziel seiner Missionen?
Was ist der Sinn von allem? Was ist der Sinn des Lebens? Was ist der Sinn meines Lebens? Wieviel kann ich selbst beeinflussen? Bin ich mehr als ein Türklopfer? Habe ich mehr Einfluss auf den Lauf der Welt als ein Reisigbesen? Auf solche Gedanken brachten mich die Passagen, die aus Dialogen der Wesenheit und Gott bestanden.
Fazit
Ich könnte noch viel mehr über das Buch schreiben. Es hat mich begeistert und nachhaltig beschäftigt. Ich gebe zu, am Anfang war ich wegen der verschiedenen Handlungsstränge und ständig wechselnden Perspektiven (es gibt je Schleife mehrere) echt verwirrt. Doch es machte auch Spaß diese Puzzleteile zusammenzufügen. Nach einer Diskussion im Lesekreis habe ich Lust das Buch erneut zu lesen, weil mir auch einige Hinweise entgangen sind. Dieses Buch bietet mir komplexe Themen, verpackt in einer gut lesbaren Sprache. Der Roman ist das, was ich mir von einem Debüt wünsche: etwas vollkommen Neues.
Weitere Debütromane
Auch dieses Jahr wird es wieder einen Preis vom Blog das Debüt geben. Adas Raum steht dort schon auf der Liste der eingereichten Bücher. Seitdem ich dort in der Jury mitwirke greife ich bei der Buchauswahl gerne zu Debütromanen. Ich hänge hier mall die Links zu den Romanen an, die es 2020 auf die Shortlist für den Bloggerpreis für das beste Debüt geschafft haben:
Schatten über den Brettern von David Misch
Wir verlassenen Kinder von Lucia Leidenfrost
Elijas Lied von Amanda Lasker Berlin
Hawaii von Cihan Acar
Streulicht von Deniz Ohde
Hallihallo,
eine sehr schöne Rezension, und ich kann deinen Eindruck nur voll und ganz unterschreiben – ich war auch begeistert von diesem Buch. Das ist wirklich ein Debütroman, der etwas ganz Neues bietet, das bei aller Originalität nicht forciert oder lächerlich wirkt.
LG,
Mikka
Hallo Mikka,
das hast du einfach sehr gut zusammengefasst.
Ich freue mich, dass du meine Begeisterung teilst.
Liebe Grüße
Silvia
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